Linke müssen Islamfeindlichkeit bekämpfen
Stimmungsmache gegen Muslim_innen hat in der österreichischen Politik immer breiteren Raum eingenommen, seit Sebastian Kurz sich ein Image als harter Rechtsaußenpolitiker aufzubauen begonnen hat. Die Regierung hatte im Herbst 2015 einige Mühe die Initiative zurückzuerobern, nachdem die Flüchtlingsbewegung über Monate die Innenpolitik beherrscht hat. Eine restriktive Asylspolitik, die Schließung der „Balkanroute“, die Nicht-Einhaltung von Vereinbarungen zur Verteilung von Flüchtlingen, die aktuellen Provokationen gegen Italien mit der Forderung, Flüchtlinge auf den italienischen Inseln festzuhalten, sind alles Teil dieser Gegenoffensive der Regierung und einer Profilierungskampagne des Außenministers.
Die politische Linke reagiert auf Kurz‘ Vorstöße einigermaßen hilflos, um es milde auszudrücken. Als die Fälschung der Studien über muslimische Kindergärten ans Tageslicht kam, nutzte SPÖ-Vorsitzender Kern nicht die Gunst der Stunde um seinen Kontrahenten bei der bevorstehenden Wahl anzugreifen. Er gab ihm sogar Rückendeckung, was damit zu tun haben mag, dass er Islamfeindlichkeit für zu populär hält, um ihr entgegenzutreten.
Gegen Islamfeindlichkeit
Allerdings hat auch die radikale Linke kaum Protest geäußert, geschweige denn organisiert, als die Manipulationen um die Kindergarten-Studie ans Tageslicht kamen. Die Stimmungsmache gegen die muslimische Bevölkerung hat nicht nur Symbolcharakter, sondern auch handfeste Auswirkungen, wie Kindergärtnerinnen im Interview gegenüber Neue Linkswende erklären. Kinder wurden bei Ausflügen mit ihrem Kindergarten tätlich angegriffen.
Aber es wird noch schlimmer kommen, antimuslimischer Rassismus vonseiten der Regierenden, der FPÖ oder anderen Kräften wird nicht von selbst wieder verschwinden, sondern nur, wenn es eine entsprechende Reaktion darauf gibt. Dazu braucht es ein Bewusstsein unter allen Linken und allen Antirassist_innen, dass wir es bei Islamfeindlichkeit überhaupt mit Rassismus zu tun haben und es braucht eine selbstbewusste Reaktion der Betroffenen selbst. Wir brauchen eine antirassistische Bewegung, die sich aktiv darum bemüht, die muslimische Bevölkerung Österreichs in die Bewegung zu inkludieren. Und dafür müssen Teile der Linken mit ihrem Vorurteil brechen, dass „Religion die Wurzel allen Übels“ ist.
Marx und die Religionskritiker
Es war ein Lehrer von Karl Marx, Ludwig Feuerbach, der Religion als eines denkenden Menschen unwürdig nannte. In seiner Antwort gegen Feuerbachs Thesen formulierte Karl Marx Mitte der 1840er-Jahre seine Vorstellungen vom historischen Materialismus. Feuerbach behauptete, dass Religion den Menschen degradiere, indem sie illusorische Ideale wie Gott oder den Himmel über die Menschheit und die materielle Welt stelle. Für Feuerbach waren also Ideen die Schöpfer von Gesellschaft, ihr prägendster Einfluss.
Marx stützte sich auf Feuerbach als er dessen konservative Schlüsse widerlegte. Sehr prägnant antwortete er: „Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen.“ Er setzte fort, indem er beschreibt, wie die realen Erfahrungen von Unrecht und Leid zu Religiosität führen. „Dieser Staat, diese Sozietät produzieren die Religion, ein verkehrtes Weltbewusstsein, weil sie eine verkehrte Welt sind. Die Religion ist die allgemeine Theorie dieser Welt.“ Wolle man wirklich die Religion bekämpfen, dann nicht, indem man die Religiosität bekämpft, sondern indem man das Unrecht bekämpft, das Menschen religiös werden lässt. „Der Kampf gegen die Religion ist also mittelbar der Kampf gegen jene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist.“
Dann folgt einer der berühmtesten Sätze von Marx, der fast so häufig missbraucht wird, wie er zitiert wird: Religion ist das Opium des Volkes. Wer sich herablassend über Religion oder gläubige Menschen äußern will, der wirft den Satz ein, und meint damit, das Volke ließe sich mit Religion betäuben und süchtig machen, als willenloses Objekt. Liest man die ganze Passage, dann kommt das Gegenteil zur Geltung: „Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.“
Wenn wir Marx‘ Religionskritik auf die unterschiedliche politische Geschichte in Westeuropa und dem „Orient“ anwenden, dann ist klar, dass der Rückgang von Religiosität in den führenden westlichen Nationen nicht auf einer geistigen Überlegenheit beruht und die Persistenz von Religion in anderen Regionen nicht auf Rückständigkeit. Die marxistische Interpretation von Religion als die Suche nach einer überirdischen Lösung im Jenseits für reales Leiden und Unrecht im Diesseits sollte konsequenterweise auf alle Glaubensbekenntnisse angewendet werden.
Der Feind von außen
Was Peter Pilz in einem Interview mit dem Kurier gesagt hat, drückt eine Meinung von vielen Linken aus: der Islam hielte seine Anhänger in Rückständigkeit gefangen, während das Judentum und das Christentum Selbstzweifel angeregt hätten und der Bevölkerung einiger europäischer Nationen einen Weg in die Selbstbefreiung von religiösen Fesseln erlaubt hätte. Pilz erklärte im Interview, dass er bei der Wahl mit nur einem Thema antreten wolle: „der Verteidigung unserer Kultur.“ Es gebe „nur ein Europa mit seinem Sozialstaat, seiner Presse- und Meinungsfreiheit und dem Versammlungsrecht. Das muss man schützen“. Der Feind von Europa sei der politische Islam, der „unsere Heimat zerstören wolle!“
Bezeichnend ist auch, dass Peter Pilz, der zumindest unter Rechten als Linker gilt, versucht den bisherigen Tiefpunkt seiner politischen Karriere mit Antiislamismus wieder wettzumachen (gemeint ist der Verlust einer Abstimmung um einen Listenplatz für die Nationalratswahl 2017).
Resultat ist Chauvinismus
Nicht nur von Pilz wird den westeuropäischen Gesellschaften, die von Generation zu Generation immer säkularer und atheistischer geworden sind, mittlerweile eine „jüdisch-christliche Identität“ zugeschrieben, die als Vorbedingung für positive Entwicklungen, wie die Aufklärung und die Moderne, dargestellt werden. Dieser vermeintlich positiven religiösen Geschichte wird die islamische Welt gegenüber gestellt, deren Werte mit der westlichen oder jüdisch-christlichen nicht vereinbar seien. Unsere jüdisch-christliche Geschichte hätte uns die Loslösung von der Religiosität ermöglicht, die islamische dagegen hielte ihre Bevölkerung in einem irrationalen Zustand fest.
Diese Sichtweise ist mehrfach problematisch: sie führt in eine chauvinistische Haltung, die eine scheinbare kulturelle und geistige Überlegenheit der eigenen Gruppe behauptet, gepaart mit einer verächtlichen Haltung den „Anderen“ gegenüber. Damit lehnt man sich an die Ideologie unserer herrschenden Eliten und der extremen Rechten an, ob man das will oder nicht. Und diese Sichtweise ist wie die von Feuerbach idealistisch, weil sie davon ausgeht, dass die Religion den Menschen und die Gesellschaft (aus-)macht und nicht umgekehrt.
Ungleichmäßige Entwicklung
Ein nüchterner Blick zeigt doch, dass wir in einer Welt leben, die von Ungleichheit geprägt ist. Der russische Revolutionär Leo Trotzki beschrieb die Gegensätze zwischen „fortschrittlichen“ und „rückständigen“ Nationen als typisch für den Kapitalismus. Kapitalismus entwickelte sich in wenigen Regionen der Erde, und das Kapital beutete andere Regionen aus, modernisierte sie zwangsweise und hemmte gleichzeitig ihre Entwicklung. Er nannte das die „ungleichmäßige und kombinierte Entwicklung“.
Auch die postkolonialen Theorien betonen die hemmende Rolle der Kolonialmächte auf die Entwicklung der Kolonien bei gleichzeitiger, erzwungener Modernsierung. Diese Beobachtungen erklären viel überzeugender, warum Religion in den führenden Industrienationen einen anderen Stellenwert hat, als etwa in der islamischen Welt.
Islamismus und Kapitalismus
Der britische Marxist Chris Harman hat 1994 eine Studie über verschiedene islamistische Strömungen verfasst. In allen untersuchten Fällen kommt man zu dem Ergebnis, dass ein Versagen anderer politischer Strömungen erst den Aufschwung von islamistischen Strömungen ermöglicht. Erst wenn die Versprechen, die eigene Nation von den Fesseln des Imperialismus und der korrupten eigenen Eliten zu befreien, in aller Öffentlichkeit gescheitert waren, gelang den Islamisten der entscheidende Durchbruch. Das war so bei der Hamas in Palästina, die erst 2006 die absolute Mehrheit bei Wahlen erringen konnte, nachdem sowohl die Fatah (arabisch nationalistisch) als auch die PFLP (nationalistisch mit sozialistischem Anstrich) bei großen Teilen der Bevölkerung durchgefallen waren. Eine ähnliche Entwicklung ging dem Aufstieg der Muslimbruderschaft in Ägypten voraus, oder dem der Hisbollah im Libanon.
Was all diese Länder auszeichnet, ist, dass das Versprechen, das die Modernisierung mit sich brachte, nicht eingehalten wurde. Die Slums in den Großstädten sind riesig und die Masse der Kleinbauern lebt in ärmlichen Verhältnissen. Gleichzeitig gibt es aber eine bedeutende Schicht von Geschäftsleuten und von Akademikern, die wegen der Korruption nicht die Rolle spielen können, die sie von ihrer sozialen Position erwarten durften. Von diesem Mix müssen nicht zwangsweise die Islamisten profitieren, geschweige denn die bedeutende Rolle in der Politik einnehmen, wie das in Palästina, Ägypten und dem Libanon der Fall ist. Natürlich ist die Geschichte jedes einzelnen Landes weitaus komplexer als hier dargestellt werden kann. Was bleibt, ist die Tatsache, dass jedes Land, ungeachtet der Tatsache, dass Islam die bestimmende Religion ist, eine ganz andere Entwicklung hätte nehmen können.
Muslime in Europa
Imperialismus hat auf die soziale Entwicklung in den muslimischen Ländern einen betont negativen Einfluss, aber zu ihrem Unglück ist der Mittlere Osten außerdem eine besonders erdölreiche Region. Ansonsten wäre es den imperialistischen Supermächten nicht so wichtig, diese Region zu beherrschen. Islamfeindlichkeit ist mit dem Irakkrieg zur Leitideologie des von den USA angeführten westlichen Kapitalismus geworden, wie es Arun Kundnani so treffend ausgedrückt hat. Islamfeindlichkeit bietet Erklärungen für krisenhafte Ereignisse wie Terrorattacken an, die diesen jede politische Ursache absprechen und sie stattdessen als muslimische Eigenschaft verdinglichen.
Politische Widersprüche werden zu kulturellen Gegensätzen erklärt und dem politischen Gegner werden unveränderliche kulturelle Eigenschaften zugesprochen. Diese werden dann auch auf die muslimische Minderheit projiziert, die in Europa selbst lebt. Physische Attacken, verbale Angriffe, Schändungen von Moscheen, Kopftuchverbote, Benachteiligungen bei der Arbeits- und Wohnungssuche und vieles mehr sind die praktischen Konsequenzen von Islamfeindlichkeit.
Spaltendes Gift
Wie wir am Beispiel österreichischer Innen- und Außenpolitik beobachten können, findet diese Form von Rassismus staatliche Unterstützung und wird auch von oppositionellen Politikern weiter angefeuert, wobei diese sich selbst keinen Dienst erweisen. Sie helfen nur dabei mit, die Werktätigen zu spalten und im Gegenzug die herrschenden Eliten zu stärken.
Wir bekämpfen Rassismus, Vorurteile und Chauvinismus unter Arbeiter_innen aus einfacher Abscheu vor Ungerechtigkeit und Unterdrückung und, weil es keinen erfolgreichen Kampf gegen das herrschende System gibt, solange wir gespalten sind. Alle Gegner_innen des Systems, egal was ihre Hauptmotivation ist, müssen sich Islamfeindlichkeit entgegen stellen, wenn sie Erfolge gegen die Herrschenden erleben wollen.