„Integration“: Gutes Image, böse Absicht
Die Bleiberechtsbewegung hat dieses Jahr ihren ersten großen Erfolg gefeiert, als die kosovarischen Familien Komani und Zogaj, Positivbeispiele „gelungenener Integration“, nach der Abschiebung nach Österreich zurückkommen durften.
Ohne abzuschwächen, welche Signalwirkung das erstmalige Nachgeben der Innenministerin hat, ist trotzdem der Blick auf die andere Seite der Medaille nötig: Haben allein reisende Afrikaner kein Recht auf Asyl? Haben seit Jahrzehnten in Österreich lebende Menschen weniger Anspruch auf Sozialleistungen, nur weil sie sich zum Islam bekennen? Ist es okay, als Kind von Einwanderern für die Gesellschaft erst einmal prinzipiell als verdächtig zu gelten?
Die Auffassung von Integration als Allheilmittel macht manche Einwanderer zu Tätern und andere zu Opfern – aber nie zu Menschen. Integration basiert auf einer rassistischen Vorstellung von kulturell und „ethnisch“ einheitlichen Nationalstaaten, zu denen man sich den Zutritt erst einmal verdienen muss. Es hilft, sich die Geschichte der Migration nach Mitteleuropa anzuschauen, um die Karriere und die Fallstricke dieses Konzeptes zu begreifen.
Vom Gastarbeiter…
Als Teile Europas nach dem 2. Weltkrieg einen lang andauernden wirtschaftlichen Aufschwung erfuhren, benötigte die wachsende Massenproduktion mehr und mehr Arbeitskräfte. Gleichzeitig lebten Menschen in Südeuropa und den ehemaligen Kolonien in bitterer Armut und versuchten, sich im boomenden West- und Mitteleuropa einen Lebensunterhalt zu verdienen. Somit trafen sich die Interessen von Arbeiterinnen und Arbeitern mit denen der Unternehmer und Politiker, und es entstanden „Anwerbeabkommen“ zwischen Herkunfts- und Gastländern, die die aufkommende Massenmigration regulierten und bestärkten.
Erst einmal in Deutschland oder Österreich angekommen, übernahmen die neuen Arbeitskräfte vor allem ungelernte Fabriksarbeiten oder schlecht bezahlte Dienstleistungen. Dabei wurde aber angenommen, dass sie als „Gäste“ nach vollbrachter Arbeit wieder in die Heimat zurückkehren würden. Ihnen wurden weder gleichgestellte Rechte zuerkannt, noch sollten sie die Sprache lernen oder außerhalb von „Gastarbeiterheimen“ wohnen – Integration war absolut unerwünscht.
„Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen“, so ein berühmter Ausspruch von Max Frisch. Sie wollten nicht zurückkehren, sondern ihre Familien nachholen in das reiche Land. Sie gaben sich nicht zufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen, sondern führten einige der inspirierendsten Streiks der 70er-Jahre an (allein 1973 in 355 deutschen Betrieben). Sie forderten soziale und politische Rechte ein und organisierten sich in starken Netzwerken.
…zum Integrationszwang
Doch zur gleichen Zeit, als die Bewegung der Gastarbeiter an Stärke gewann, kehrte die Krise zurück. Arbeitslosigkeit traf Migrantinnen und Migranten wegen ihrer sozialen Position besonders, aber auch Einheimische kamen unter Druck. In dieser Zeit der Existenzängste verliehen die Herrschenden dem Rassismus einen kräftigen Aufschwung. Die Lohnabhängigen sollten ihren Feind lieber in „den Ausländern“ sehen, die ihnen den Arbeitsplatz wegnähmen, anstatt in der Regierungspolitik oder ihren Arbeitgebern. Genau zu diesem Zeitpunkt, Ende der 70er, kam der Begriff der „Integration“ auf und wurde zum absoluten Non plus Ultra in der Einwanderungsdebatte. Dabei überdeckt die Popularität dieses Konzepts seine extremen Widersprüche:
Wie oben erwähnt war es die diskriminierende Politik, die die „Beheimatung“ (so nannten Gastarbeiter-Communities ihren Kampf um soziale Rechte selbst) verhinderte, aber nun warf man die fehlenden Sprachkenntnisse, „Ghettoisierung“ und niedrige Bildung den einzelnen Einwanderern vor – nach dem Motto „selber Schuld“.
Soziale „Sprengkraft“
Wie heute wurde dazu schon damals politische Angstmache betrieben. Konservative Politiker warnten – die großen Gastarbeiterstreiks noch gefährlich nah vor Augen – vor sozialen Unruhen. Dazu ein CDU-Abgeordneter: „Gastarbeiter-Probleme können zu Gastarbeiter-Aufständen führen wie in Amerika Neger-Probleme zu Neger-Aufständen geführt haben.“ Wie bedrohlich organisierte und selbstbewusste Migranten auf den Staat wirken, zeigte auch in der jüngeren Vergangenheit die „Operation Spring“, in der antirassistische afrikanische Aktivisten in Österreich in einer groß angelegten Polizeiaktion als Drogenring verunglimpft wurden.
Nun waren aber die 70er die Blütezeit der Sozialdemokratie. Auch ihr war die soziale Situation der gebliebenen Gastarbeiter ein Dorn im Auge. Ihrer Vorstellung nach sollten alle Menschen in einer Gesellschaft gleich an ihr partizipieren können, damit der soziale Frieden erhalten bliebe. So war „Integration“ eigentlich ein Projekt von Mitte-Links – nur zur falschen Zeit. Denn die nationalistische bzw. rassistische Vorstellung, dass die „Ausländer“ gar nicht zur Gesellschaft gehörten, war (auch in der Partei und ihrer Gewerkschaft) weit verbreitet. Und mit der Rezession und dem Aufstieg des Neoliberalismus wurde die Idee des Sozialstaats an sich, gelinde gesagt, unmodern.
Kultureller Rassismus
Doch mit den Warnungen vor sozialen Unruhen und dem nationalistischen Agieren der Gewerkschaften ist nicht der Kern der Integrationsdebatte getroffen. Denn dazu wurde die gesamte Diskussion weg von der Frage der Rechte und des Sozialen und hin zu den „kulturellen Unterschieden“ geführt. Der persönliche Lebensstil, nicht die sozialen Missstände, waren und sind so die Hauptkritik, wie es auch dem heute so verbreiteten kulturellen Rassismus entspricht.
Die Grundannahme der Integration trifft sich mit der des Rassismus: dass Einwanderer je nach ihren Herkunftsländern eine fixe kulturelle Identität haben und grundsätzlich „anders“ sind als die Mehrheitsgesellschaft. Mit einem solchen „essenzialistischen“ Kulturbegriff werden Menschen also erst als komplett inkompatibel mit der herrschenden Kultur abgestempelt, um von ihnen dann unter dem Label „Integration“ eine ständige Anpassungsleistung gegen diesen angedichteten Fehler einzufordern. Ähnlich wie im Kolonialismus unterstellt man ihnen, dass sie ihre Eigeninteressen nicht erkennen und deshalb zu unmündig sind, freie Entscheidungen zu treffen.
Integration als technokratische, politische Strategie ist deshalb rassistisch, weil sie der Vorstellung vom „Problem“ Migrant bzw. „Problem“ Moslem staatliche Anerkennung zukommen lässt, und weil sie die Lösung nicht in gruppenübergreifender Sozialpolitik, sondern in repressiven, kulturellen Anforderungen an Einzelne festmacht.
Wischiwaschi Integration
Selbstverständlich sind dennoch nicht alle, die von Integration reden, rassistisch (Stichwort Multikulturalismus). Jedoch sieht Integration immer den größten Handlungsbedarf bei den zugewanderten Menschen selbst und damit die wichtigste Konfliktlinie in der Gesellschaft zwischen verschiedenen, als einheitlich und unflexibel vorgestellten, Kulturen.
Heute wird Integration mit „Parallelgesellschaften“, „Bildungsmängel“, kulturellen Zwängen und kriminellen Handlungen umschrieben. Für Österreicher wie für Einwanderer fungiert Integration sozusagen als Glaubensbekenntnis des guten Willens. Dabei ist völlig egal, dass die gepriesenen „westlichen Werte“ von Demokratie und Frauenbefreiung auch hier alles andere als umgesetzt sind, oder dass bereits ein Strafrecht existiert, das „Ehrenmorde“ wie alle anderen Morde verurteilt.
Unterdrückungsverhältnis
Deshalb scheint es so, dass Integration – anstatt des plumpen Rassismus von ganz Rechts – seit Jahrzehnten als Scheindebatte betrieben wird, um die Markierung der Zuwanderer als Andere (bzw. Schlechtere) aufrecht zu erhalten und mit Sündenböcken von sozialer Ungerechtigkeit abzulenken. Darauf deutet auch hin, dass sie als Programm des konstanten Misserfolgs betrieben wird: Kaum kann ein großer Teil der Immigranten die bestehenden Integrationsanforderungen bestehen, werden die Ansprüche nach oben geschraubt.
Auch wenn Integration der Ruf des Progressiven anhaftet, unterdrückt sie in Wahrheit Minderheiten. In Deutschland gibt es bereits Gesetze, nach denen (wie auch immer gemessen) nicht ausreichend integrierte Immigranten weniger Sozialleistungen erhalten oder von Ausweisung bedroht werden. So wird Nicht-Integration zu einer strafrechtlichen Kategorie und bestätigt damit den Rassismus, dass Migranten prinzipiell anders sind und Anders-Sein prinzipiell negativ ist.
Das wahre Problem?
Tatsächlich lassen sich aber alle „Ausländerprobleme“ im Grunde auf die soziale und rechtliche Situation der Migranten zurückführen, oder aber auf den Alltagsrassismus, den diese Tag für Tag spüren.
Nicht nur Sozialstatistiken beweisen, dass ausländische und vor allem türkische Familien am untersten Ende der Einkommenshierarchie stehen, in den kleinsten und desolatesten Wohnungen wohnen, wegen ihrer Herkunft in der Schule mehr diskriminiert denn gefördert werden. Es ist kein Wunder, dass Zuwanderer Strategien entwickeln, mit dieser sozialen Unsicherheit umzugehen. „Parallelgesellschaften“ – also großer Familienzusammenhalt und Migranten-Netzwerke – sind Ausdruck einer solchen Strategie.
Armut gepaart mit permanenten rassistischen Erfahrungen macht Jugendliche der „2. Generation“ also nicht zufällig unangepasst oder aggressiv: Wenn jemand, der sich in seinem Verhalten fast gar nicht von österreichischen Kindern unterscheidet und sich selbst als absolut gleich wahrnimmt, Tag für Tag damit konfrontiert wird, dass er trotz allem nicht ganz dazugehört, dann ist Integration kein gangbarer Weg mehr.
Manchmal führt dann ein emanzipativer Weg gerade zur Religion. Die Untersuchung „Töchter der Gastarbeiter“ von Siegrid Nökel zeigt z.B., dass sich junge gebildete Frauen, die sich von der Gesellschaft als „unterdrückte Muslimin“ diskriminiert fühlen und gleichzeitig mit manchen traditionellen Wertvorstellungen ihrer Familien nicht einverstanden sind, ihren dritten Weg oft in einem aufgeklärten, selbst bestimmten Islam finden, den sie bewusst sichtbar praktizieren.
Die wahre Lösung!
Es liegt also nahe, dass nur fortschrittliche und befreiende Sozialpolitik, entlang von Klassen- anstatt von „Kultur“-Grenzen, gemeinsam mit konsequentem Antirassismus eine Alternative zur Integration sein kann. Das bedeutet in unserer politischen Arbeit, dass wir reformistische Bestrebungen unterstützen müssen, die Migrantinnen und ihren Kindern mehr Rechte zuerkennen. Also: Wahlrecht, Entschärfung des Fremdenrechts, Quotenregelungen im öffentlichen Dienst uvm. Die „Integrationsbedürftigen“ sind bereits integriert – nämlich ganz spezifisch im untersten Segment des Arbeitsmarktes. Diese diskriminierende Form der Einbeziehung zu korrigieren, wäre das eigentlich Erforderliche. Gleichzeitig müssen wir, wenn immer nötig und möglich, Rassismus konfrontieren – sowieso die FPÖ, aber auch Abschiebungen (egal ob von süßen Kindern oder von bärtigen Männern) und jeden anderen Vorfall, den wir beobachten.
Allerdings sind die meisten Menschen mit Migrationshintergrund nicht nur rassistisch benachteiligt, sondern ganz allgemein als Arbeiterinnen und Arbeiter. In einer gemeinsamen Bewegung von Lohnabhängigen, unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion, liegt der Schlüssel für ein wirkliches Ende aller Ausbeutung. Rassismus endet erst da, wo ihn die Solidarität besiegt.
Hannah Krumschnabel ist Verfasserin der Diplomarbeit „Kritik des Integrationsparadigmas. Integration als multiple Ausgrenzungspraxis?“ und spricht am antikapitalistischen Kongress "Marx is Muss". Weitere Infos auf: www.marxismuss.at