Moderner Faschismus

Moderne Faschisten müssen ihre Ziele verstecken und treten als Rechtspopulisten auf. Das fällt ihnen nicht leicht, wie nicht zuletzt der „Nazilieder-Skandal“ um Udo Landbauer und seine deutschnationale Burschenschaft „Germania“ gezeigt hat. Teil zwei unserer Auseinandersetzung mit Faschismus.
26. Februar 2018 |

Faschismus in einer antifaschistischen Ära wieder massentauglich zu präsentieren, das ist ein kaum zu lösendes Dilemma für die extremen Rechten. Ihr Ruf schien nach Auschwitz für alle Zeit zerstört. Völkischer Nationalismus mit einem offenen Bekenntnis zu expansivem Militarismus, Antisemitismus und alle anderen Grundlagen faschistischer Strömungen können nur mehr schwer offen zur Schau gestellt werden.

Wer es wie Gottfried Küssel doch tut, endet als allseits verachteter Außenseiter. Es gelte daher, so argumentierten Vordenker der „Nouvelle Droite“ (Neue Rechte) wie Alain de Benoist und Maurice Bardèche, die Grundlagen ihrer Ideologie neu zu überdenken und neu zu präsentieren. Dann könnten sie Faschismus wieder auferstehen lassen, aber mit einem „anderen Namen, anderen Gesicht“.

Leichter gesagt als getan, denn direkte Bezüge zum historischen Faschismus oder Antisemitismus abzuschütteln, fällt den rechten Recken schwer. Der Naziliederskandal der deutschnationalen Burschenschaft „Germania“ ist nur ein Beispiel unter vielen.

Rückwärtsgewandt als Identität

Huldigung der Nazis, insbesondere der SS, grausliche Witze über die Judenvernichtung, das wirkt in den inneren Zirkeln der extremen Rechten identitätsstiftend. Die schlagenden Burschenschaften Österreichs sind da keine Ausnahme. Christoph Blocher, dem Anführer der Schweizer Volkspartei, wurde Antisemitismus beinahe zum Verhängnis. Ein Gericht attestierte, er habe „das Klischee vom geldgierigen – und im Übrigen auch verräterischen – Juden in arger und ärgster Weise strapaziert!“

Führende Politiker der Schwedendemokraten leugnen in aller Öffentlichkeit den Holocaust. In Ungarn bekennen sich Politiker der Jobbik (Bewegung für ein besseres Ungarn) offen zu ihren antisemitischen Wurzeln im Horthy Regime.

Marian Kotleba, Anführer der slowakischen Kotlebovci, im Juni 2016, Foto: Matúš Tremko/CC BY-SA 4.0

Der Anführer der Kotlebovci genannten Volkspartei – Unsere Slowakei Marian Kotleba ist ein bekannter „ehemaliger“ Neonazi. Sie bezeichnen sich als Erben des faschistischen Führers der Kriegszeit, Jozef Tiso, und begehen schrecklichste Akte gegen die slowakischen Roma. In Kroatien konnte der Holocaustleugner Zlatko Hasanbegović im Jahr 2016 das Amt des Kulturministers bekleiden.

Weil das stolze Bekenntnis zu den Gräueltaten der Faschisten im Zweiten Weltkrieg so identitätsstiftend wirkt, wird man es nicht los. Egal wie sehr sich die Parteiführungen darum bemühen, immer wieder strecken die Mitglieder die Hand zum Hitlergruß oder tun noch Widerwärtigeres. Der Bezug auf die Nazis ist aber gleichzeitig extrem unpopulär und für die politische Selbstdarstellung völlig ungeeignet.

Dass manche der mit den großen rechtsextremen Parteien verbandelten Aktivisten es nicht lassen können, gibt den antifaschistischen Kräften eine wichtige Waffe in die Hand: von der Gegenseite „die Nazikeule“ genannt.

Faschisten oder Populisten

Weil sich keine westeuropäische faschistische Partei offen zu Faschismus bekennen kann, ohne sich damit selbst zu zerstören, sind Rechtspopulisten und Faschisten von ihrem öffentlichen Auftritt her kaum zu unterscheiden. Anders gesagt: Nicht alle Rechtspopulisten sind Faschisten, aber alle Faschisten sind auch Rechtspopulisten! Was sie wirklich unterscheidet, sind ihre politischen Ziele, mit der Schwierigkeit, dass Faschisten natürlich bemüht sind, diese Ziele streng geheim zu halten.

Populisten nutzen Rassismus oder Hetze gegen Minderheiten oder Homosexuelle erstens um Stimmen zu sammeln und zweitens um Unmut und Kritik aus der Bevölkerung ein falsches Ventil anzubieten. Sie sind im Gegensatz zu Faschisten Systemerhalter. Faschisten sind sowas wie die Revolutionäre im Lager der Rechten.

Sie verwenden dieselben Mittel, aber um damit eine Bewegung aufzubauen, die sie benötigen werden um Gewalt auszuüben – Gewalt um die Macht zu erobern und zu erhalten. Die Nazis haben die SA aufgebaut und die italienischen Faschisten die Schwarzhemden. Beide waren dazu da, die Linken zu terrorisieren oder Streiks zu brechen, sie hatten die Rolle einer konterrevolutionären Miliz.

Am Gründungsparteitag der FPÖ (1956) trugen Karl Zechmann, Anton Reinthaller und Wilfried Gredler (v.l.n.r.) die Kornblume Foto: Archiv

Wenige faschistische Parteien haben jetzt schon solche Milizen, beispielsweise die griechische Golden Dawn, die ungarische Jobbik oder die bulgarische ATAKA. Im Unterschied zu diesen klassischen faschistischen Formationen haben die sogenannten Eurofaschisten, zu welchen wir den französischen Front National oder die FPÖ zählen, keine offen agierenden paramilitärischen Flügel.

Um der Gründlichkeit willen sei erwähnt, dass die FPÖ in den Politikwissenschaften selten als faschistisch eingestuft wird. Wir aber tun das, denn: „Die FPÖ steht nicht nur in der Tradition der NSDAP. Die FPÖ steht in der Tradition eines ‚Lagers‘, das die österreichische Variante der NSDAP hervorgebracht hat – in der des deutschnationalen Lagers.“ (Anton Pelinka) Ihre Vorläufer-Organisation wurde von den „Glasenbachern“ gegründet – einem Kreis von Männern, die sich im US-Internierungslager für NS-Verbrecher gefunden haben.

Damals wurde die Strategie formuliert, Strohmänner oder liberale „Sturmböcke“ an die Parteifront zu stellen, und abzuwarten, bis „das Eis gebrochen ist“ um selbst wieder die Führung zu übernehmen. Niemals zuvor hat die FPÖ diese harten Deutschnationalen so offen ins Rennen geschickt wie jetzt, seit sie in die Koalitionsregierung mit der ÖVP eingetreten ist.

Straße muss warten

Die Nazis verfolgten eine zweigleisige Strategie: in den ersten Jahren setzten sie auf eine gewaltbereite Straßenbewegung, ab 1928 verschob sich der Schwerpunkt hin zum Parlament, auf die Etablierung einer Partei, die genügend Seriosität zur Schau stellte, um von den herrschenden Eliten als mögliche politische Vertretung in Erwägung gezogen zu werden.

Europas moderne Faschisten (die Eurofaschisten) haben diese Strategie umgekehrt: sie bemühen sich zuerst um Wahlerfolge, bevor sie sich den Straßen zuwenden können. Diese Vorgehensweise wurde ihnen durch zwei Umstände aufgezwungen. Erstens assoziiert man seit Auschwitz Faschismus mit der Bestialität des Holocausts und des Zweiten Weltkriegs. Zweitens ist die soziale Krise bei weitem noch nicht tief genug, als dass das Kleinbürgertum in Massen einer gewaltbereiten Straßenbewegung zuströmen würde.

Rechtspopulismus

Auf der politischen Bühne treten beide, Eurofaschisten und Rechtspopulisten, als national-populistische Parteien auf. Ein Merkmal, das sie bei allen Unterschieden auszeichnet, sind die verschiedenen Spielarten eines nationalen Protektionismus: „Österreich zuerst!“ „Eigen volk eerst!“ „Les français d’abord!“ („Österreicher, Niederländer, Franzosen, … zuerst!“). Diese Strategie ist erfolgreich, seit nach dem Ende des großen Aufschwungs eine Strukturanpassungsmaßnahme auf die andere folgte, praktisch immer zum Nachteil wechselnder Segmente der Lohnabhängigen.

Der Antimarxismus der Rechten erhielt also ab den späten Siebzigern Rückenwind, den in Österreich erst Jörg Haider ab seiner Partei-Machtergreifung 1986 richtig zu nutzen wusste. Außerdem hatte die öffentliche Debatte rund um das EU-Beitrittsreferendum zum Wiedererstarken des Deutschnationalismus beigetragen.

Nach Jahrzehnten konnten die Deutschnationalen wieder öffentlich infrage stellen, ob Österreich als eine europäische Nation unter anderen oder als eine deutsche Nation verstanden werden sollte. In dieser Zeit kam es zu einem neuen Aufschwung der deutschnationalen Burschenschaften unter den Studierenden.

Nicht zuletzt passierte in dieser Periode der Zusammenbruch der UdSSR und seiner Satellitenstaaten. Der Eiserne Vorhang fiel und eine bescheidene Anzahl rumänischer Einwanderer wurde von der FPÖ mithilfe der Kronenzeitung und letztlich auch der Bundesregierung zu einer regelrechten Flüchtlingskrise hochgespielt.

Gemeinsamkeiten

In den Achtzigerjahren begann Jean-Marie Le Pens spektakulärer Aufstieg als Anführer des Front National. Bis dahin experimentierten die rechtsextremen Parteien mit verschiedenen Themen: mit Antikommunismus und mit Antiamerikanismus, mit biologischem Rassismus, Antisemitismus oder einfach Fremdenfeindlichkeit.

Während die sogenannten Eurofaschisten, wie der französische Front National, keine offen agierenden paramilitärischen Flügel haben, lässt die Jobbik die ungarische Garde aufmarschieren. © Foto links: Blandine Le Cain (Flickr), CC BY 2.0, Foto rechts: magyartudat.com

In den Achtzigerjahren setzte sich kultureller Rassismus als gemeinsame Klammer durch. Leute wie Alain de Benoist, damals noch Chefideologe des Front National, machten sich Gedanken, wie sie eine Internationale der Nationalisten zusammenschmieden könnten. Einerseits wurde der hohle Begriff einer „Vielfalt der Kulturen“ bemüht. Jede Kultur habe das Recht auf ihre nationale Eigenheit.

Gleichzeitig konnte man weiter der nationalen Identität und einer organischen Volksgemeinschaft frönen. Le Pen, dessen Hass auf die Algerier berühmt war, trieb die Scheinheiligkeit dieser geheuchelten Toleranz auf die Spitze, als er meinte: „Ich liebe die Nordafrikaner, aber ihr Platz ist im Maghreb.“

Eine Seite dieser „Vielfalt der Kulturen“ war immer Abgrenzung und Rassismus. Die Nation wurde wieder offen ethnisch definiert. Österreich sollte als deutsche Nation verstanden werden. Österreichs historischen slawischen Einflüsse und seine slawischen Minderheiten wurden entweder ignoriert oder im Fall der Kärntner Slowenen offen bekämpft.

Ungarns Ministerpräsident Orbán, aktuell der erfolgreichste Rechtspopulist, erzählt in der Schweizer Weltwoche ganz offen, welchen Stellenwert die Nation haben müsse, nämlich einen über den Menschenrechten stehenden: In der Öffentlichkeit dominiere „nur ein europäisch-liberales Blabla über nette, aber zweitrangige Themen“ wie „Menschenrechte, Fortschritt, Frieden, Offenheit, Toleranz“. Die zentralen Themen seien jedoch das Christentum, die Nation und der Stolz.

Moskau-Achse

Zum Gerede von der Vielfalt der Kulturen gesellte sich ganz kurioser Antiamerikanismus. Amerika steht bei den Rechten für bedrohlichen Kulturimperialismus, für die Verdrängung alter europäischer Kulturen durch eine geschichtslose Kultur – etwas, womit man auch an die Kampagnen der Nazis gegen „Entartete Kunst“, zu der sie den US-amerikanischen Jazz zählten, anknüpfen konnte.

Amerikanismus ist also gleichbedeutend mit Globalisierung und westlich-dekadentem Multikulturalismus und liberaler politischer Korrektheit. Aus derselben Ideologie ist die verwirrende Sympathie zum russischen und zum serbischen Nationalismus entstanden. Im Dezember 2017 reiste eine FPÖ-Delegation unter Führung von Strache nach Moskau und unterzeichnete einen Kooperationsvertrag mit Putins Regierungspartei Einiges Russland.

Der Antiamerikanismus der Nazis führte zu Kampagnen gegen „entartete Kunst“, wie Jazz. ©Wikimedia Commons

Und im Jänner 2018 erhielten Strache und Gudenus den Verdienstorden der Republika Srpska. Kurz darauf fuhr Strache nach Belgrad und stärkte den serbischen Nationalisten den Rücken, indem er erklärte: der „Kosovo ist zweifelsfrei ein Teil Serbiens“. Straches offensiv proserbische Haltung wird allgemein als bloße Wahltaktik interpretiert, als Mittel, sich die Stimmen der nationalistischen Serben in Österreich zu sichern.

Aber Triebfeder der Moskau- und Serbienachse ist die beschriebene Ideologie, der kulturelle Rassismus und Nationalismus der extremen Rechten. Für die FPÖ, aber auch für andere Vertreter der Neuen Rechten in Europa, steht der Kosovokonflikt als Muster für einen Kampf der Kulturen: ein Kampf zwischen muslimischen „Invasoren“ und christlichen „Verteidigern“, zwischen muslimischen Albanern und christlichen Serben.

In ihren Augen ist jede europäische Nation kurz davor, ausgelöscht zu werden, bzw. durch muslimische Einwanderer von ihrem „ureigenen Kulturboden“ verdrängt zu werden, falls sie sich nicht dazu aufraffen, die „Masseneinwanderung nach Europa“ zu stoppen.

Haider formulierte es schon 1993 in seinem Buch Die Freiheit, die ich meine: „Die Gesellschaftsordnung des Islams ist unseren westlichen Werten entgegengesetzt. Menschenrechte und Demokratie sind mit der mohammedanischen Glaubenslehre ebenso wenig vereinbar wie die Gleichberechtigung der Frau“.

Konsequenzen

FPÖ-Burschenschafter: Kein Durchmarsch im Stechschritt

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Die Faschisten wissen besser als viele ihrer Gegner_innen, wie verhasst Faschisten tatsächlich sind, sonst wären sie nicht so bemüht, ihren faschistischen Kern vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Es dürfte für die meisten Menschen wirklich schockierend sein, zu erfahren welcher Gesinnung die deutschnationalen Burschenschafter und die meisten Kader der FPÖ anhängen, aber die offene Zurschaustellung, wie sie seit dem Präsidentschaftswahlkampf betrieben wird, muss für alle Antifaschist_innen auch ein Aufruf sein, sie frontal anzugreifen. Dann werden wir einmal auf diese Jahre zurückblicken können und sagen: Sie haben sich zu weit aus dem Fenster gelehnt und wir haben ihnen noch einen Schubs gegeben.

Details und Belege siehe im Buch Stille Machtergreifung – Hofer, Strache und die Burschenschaften von Hans-Henning Scharsach.