Mini-Riot in Linz: Macht Österreich zu Athena

Nach den Mini-Riots vom Karlsplatz 2021 kam es dieses Halloween in Linz, Salzburg und Favoriten zu kleineren Ausschreitungen gegen die Polizei. Beteiligte Jugendliche und eine Masse an Sympathisierenden beziehen sich alle auf den Netflix-Film Athena. Das legt nahe: es war eine Revolte gegen eine rassistische Polizei.
2. November 2022 |

Eine kleine Schlacht mit der Polizei, ein paar laute Böller, ein paar zerstörte Mistkübel, Sylvesterraketen auf voll ausgerüstete Polizisten, vielleicht sogar ein eingeschlagenes Schaufenster – bei jedem Wiener Derby ist mehr los. Trotzdem braucht es in Österreich nicht mehr um „links“- liberale Twitter-Größen in wutschnaubende Reaktionäre zu verwandeln. Beispielsweise unterstützt der „PR-Spezialist“ Rudi Fussi die rassistische Kampagne der Bundesregierung und fordert die Abschiebung von Randalierer_innen.

Innenminister Karner, seines Zeichens selbst ein großer Freund der ungarischen und serbischen Regierungen, und mitverantwortlich für den Tod von Flüchtlingen an der ungarischen-serbischen Grenze, schwadroniert von „einer zutiefst antidemokratischen Einstellung“ der randalierenden Jugendlichen.

Selbst nachdem österreichische Gerichte die Abschiebung der Schülerin Tina als unverhältnismäßig verurteilten, verteidigte Karner diese in der ZiB 2 und kündigte weitere „derartige Abschiebungen“ an. Als Bürgermeister von Texingtal war er Betreiber des Dollfuß-Museums und verharmloste den Austrofaschisten als „umstrittene Person“.

Von Innenminister Karner Antidemokrat genannt zu werden, das ist ein echtes Kompliment.

Einen Tag nach den Mini-Ausschreitungen verwandelte die Polizei die Linzer Innenstadt in eine Hochsicherheitszone und führt massenhaft rassistische Kontrollen durch. Wiederum wurde nichts Interessanteres als ein, zwei Böller gefunden.

Rassistische Massenaufmärsche, beinahe wöchentlich stattfindende Frauenmorde, Polizeischüsse auf unbewaffnete flüchtende Jugendliche: das alles lässt die Regierung kalt, aber bei zerstörten Mistkübeln zieht sie die Grenze. Zumindest, wenn die Polizei behauptet, dass die Mistkübel von Asylweber_innen oder Migrant_innen gesprengt werden.

Kein Riot ohne Party

Im Schatten der Mini-Riots während der zweiten Hälfte der Corona-Krise stellte der britische Journalist Paul Mason treffend fest: Diese Welt hat der Jugend nichts mehr zu bieten. Corona, Rassismus, Klimakrise, keine Jobaussichten, ein Jahr später kommen auch noch Krieg und Inflation dazu. Schon Menschen mit einem sicheren Aufenthaltsstatus und rudimentärer ökonomischen Absicherungen glauben nicht mehr daran, dass ihr Leben in den kommenden Jahrzehnten besser wird. Die prekären Teile der Arbeiter_innenklasse haben überhaupt keinen Grund mehr, das Lügenmärchen vom sozialen Aufstieg zu glauben.

Daran anknüpfend beobachtet Paul Mason in seinem Artikel „Wie Corona die Generation Z radikalisiert“ richtig: „Der Corona-Schock ist in vielerlei Hinsicht größer als der Schock von 2008. Er hat einer ganzen Generation verdeutlicht, dass niemand zur Hilfe eilen wird, wenn es ernst wird. Und dass, dank des demografischen Wandels, die Politik gegen sie arbeitet. Die Frage ist nun: Wie reagieren die Jungen? Sie werden überall feiern und an manchen Orten randalieren. Und sie werden nach politischen Alternativen suchen.“

Darum ist es nicht überraschend, dass es gerade die großen Partynächte sind, in denen die Konfrontation mit der Polizei entsteht. Auch in Deutschland und Frankreich kam es an Halloween zu Ausschreitungen. Zwei Jahre war man eingesperrt, Perspektiven, dass es besser wird, gibt es kaum mehr, also nutzen sie die Gelegenheit, machen eine Nacht richtig Party und vergessen die Zukunft. Schon wieder demonstriert die Polizei durch ihre Anwesenheit, dass sie die Straßen regiert. Nur heute verfügen die Jugendlichen über genug Sprengkraft ihnen Angst einzujagen.

Staatsrassismus

Der von der EU-Grundrechteagentur (FRA) veröffentlichte Rassismus-Bericht zeigt, „Racial Profiling“ ist Standardpraxis der österreichischen Polizei. 66% aller befragten Afrikaner_innen sind in den letzten fünf Jahren (2012-2017) mindestens einmal von der Polizei angehalten worden. 56% von ihnen nehmen an, dass sie wegen ihrer Hautfarbe angehalten wurden. Zum Vergleich: In England, ein Land, das nicht unbedingt für gelebten Antirassismus bekannt ist, sind es gerade einmal 11%. Die zu erwartende Zunahme rassistisch motivierter Polizeikontrollen in Linz wird die Wut der Jugendlichen nur weiter steigern. Zu Recht!

Athena die kommenden Aufstände

Der Netflix Film Athena ist in der Interpretation der Riots allgegenwärtig. In den Videos und Kommentaren auf TikTok wird überall auf Athena Bezug genommen. Ähnlich wie der Film „The Joker“ in der Aufstandswelle 2019 allgegenwärtig war, beziehen sich gegenwärtige Riots auf Athena. Angeblich wurden vor den Mini-Riots in den sozialen Medien Aufrufe mit „Heute wird Linz zu Athena“ verbreitet.

Der Netflix Film Athena ist inspiriert von den großen Riots in Paris 2005, Griechenland 2008 und London 2011. Ein Jugendlicher wird von der Polizei erschossen, daraufhin wehren sich die Bewohner_innen des Viertels Athena, stürmen ein Polizeiquartier und verteidigen ihren Block erfolgreich und mit Gewalt gegen die Polizei. Das Interessante am Film ist, dass er im Unterschied zu Klassikern wie La Haine wenig Interpretation des Riots anbietet. Gerade diese reine Darstellung des Riots in seiner rebellischen Schönheit und direkten Brutalität macht den Film zu einem Meisterwerk.

Der Film zeigt deutlich, wir sind nicht nur Opfer der gesellschaftlichen Umstände, wir können uns wehren. Dem Film gelingt, woran die Linke aktuell scheitert: Die Wut über die vorhandenen Ungerechtigkeiten bündeln und ihr Ausdruck verleihen.

Gefeiert wird der Film nicht nur wegen der Gewalt-Ästhetik sondern weil er bei der allgegenwärtigen Gewalt der Unterdrücker beginnt und die Gegengewalt der Unterdrückten positiv darstellt.

Genauso zeigt der Film in aller Deutlichkeit der Versuch, mit einer von rechtsextremen unterwanderten Polizei zu verhandeln ist zum Scheitern verurteilt. Der gewalttätige Aufstand ist im Film die einzige Möglichkeit.

Die Marxistin Tuna Emren stellt fest: „Doch jenseits der formalen Genialität von Gavras (Regisseur des Filmes) liegt der wirkliche Erfolg dieses eigenwilligen Films, darin, dass es ihm gelingt, den Schrei derer, die Gerechtigkeit wollen, durch Bilder zu transportieren“.

Als Linke müssen wir uns erstens gegen die durch die Mini-Riots ausgelöste rassistische Welle stellen und zweitens die völlig berechtigte Wut der Jugendlichen anerkennen, sie solidarisch und politisch unterstützen, und ihren Widerstandsgeist feiern.

Auf TikTok-Videos zu den Mini-Ausschreitungen ist der Film Athena allgegenwärtig. (c) Sreenshot ORF