Kuba –Ist das Sozialismus?
Die Covid-Pandemie hat in Österreich die katastrophalen Folgen des jahrzehntelangen Sozialabbaus sichtbar gemacht. Das Gerangel um die Impfstoffe, bei dem wie selbstverständlich die ärmeren Länder von den üblichen Verdächtigen aus den kapitalistischen Zentren heraus niedergetrampelt werden, entlarvt das Beschwören von gemeinsamer Pandemie-Bekämpfung als leeres Gerede.
Währenddessen sendet Kuba Ärzt_innen rund um die Welt. Die Internationale Medizinische Brigade Henry Reeve (benannt nach einem Kämpfer für die Unabhängigkeit Kubas von den spanischen Kolonialherren) ist überall da im Einsatz, wo um Hilfe gerufen wird: in Indonesien nach Erdbeben, in Westafrika aufgrund der Ebola-Pandemie, in Haiti wegen der von UNO-Soldaten eingeschleppten Cholera. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie war die Gesundheitsbrigade in mehr als 60 Ländern weltweit im Einsatz.
Kuba und Corona
Die Ärztin Ana Perez reiste als Teil der Brigade nach Angola. Bei ihrer Abschiedsfeier steht Perez gemeinsam mit ihren Kolleg_innen im weißen Kittel und militärischer Haltung, sie recken die Fäuste und rufen „¡Hasta la Victoria Siempre!“ – Für immer bis zum Sieg!, jenen berühmt gewordenen Abschiedsgruß von Ernesto Che Guevara. Wir „zeigen, dass wir würdige Repräsentanten unseres solidarischen Landes sind“, erklärt Perez.
Zur Pandemiebekämpfung im eigenen Land ziehen Mediziner_innen täglich von Haus zu Haus, um die Menschen auf Symptome zu prüfen und ihnen den Gang in die Praxis zu ersparen. So sollten Infektionsketten erst gar nicht entstehen.
Dass Kuba derart viele Ärzte hat, liegt vor allem an der kostenlosen Ausbildung. Freie Bildung und kostenlose Gesundheitsversorgung zählten zu den ersten Errungenschaften der Revolution: überall wurden Schulen und Krankenhäuser errichtet, mobile Bibliotheken, etwa in Bussen, wurden in die ländlichen Regionen geschickt und offensive Alphabetisierungskampagnen sollten die Menschen jeden Alters erreichen. Außerdem sind die Ärzte ein „Exportgut“. Andere Länder zahlen für ihren Einsatz, dieses Geld wiederum fließt in Kubas Gesundheitssystem. Trotzdem stehen auch in Kuba die Krankenhäuser derzeit kurz vor dem Kollaps. Nach jahrzehntelangen Wirtschaftsblockaden fehlt es an Medikamenten und technischer Ausrüstung.
Einer der wichtigsten Wirtschaftszweige Kubas ist der Tourismus, der aufgrund der steigenden Covid-Zahlen brachliegt. Kubas Hoffnung ist ein eigener Impfstoff – gleich fünf verschiedene wurden entwickelt. Für die vielversprechendsten, Soberana 02 und Abdala, wird mit einer Zulassung im Juli gerechnet. 100 Millionen Dosen sollen bis Ende des Jahres produziert werden; nach Einschätzung der Washington Post ist es wahrscheinlich, dass Kuba eines der ersten Länder mit Herdenimmunität sein wird. Das Tourismusministerium setzte gleich einen neuen Slogan auf: „Strände, Karibik, Mojitos und ein Impfstoff“. Der Plan ist aber nicht nur, mit den Impfstoffen Touristen aus dem Westen anzulocken, sondern der Export vor allem in Länder des globalen Südens.
Dass Kuba derart viele Ärzte hat, liegt vor allem an der kostenlosen Ausbildung. Freie Bildung und kostenlose Gesundheitsversorgung zählten zu den ersten Errungenschaften der Revolution
Solidarität, von Anfang an eines der Schlagworte der internationalen Arbeiter_innenbewegung, schreibt sich Kuba mit Initiativen wie der Ärztebrigade groß auf die Fahnen. Seit dem Zusammenbruch des ehemaligen Verbündeten Sowjetunion ist die Karibikinsel eines der letzten verbliebenen „realsozialistischen“ Länder der Welt. Doch der Wettstreit mit dem westlichen Imperialismus ist nicht vorbei. Umso größer wiegt für Kuba die Entsendung von 53 Ärzten nach Norditalien im März letzten Jahres. Ein europäisches Land im Zentrum des Kapitalismus ist auf die Hilfe der als kommunistisch geächteten Insel angewiesen – ein enormer ideologischer Sieg für Kuba.
„¡Hasta la Victoria Siempre!“
Aber wie sehen die ideologischen Pfeiler Kubas aus? Wie viel Sozialismus steckt tatsächlich in der kubanischen Revolution?
Noch im Mai 1959, wenige Monate nach dem Sieg der Revolution, erklärte Castro, Kuba solle einen Weg gehen „zwischen dem Kapitalismus, der die Menschen aushungert, und dem Kommunismus, der ihre wirtschaftlichen Probleme löst, aber dafür die Freiheiten unterdrückt, die ihnen so teuer sind. […] Wir sind weder mit dem einen noch mit dem anderen einverstanden.“
Mit Kommunismus meinte Castro die staatskapitalistischen oder „realsozialistischen“ Diktaturen Osteuropas, die mit der Befreiung der Arbeiterklasse nichts gemein hatten. Die Rebellenarmee verfolgte weder das eine noch das andere Ziel. Unter den Anführern waren lediglich Guevara und Fidels Bruder Raúl Castro dem „Realsozialismus“ nahe stehend. Ihr Ziel war in erster Linie der Sturz des Diktators Batista und die endgültige Befreiung Kubas von jeder Fremdherrschaft. Kubas Geschichte war von Kolonialismus geprägt, aber auch von Unabhängigkeitskriegen. Der bekannteste daraus hervorgegangene Held ist José Martí – der kubanische Nationalheld schlechthin. Castro sah sich selbst in Martís Tradition, und dieser Ansatz eines antikolonialen, nationalen Befreiungskampfes war die treibende Kraft der Revolution. Der Anwalt
Fidel Castro trat schon 1952 bei der Präsidentenwahl für die antikommunistisch eingestellten Orthodoxen (Anhänger Martís) an, und wurde prompt Batista gefährlich. Batista setzte kurzerhand die Verfassung außer Kraft und riss die Macht an sich. Am 26. Juli 1953 startete Castro mit 165 Mitstreitern seinen legendären Angriff auf die Moncada- Kaserne in Santiago de Cuba, was ihn landesweit bekannt machte. Noch heute ist der 26. Juli der Revolutionsfeiertag und gab der Movimiento 26 de Julio (M26) ihren Namen.
Nach seiner Haft ging Castro 1955 ins Exil nach Mexiko, wo er Raúl und Guevara traf. Mit 82 Mann nahmen sie am 25. November 1956 mit der „Granma“ Kurs auf Kuba. Bei der Ankunft war der vereinbarte Aufstand der M26 niedergeschlagen, die Rebellen gerieten in einen Hinterhalt und nur zwölf Männer konnten sich in die Bergregion der Sierra Maestra retten. Die 1925 im Zuge einer Streikbewegung gegründete PCC, die Partido Comunista de Cuba, begegnete den Rebellen anfangs skeptisch, unterstützte sie aber ab Mitte 1958. In der Silvesternacht desselben Jahres floh Batista außer Landes, am 1. Januar 1959 zogen die Revolutionär_innen nach Jahren des Guerillakampfes siegreich in Havanna ein.
Antikolonialismus
„Unsere Revolution ist nicht rot, sondern olivgrün. Sie trägt die Farbe der Rebellenarmee der Sierra Maestra“, verkündete Castro im Mai 1959 und betonte damit einmal mehr den Fokus auf die Befreiung der Nation anstatt auf die der ausgebeuteten Klassen. Nichtsdestotrotz wurde die PCC als einzige Partei nicht verboten. Für die besitzende Klasse wurde es ungemütlich: Großgrundbesitzer wurden enteignet und das Land umverteilt, die Mieten wurden um 30 bis 50 Prozent gesenkt, ebenso die Preise für Strom und Medikamente, die Löhne der einfachen Arbeiter_innen hingegen erhöht
Da Castro finanzielle Hilfen der USA, der Weltbank und des IWF ablehnte – zu oft hatten die USA versucht, Kuba unter ihre Herrschaft zu bringen – und stattdessen Gespräche mit der Sowjetunion aufnahm, kam es zum offenen Bruch mit den USA. Als kleiner Staat war Kuba auf Verbündete angewiesen; aufgrund der Ablehnung gegenüber den USA kam nur die Sowjetunion in Frage. Diese wiederum verfolgte aufgrund der Nähe Kubas zur US-Küste geostrategische Interessen. US-Konzerne auf Kuba weigerten sich, das von der Sowjetunion kommende Erdöl zu verarbeiten. Kurzerhand verstaatlichte Castro die Industrie und landete für die USA auf der Liste der zu bekämpfenden Kommunisten. Kuba wurde zu einem Hauptschauplatz des Kalten Krieges.
1960 verhängten die USA ein Handelsembargo über Kuba, es folgten mehrere Anschläge und Attentatsversuche, v.a. auf Castro. Im April 1961 starteten die USA die „Invasion in der Schweinebucht“: von der CIA angeheuerte Exilkubaner griffen am Playa Girón an, wurden jedoch besiegt – eine schmachvolle Niederlage für die USA. 1962 beschloss die Sowjetunion als Reaktion auf in der Türkei stationierte US-Atomraketen seinerseits Atomwaffen auf Kuba zu postieren. Der knappe Ausgang der sogenannten Kubakrise ist bekannt.
Der eigenen Linie treu (und der sowjetischen entgegen) unterstützte Kuba Unabhängigkeitsbewegungen weltweit, wie jene Algeriens oder Angolas, mit Geld, Waffen und Soldaten. Kuba sah sich als Vorreiter und veranstaltete 1966 die erste Trikontinentale Konferenz. Dort sollten die nationalen Befreiungsbewegungen Lateinamerikas, Asiens und Afrikas gebündelt werden.
Patria o muerte – Vaterland oder Tod
Kubas Nationalbewusstsein gründet auf der Revolution. An jeder Wand prangen Bildnisse der Rebellen und Schriftzüge wie „Socialismo o muerte“ (Sozialismus oder Tod) oder „Patria o muerte“ – Vaterland oder Tod. Und hier wird der Widerspruch wieder sichtbar: Sozialismus und Vaterland sind schwer zusammenzubringen. „Die Arbeiter haben kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben“, schreiben Marx und Engels im Kommunistischen Manifest. Das Vaterland bzw. „die Nation“ ist mit dem Bürgertum entstanden und sichert in erster Linie das Recht auf Eigentum. In der eigenen Nation wird dieses „Recht“ mit der Polizei durchgesetzt, im Wettkampf mit anderen Nationen mit dem Militär (Kampf um Rohstoffe etc.). Im Gegensatz zum Kampf der kapitalistischen Staaten untereinander steht die Klasse der Arbeitenden aber im Kampf mit denjenigen, die von ihrer Arbeit profitieren – der Kampf der Arbeiter_innen ist also nicht der gegen andere Staaten, sondern der gegen die Ausbeuter, die Kapitalisten, egal welcher Nation diese angehören.
In Bezug auf Länder, in denen weder das Bürgertum weit entwickelt noch die Industriearbeiterklasse zahlenmäßig groß genug ist, verfasste der russische Revolutionär Leo Trotzki die Theorie der „Permanenten Revolution“. Das Proletariat solle – in Kooperation mit den Bauern – die antifeudale Revolution direkt in die sozialistische weiterführen. Dadurch würden die Verhältnisse in den weiter entwickelten, imperialistischen Staaten ins Wanken gebracht und der Sozialismus könne weiterverbreitet werden. In Kuba jedoch spielte weder die Arbeiter_innenklasse noch die Bauernschaft eine tragende Rolle. Castros Aufruf zu einem Generalstreik im April 1958 blieb ohne Folgen. Die Rebellenarmee bestand in erster Linie aus Intellektuellen der Mittelklasse, denen sich nach und nach Bauern anschlossen. Der Trotzkist Tony Cliff sprach in Bezug auf Kuba (wie auch auf Maos China) von einer umgelenkten permanenten Revolution: wenn die Arbeiter_innenklasse in einer revolutionären Situation passiv bleibt, können kleinbürgerliche Kräfte, wie Künstler oder Intellektuelle, die Revolution in eine nicht-sozialistische Bahn „umlenken“.
Guevara leitete aus seiner Erfahrung die „Fokustheorie“ ab, wonach die objektiven Faktoren einer Revolution, wie die Entwicklung eines Industrieproletariats, umgangen und durch die Guerillakämpfer selbst geschaffen werden könnten. In seinem Kubanischen Tagebuch schreibt er: „Aus vielen aufrichtigen Bemühungen einfacher Menschen ist das Gebäude der Revolution entstanden; unser Auftrag ist, das Gute zu entwickeln, das Edle in jedem Einzelnen, und jeden Menschen zu einem Revolutionär zu machen.“ Zwar setzte er sich für die Weltrevolution ein, doch sein Ansatz, den Unterdrückten die Befreiung bringen zu können, weicht grundlegend von der marxistischen Überzeugung ab, der zufolge eine Revolution einzig als selbständige Aktion von der Arbeiter_innenklasse verwirklicht werden kann. Anstatt durch eine Revolution von unten wurde die neue Staatsausrichtung von oben vorgegeben.
Ein sozialistisches Paradies ist Kuba nicht. Es ist ein Beispiel dafür, wie viel der Traum einer Welt ohne Ungerechtigkeit erreichen kann, selbst innerhalb einer kapitalistisch organisierten Welt.
Zwangsweise bildete sich in Kuba eine neue herrschende Klasse und um Castro ein wahrer Führerkult. „Comandante en Jefe de la Revolución Cubana“ (Oberbefehlshaber der kubanischen Revolution) und „Máximo Líder“ (Oberster Führer) waren seine Titel. Statt im Sozialismus mündete Kuba, ähnlich der Sowjetunion, im Staatskapitalismus. Die Produktionsmittel gehören einer bürokratischen Elite im Staat, die Arbeiter_innen hatten weder politische noch ökonomische Macht errungen.
Kuba heute
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion brachen auch in Kuba Unruhen aus – so wenig das russische Imperium sozialistisch war, so wenig waren es seine Satellitenstaaten. Castro ließ erstmals Menschen legal die Insel verlassen und musste sich neue Verbündete suchen. Einen solchen fand er in Hugo Chávez, den Präsidenten Venezuelas und Vertreter des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“. Im Gegenzug für verbilligtes Öl schickte Kuba Lehr_innen und Ärzt_innen. Als diese bei weiten Teilen der Bevölkerung verschiedene Sehschwächen feststellten, flog Kuba diese Menschen kurzerhand ein und nahm auf Staatskosten Operationen vor. Die „Operation Wunder“ wurde auch auf andere lateinamerikanische Länder ausgeweitet.
Doch den Errungenschaften der Revolution stehen massive Repressionen gegenüber. Castro internierte Homosexuelle in Konzentrationslagern, unliebsame Journalist_innen und Schriftsteller_innen wurden ebenso weggesperrt oder ins Exil gedrängt. Was Kuba heute als seine Tugenden verkauft, ist vor allem aus der Not heraus entstanden. Die Insel wird als wahres Bio-Paradies angesehen, Pestizide sind beinahe komplett verboten und vom weltweit grassierenden Bienensterben ist Kuba nicht betroffen. In den Städten entstehen mehr und mehr Farmen, sogenannte Organopónicos. Allerdings ist das notwendig, da aufgrund des Embargos der Großteil der Nahrung auf der Insel selbst hergestellt werden muss und die Menschen zur Selbstversorgung und damit zur Nutzung jeder freien Fläche gezwungen sind. Das Pestizidverbot entstand nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und damit, den ausbleibenden Öl-Lieferungen – einem Grundbestandteil von Düngemittel. Als 2017 der Hurrikan Irma über den Atlantik fegte, fielen in Havanna die Balkone in den ärmeren Vierteln wie überreife Äpfel von den Häusern und begruben Menschen unter sich. Der Staat entsandte das Militär für die Aufräumarbeiten aber zuallererst nach Varadero, einem beliebten Urlaubsparadies.
Ein sozialistisches Paradies ist Kuba nicht. Es ist ein Beispiel dafür, wie viel der Traum einer Welt ohne Ungerechtigkeit erreichen kann, selbst innerhalb einer kapitalistisch organisierten Welt. Auch in anderen sowjetischen Satellitenstaaten, wie der DDR, war der Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen im Gegensatz zu „westlichen“ Staaten viel leichter – vergleichbar vielleicht mit den Errungenschaften der Sozialdemokraten im „Roten Wien“. Kuba ist ein Beispiel dafür, dass ein einziges Land nicht in der Lage ist, den Sozialismus zu verwirklichen – ähnlich wie in der Sowjetunion in ihren Anfangsjahren, war der Druck, mit der globalen Wirtschaft mithalten zu müssen, um überlebensfähig zu sein, zu groß. „Sozialismus in einem Land“, wie Stalin propagierte, ist zum Scheitern verurteilt. Als Teil einer letzten Bastion, die sich gegen den US-geführten Imperialismus stellt, muss Kuba selbstverständlich von allen Linken verteidigt werden. Dazu müssen wir es aber nicht künstlich tiefrot einfärben.
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