Nach EU-Wahlen: Rassismus bekämpfen ist oberste Priorität
Viele haben sich nach dem Ibiza-Skandal ein größeres Debakel der FPÖ bei den EU-Wahlen erwartet. In den Umfragen vor Ibiza lag die FPÖ noch bei 23 bis 25 Prozent, schlussendlich stürzte sie „nur“ auf 17,2 Prozent ab. Das ist schon beachtlich. Aber angesichts der unglaublichen Tragweite der größten Regierungskrise der Zweiten Republik und – damit verbunden – den Zugewinnen für die ÖVP stellt sich die Frage, wieso die Freiheitlichen und auch Kurz, der Strache erst in die Regierung geholt hat, nicht völlig implodiert sind.
Der Schlüssel zum Verständnis ist die Funktionsweise von Rassismus für die Parteien. Wähler_innen, die einmal, zweimal, ein drittes Mal für eine rechtsextreme oder konservative Partei gestimmt haben, werden mittels Rassismus näher an die Partei gebunden. Rassismus ist wie ein ideologischer Zement, der die Bewegung zusammenschweißt und als Blitzableiter für die zum Teil berechtigte Wut auf das politische Establishment – ob national oder „in Brüssel“ – dient.
Rassistischer FPÖ-Wahlkampf
Unter FPÖ-Wähler_innen war laut SORA-Wahlanalyse bei der EU-Wahl das mit Abstand meistdiskutierte Thema „Zuwanderung“ – 70 Prozent der Befragten Blauwähler_innen gaben dies an. Gleich dahinter kommt wenig überraschend das Thema „Sicherheit“ mit 45 Prozent. Zwar nicht so hoch, aber auch unter ÖVP-Wähler_innen war „Zuwanderung“ mit 24 Prozent gleich nach „Wirtschaft“ mit 26 Prozent das meistdiskutierte Thema. Generell wurde Zuwanderung unter allen Wähler_innen genauso stark diskutiert wie „Umwelt- und Klimaschutz“ und „Sozialpolitik“ (alle gleich auf mit 31 Prozent der Befragten).
Ex-FPÖ-Chef Strache verband im Wahlkampf demonstrativ das Thema der antimuslimisch-antisemitischen Verschwörungstheorie eines angeblichen „Bevölkerungsaustausches“ mit dem berüchtigten Waldheim-Slogan „Jetzt erst recht!“ (eine Parole, die die ÖVP 1986 plakatierte, als die Nazivergangenheit des ÖVP-Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim aufgedeckt wurde). Kanzler Sebastian Kurz wiederholte in der Regierungskrise ständig, er wolle den Kurs gegen die „illegale Migration“ weiter führen, ja, er lobte die Regierungszusammenarbeit mit der FPÖ bis Ibiza.
Internationaler Vergleich
Ein Blick auf die anderen Länderergebnisse bestätigt das Bild. In Polen hat die nationalistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit einer furchtbaren homophoben und rassistischen Kampagne ein noch nie dagewesenes Rekordergebnis von 45,4 Prozent eingefahren – und das bei einer Verdoppelung der Wahlbeteiligung gegenüber den letzten EU-Wahlen (auf 45,7 Prozent). Matteo Salvinis Lega Nord, die mit besonders ekelhaftem Rassismus gegen Flüchtlinge den Wahlkampf bestritt, wurde mit 34,3 Prozent zur stärksten Kraft.
In Frankreich sicherte sich der Rassemblement National (RN, vormals Front National) von Marine Le Pen mit 23,3 Prozent erneut Platz 1, vor dem völlig in die Defensive geratenen Staatschef Emmanuel Macron – trotz Korruptionsprozess, den Marine Le Pen am Hals hatte. RN-Spitzenkandidat Jordan Bardella verhetzte die Wähler_innen mit Slogans wie „Migrantenflut bekämpfen“ und „Vaterlandsliebe fördern“.
Ein Appell an die Linke
Die ÖVP gewann bei der EU-Wahl 105.000 Stimmen von der FPÖ. Die schon vorhin zitierte SORA-Wahlumfrage lässt überhaupt keinen Zweifel mehr offen, dass ÖVP-Chef Kurz vor allem auf Rassismus gegen Flüchtlinge und Muslim_innen setzen wird, um im kommenden Nationalratswahlkampf weitere Stimmen von der FPÖ zu bekommen. Das kann eine gefährliche Spirale nach rechts in Gang setzen – weil die FPÖ eine noch härtere Gangart einschlagen wird, das wieder zu Reaktionen der ÖVP führt, und so weiter.
Die Bekämpfung von Rassismus, insbesondere der dominanten Islamfeindlichkeit, muss für die Linke die oberste Priorität haben. Weil es, um es nochmals zu betonen, die Wähler_innen verroht und an die Parteien bindet. Aber auch, weil es überhaupt keinen Automatismus gibt, dass die Linke durch das Aufdecken irgendwelcher krummen Geschäfte oder Nazi-Verbindungen rechtsextremer Parteien profitiert. Sie sollte gewinnen, kann das aber nur, wenn sie offensiv agiert, die Rechten in die Defensive drängt und wirksam auch vor ihren eigenen Wähler_innen diskreditiert. Eine starke Bewegung gegen Rassismus kann den Rechten das Wasser abgraben.