Interview mit trans Jugend-Gruppe: „Die queere Community muss enger zusammenrücken“
Wie habt ihr euch als Gruppe gefunden, wie seid ihr aktiv geworden?
Wir wollten ein spezifisches Angebot für junge trans- und nicht-binäre Personen schaffen. Uns war wichtig, nicht von einem transmedicalistischen Ansatz auszugehen – also Trans*[1] nicht primär als medizinische Frage zu betrachten. Das Problem an einem transmedicalistischen Ansatz ist, dass trans Personen aus unterschiedlichsten Gründen ihre Geschlechtsmerkmale medizinisch nicht ändern wollen oder können. Hormone genauso wie Operationen sind beispielsweise extrem teuer und schwer zu bekommen.
Als Gruppe wollen wir nicht binär denken und gender-diverse Personen aktiv einbeziehen. Wir möchten einen Raum schaffen, in dem junge Menschen ihr Gender und ihre Identitäten ausprobieren können. Es wird oft so getan, als wüsste man schon als Kind genau, wer man ist. Meine Erfahrung ist: für viele werden solche Fragen erst in der Pubertät wichtig – wenn man beginnt, sich zu hinterfragen und auszuprobieren.
Genauso wollten wir einen Raum schaffen, der unabhängig von Cis-Personen ist. (Cis bedeutet Personen, die sich mit ihrem zugewiesenen Geschlecht identifizieren.) Viele bestehende Angebote für junge trans Personen in Österreich sind sehr klinisch oder therapeutisch – was legitim ist, aber wir wollten keine reine Selbsthilfegruppe sein. Außerdem sind wir bewusst eine Gruppe junger Menschen; ältere trans Personen sollen hier keine Leitungsrolle übernehmen.
Die Mehrheit der trans* Personen ist links. Unsere Kämpfe drehen sich sehr stark um körperliche Selbstbestimmung – ein uraltes linkes Thema. Die Linke muss hier solidarisch sein und transfeindliche Argumente angreifen. Wenn Transphobie nicht benannt wird, kann man nicht gemeinsam kämpfen.
Wir wollen einen Ort schaffen, an dem junge trans und nicht-binäre Personen sich wohlfühlen und offen über alles reden können. Das kommt sehr gut an: Viele nehmen stundenlange Anfahrtswege aus Niederösterreich oder dem Burgenland auf sich. Wir haben monatliche Treffen, bei denen alle Themen Platz haben – Schule, Ausbildung, persönliche Fragen oder einfach Zeit zum Quatschen und Spaßhaben. Bei einem Treffen haben wir zum Beispiel stundenlang Werwolf gespielt oder eine Halloween-Party organisiert. Wichtig ist uns auch, einen konsumfreien Raum zu schaffen, der spezifisch auf Jugendliche und junge Erwachsene eingeht. Partys drehen sich oft stark um Alkohol und Drogen – bei uns soll es anders sein.
Es ist auch so, dass viele trans Personen neurodivergent sind, also innerhalb des Autismus-Spektrums liegen. Deshalb versuchen wir bei unseren Veranstaltungen auch auf die spezifischen Bedürfnisse neurodivergenter Personen einzugehen. Ebenso möchten wir offen für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen sein.
Ein weiteres Mitglied ergänzt: „Wir wollten regelmäßige Treffen schaffen, die ein erster Anlaufpunkt für junge trans und nicht-binäre Personen sind: Ein Ort, um sich selbst auszuprobieren, Zeit zu verbringen und mit politischem Aktivismus in Kontakt zu kommen. Viele trans Personen interessieren sich für Kunst – bei uns reicht das von Bastelprojekten bis zu Theaterworkshops. Vielleicht gründen wir bald sogar eine Theatergruppe von und für trans und nicht-binäre Jugendliche und junge Erwachsene.“
„Dass wir ein Projekt von und für uns sind, macht uns radikal. Wir wollen mit radikalen Linken zusammenarbeiten und für die Befreiung aller marginalisierten Menschen kämpfen – das bedeutet auch, Kapitalismus und Staat kritisch zu betrachten. Genauso wie sich die radikale Linke mit den Kämpfen der queeren Community auseinandersetzen muss, müssen wir uns mit Themen wie Kolonialismus, Rassismus und Sexismus beschäftigen. Wir brauchen Community und Klassenbewusstsein. Wir dürfen uns nicht weiter spalten, sondern müssen gemeinsam gegen Unterdrückung kämpfen. Dass sich so viele queere Menschen für Palästina einsetzen, zeigt, wie solche Kämpfe zusammengeführt werden können.“
Was kann die queere Community tun, um stärker auf die Bedürfnisse junger trans und nicht-binärer Personen einzugehen?
„Es geht vor allem darum, mit uns als jungen Personen in Kontakt zu treten und uns selbst zu Wort kommen zu lassen – nicht nur über uns zu sprechen. Dabei sollte ebenso klar sein, dass wir zum Teil eigene Interessen haben, die von älteren Personen nicht automatisch verstanden werden können.
Es ist aber auch generell wichtig, dass die queere Community enger zusammenrückt, sich weniger aufspaltet und sich nicht ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Wir wenden uns jedoch nicht nur an die queere Community, sondern wollen uns ganz bewusst und selbstbewusst in der Öffentlichkeit zeigen. Insofern ist es auch wichtig, dass Cis-Personen auf uns zugehen – und das bedeutet vor allem, sich mit unseren Problemen auseinanderzusetzen.“
Was würdet ihr sagen, sind die Hauptprobleme, gegen die ihr euch zusammengeschlossen habt? Geht es vor allem um Schule oder Gesundheitsversorgung?
Grundsätzlich gibt es in allen Lebensbereichen Probleme – von der Arbeit über Schule und Mobbing bis hin zu medizinischen Fragen. Wenn du sichtbar trans bist und dich irgendwo bewirbst: Wie viele Unternehmen lehnen dich von vornherein ab? Viele trans Personen sagen: „Mir ist egal, was ich arbeite – Hauptsache, ich werde akzeptiert und darf anziehen, was ich will.“ Selbst diese minimalen Ansprüche sind oft schwer zu erfüllen.
Besondere Probleme haben geflüchtete trans Personen. Ich kenne eine Person aus Ungarn, die keinen Flüchtlingsstatus bekommt. Sie lebte fünf Jahre auf der Straße, weil ihre Eltern sie nach ihrem Coming-out rausgeworfen und geschlagen haben. Da Ungarn EU-Mitglied ist, erhält sie in Österreich kaum Unterstützung. Wir versuchen gerade, ihr Wohnraum und Arbeit zu organisieren.

Natürlich spielen auch medizinische Fragen eine große Rolle, und hier müsste sich viel ändern. Aber nicht alle trans oder nicht-binären Personen wollen Hormone – manche wollen nicht, andere können nicht. Bei uns ist die klare Botschaft, dass jeder willkommen ist und die Chance hat, sich in seinem Körper und Auftreten auszuprobieren. Ein verbreiteter Mythos ist, dass trans Personen ihren Körper automatisch hassen müssen. Dieses Denken wird teilweise von transmedicalistischen Influencern verstärkt. Aber trans Menschen sind unterschiedlich – manche fühlen sich wohl in ihrem Körper, andere nicht. Es muss legitim sein, keine Hormone zu nehmen oder sich nicht operieren zu wollen.
Ein weiteres Mitglied ergänzt: „Ebenso wie es legitim sein muss, einen Transitions-Weg zu gehen, der keine medizinische Notwendigkeit bedarf, ist es auf der anderen Seite genauso wichtig, weiter für einen breiten medizinischen Zugang für trans* Menschen, vor allem trans Jugendliche, zu kämpfen, da dieser lebensrettend sein kann. Hier sieht man vor allem, wie divers die Bedürfnisse von trans Personen sein können, und dass es umso wichtiger ist, alle trans Lebensrealitäten zu respektieren, zu zelebrieren und zu unterstützen – man muss für einen breiten, einfachen Zugang bei der Gesundheitsversorgung kämpfen und im selben Atemzug atypische Transitionen respektieren. Denn wir sind im gemeinsamen Kampf vereint.“
Wie sieht konkret die medizinische Situation aus?
Wenn du Hormone möchtest, brauchst du drei Stellungnahmen: eine psychiatrische, eine psychotherapeutische und eine psychologische. Wenn du nicht drei Jahre warten willst, musst du diese Gutachten privat zahlen – meist rund 300 Euro pro Gutachten. Wer kann sich das leisten? Ich musste für eine Diagnostik nach Perchtoldsdorf fahren – fast zwei Stunden – und wieder 300 Euro zahlen.
Dazu kommt noch: Psychiater:innen sind oft wenig empathisch gegenüber trans* Personen. Dadurch kommt es in medizinischen Strukturen zu übergriffigem Verhalten gegenüber jungen trans Personen. Darüber wird viel zu wenig gesprochen. Ich kenne sehr viele Fälle von sexueller Belästigung durch Diagnostiker:innen.
Theoretisch können Hausärzt:innen oder Urolog:innen Hormone verschreiben – aber viele wissen nicht, dass sie es dürfen oder tun es prinzipiell nicht. In der medizinischen Ausbildung lernt man fast nichts über trans* Menschen. Das führt zu dem Problem, dass es wenig geschultes Personal gibt. Im schlimmsten Schritt muss man sich dann bei Diagnostiker:innen in den billigsten Stereotypen präsentieren. Wenn du nicht dem Klischee entsprichst, heißt es schnell: „Du bist nicht wirklich trans.“
Nicht alle trans oder nicht-binären Personen wollen Hormone – manche wollen nicht, andere können nicht. Bei uns ist die klare Botschaft, dass jeder willkommen ist und die Chance hat, sich in seinem Körper und Auftreten auszuprobieren. Ein verbreiteter Mythos ist, dass trans Personen ihren Körper automatisch hassen müssen.
Eine andere Person der Gruppe ergänzt: „Es fehlt an grundlegender Bildung über trans Gesundheit. Wir haben fünf Jahre Wartezeit auf geschlechtsangleichende Operationen für transfeminine Personen in Wien – und dazu einen Aufnahmestopp für neue Patient:innen. In meinen Augen gehören die Gutachterpflichten generell abgeschafft. Unterstützung für trans Personen muss Teil der regulären Gesundheitsversorgung sein.“
Wie sieht die aktuelle Gesetzeslage aus?
Es wird noch mit der Diagnose „Transsexualismus“ gearbeitet. Das ist problematisch, weil Transsein hier als Störung definiert wird – obwohl es keine Störung ist. Aber damit die Krankenkasse zahlt, muss es als Störung codiert sein. Rechte benutzen diese Diagnose dann, um gegen uns zu hetzen.
In den neuen Richtlinien der WHO zur „Internationalen Klassifikation von Krankheiten“, dem ICD-11, wird nicht mehr von Transsexualismus, sondern Geschlechtsinkongruenz gesprochen. Dadurch wird Transsexualismus nicht mehr als psychische Störung klassifiziert, sondern unter „Zustände im Zusammenhang mit sexueller Gesundheit“ aufgelistet. Das wäre ein Fortschritt, aber in Österreich wird der ICD-11, der seit 2022 von Ärzt:innen verwendet werden könnte, noch nicht eingesetzt.
Wie schätzt ihr die gesellschaftliche Entwicklung generell ein? Gibt es eher Fortschritte oder Rückschritte?
Ja, es gibt Fortschritte und mehr Sichtbarkeit – aber Sichtbarkeit ohne Schutz bedeutet auch Verletzlichkeit. Man kann nicht allgemein von Verbesserungen sprechen, weil Diskriminierung verschiedene Gruppen unterschiedlich trifft. Schwarze trans Personen sind in Österreich zum Beispiel weiterhin stark von Rassismus betroffen. Im aktuellen politischen Klima nimmt Rassismus extrem zu, insofern würde ich nicht generell von Fortschritten sprechen.
Wir erleben einen starken Rechtsruck. Der RFS hetzt an den Unis gegen trans Personen, und rechte Politik aus England und den USA beeinflusst Österreich.
Eine weitere Person: „Internationale anti-trans Netzwerke wirken in Österreich sehr stark. Dominik Nepp oder Faika El-Nagashi verbreiten Stimmung gegen trans Personen. Immer wieder werden Frauenrechte gegen trans Rechte ausgespielt. Wir müssen klarstellen: Geschlechtsidentität ist kein ‚Trend‘ und keine Ideologie, sondern ein Teil eines Menschen.“
Eine weitere Person: „Internationale anti-trans Netzwerke wirken in Österreich sehr stark. Dominik Nepp oder Faika El-Nagashi verbreiten Stimmung gegen trans Personen. Immer wieder werden Frauenrechte gegen trans Rechte ausgespielt. Wir müssen klarstellen: Geschlechtsidentität ist kein ‚Trend‘ und keine Ideologie, sondern ein Teil eines Menschen.“
Weitere Person der Gruppe: „Ja, es gibt Fortschritte – etwa im Wiener Regierungsprogramm oder in der Erfassung von Hate Crimes. Jüngere Menschen akzeptieren uns öfter. Aber Reaktionäre träumen davon, Rückschritte wie in den USA zu wiederholen. Wir müssen weg von der Skandalisierung und mehr in Kontakt mit der Allgemeinheit gehen. Unsere Körper sichtbar zu machen, ist ein radikaler Akt. Und wir müssen Spaltungen innerhalb der Community überwinden.“
Ihr habt euch auf Instagram klar gegen die ÖVP-Jugendsprecherin Plakolm positioniert. Warum?
Man merkt sofort, dass sie keine Ahnung hat. Ihre Aussage über „verwirrte Mädchen, die sich Testosteron spritzen“ hat nichts mit der Realität zu tun. Die Hürden, Hormone zu bekommen, sind extrem hoch. Minderjährigkeit bedeutet auch nicht, dass man nicht mündig wäre, über den eigenen Körper zu entscheiden. „My body, my choice“ gilt für alle.
Viele Mythen sind wissenschaftlich widerlegt. Hormonblocker werden auch bei cis Jugendlichen verwendet – da ist es kein Problem. Aber sobald es um trans Jugendliche geht, wird es zum Politikum. Hormonblocker verzögern die Pubertät, stoppen sie aber nicht einfach. Darum kann man sie auch verwenden, um zu sagen: Ich fühle mich jetzt nicht bereit, diese Änderungen der Pubertät durchzumachen. Zu einem späteren Zeitpunkt kann man Hormonblocker auch wieder absetzen und dadurch wieder in die Pubertät kommen.
Wie könnte Zusammenarbeit zwischen radikaler Linker und trans* Community aussehen?
Die Mehrheit der trans* Personen ist links. Unsere Kämpfe drehen sich sehr stark um körperliche Selbstbestimmung – ein uraltes linkes Thema. Die Linke muss hier solidarisch sein und transfeindliche Argumente angreifen. Wenn Transphobie nicht benannt wird, kann man nicht gemeinsam kämpfen. Proteste wie der „Trans Day of Remembrance“ sind deshalb wichtig. Je breiter sie unterstützt werden, desto stärker ist unsere Bewegung.
Generell ist auch festzuhalten, dass Transfeindlichkeit politisch benutzt wird, um von sozialen Problemen abzulenken. Gleichzeitig werden Reiche auf Kosten der Gesellschaft immer reicher, der Kapitalismus floriert und vor allem marginalisierte Personen zahlen den Preis. Wir finden: Als Teil einer marginalisierten Gruppe ist es gegeben, solidarisch zu sein und linken Aktivismus zu betreiben.
Das Interview führten Sophia Renner und David Reisinger. Neben Panda lieferten auch weitere Mitglieder der Gruppe transandnonbinaryyouthvienna ihre Einschätzungen zu den aktuellen Entwicklungen im Kampf um Trans-Rechte.
[1] Der * hat eine ähnliche Funktion wie + bei LGBTIQ+, er bedeutet das auch Personen die sich keinen Geschlecht zuordnen können oder wollen in den trans-Begriff inkludiert werden