Naziland Österreich: Der Preis der Verharmlosung der FPÖ

Seit der Gründung der Zweiten Republik wird Faschismus nicht nur verharmlost, sondern aktiv gefördert. Während es nicht überrascht, dass die ÖVP mit ihrer austrofaschistischen Vergangenheit kein Interesse an der Ausrottung des Faschismus hatte, war die Förderung der Nazis durch die SPÖ ein tödlicher Fehler. Anstatt den verdienten Hinrichtungen warteten Posten in Justiz, Polizei und Militär auf die Nazi-Henker. Bis zum Landwirtschaftsminister hat es der SS-Mann Johann Öllinger unter Kreisky gebracht. Mit der Gründung des VDU, einem Vorläufer der FPÖ, erhielten die Nazis ihre offizielle Partei. Bis heute zahlen wir einen hohen Preis für die nie stattgefundene Entnazifizierung.
21. März 2022 |

Faschistische Parteien setzten für eine erfolgreiche Machteroberung auf eine Doppelstrategie: Einerseits setzen sie auf Gewalt mit Truppen ähnlich der SA, andererseits brauchen sie Anerkennung und Respekt bei den Eliten. In Phasen der gesellschaftlichen Stabilität fokussieren sich faschistische Parteien auf die zweite Strategie. Dadurch erhalten sie Respektabilität, ihre Mitglieder gut bezahlte Posten und gleichzeitig wird aus den Institutionen faschistischer Straßenterror legitimiert und vorbereitet.

Innerhalb der NSDAP wurden die zwei Aspekte dieser Doppelstrategie vor der Machtübernahme von Göbbels und Göring verwirklicht. Während Göbbels die NSDAP und die SA auf den Kampf um Berlin einschwor, Straßenschlachten organisierte, Terror unter seinen Gegnern verbreiten ließ und jeden inhaftierten SA-Mann zu einem Märtyrer für die Sache verklärte, schlenderte der Kriegsheld Göring durch die Salons der Bourgeoisie – sammelte Spenden und kämpfte für das bürgerliche Ansehen der NSDAP.

„Indirekte Nachfolgepartei der NSDAP“

Im Unterschied zu den rechtsextremen Parteien in Deutschland (AFD), Italien (Lega Nord) oder Frankreich (Front National) verfügt die FPÖ über eine feste ideologische Tradition. Für den Politikwissenschaftler Anton Pelinka ist die FPÖ nicht nur die „indirekte Nachfolgepartei der NSDAP“, sondern: „Ihre Geschichte geht personell und programmatisch zurück auf das ausgehende 19. Jahrhundert, auf die Entstehung des „deutschnationalen Lagers“ und dessen Geschichte; eine Kontinuität, die auch die NSDAP mit einschließt. 1955 aus den Resten einer schon 1949 ins Leben gerufenen Übergangspartei (dem Verband der Unabhängigen – VdU) gegründet, war die FPÖ von Anfang an erkennbar, ja geradezu demonstrativ eine Gründung von ehemaligen Nationalsozialisten für ehemalige Nationalsozialisten“.

Anton Reinthaller: Nazi und FPÖ Gründer

FPÖ Propaganda | 50er Jahre. Quelle: austria-forum.org

Der SS-Mann und FPÖ-Gründer Anton Reinthaller ist symptomatisch für die österreichische Geschichte. Obwohl er bereits vor dem Anschluss zum Führungskreis der Nazis in Österreich gehörte, entkam er jedweder ernsthaften Strafe. Im Unterschied zum Nazi Führer Theo Habicht, der sich auf den Straßenkampf fokussierte, vertrat Reinthaller vor dem Anschluss einen „evolutionären Kurs“. Er zielte darauf, den austrofaschistischen Staat durch gezielte Unterwanderung von innen heraus zu unterminieren. Wobei Margit Reiter in ihrer Studie Anton Reinthaller und die Anfänge der freiheitlichen Partei Österreichs festhält: „Diese innerparteilichen Konflikte und Konkurrenzen sollten jedoch nicht überbewertet werden, denn die zwei Parteiflügel verfolgten zwar unterschiedliche Strategien und Methoden, doch das Ziel war letztendlich das gleiche: die nationalsozialistische Machtergreifung und der „Anschluss“ Österreichs an Deutschland“.

Die Vergangenheit als Führungsfigur des „gemäßigteren“ Flügels der NSDAP half Reinthaller nach 1945 straflos davonzukommen. Wiederum waren es SPÖ und ÖVP, die sich nicht zuletzt in der Hoffnung, eine zweite rechte Partei würde dem jeweils anderen schaden, für ihn einsetzten. Der sozialdemokratische Vizekanzler Adolf Schärf setzte sich für Reinthaller ein, der sozialdemokratische Bundespräsident Theodor Körner begnadigte ihn und der konservative Bundeskanzler Julius Raab unterstützte Reinthallers Rückkehr in die Politik.

FPÖ erfolgreich im Parlament

Die stabilen gesellschaftlichen Verhältnisse nach 1945 boten keinen Raum für offene faschistische Bewegungen, und so musste sich die FPÖ nach 1945 auf den institutionellen Weg fokussieren. Zwei Regierungsbeteiligungen und die Duldung der SPÖ Minderheitsregierung unter Kreisky zeugen davon.

Der parlamentarische Weg bedeutete für die FPÖ die ideologische Aufweichung. Im Gegenzug erhielt sie Legitimation nicht nur in den Augen der herrschenden Klasse. Von einer Kleinpartei, die nicht über 10% bei Nationalratswahlen hinauskam, wurde die FPÖ mit der Machtübernahme Haiders 1986 zu einer Massenpartei. Konnte dies anfangs noch mit den Möglichkeiten einer radikalen Protestpartei begründet werden, sollte mittlerweile klar sein, die FPÖ verfügt über einen festen Wählerstamm von Hunderttausenden. Selbst nach der gefloppten Regierungsbeteiligung 2019 und dem Ibiza Fiasko erhielt die FPÖ noch 700.000 Stimmen. In etwa die Stärke von dem ersten erfolgreichen FPÖ-Ergebnis 1990 und deutlich stärker als nach der letzten gefloppten Regierung 2002 (500.000 Stimmen).

Eine Studie der Bertelsmann Stiftung in Hinblick auf die Europawahlen 2019 kommt zum Ergebnis, dass die FPÖ mittlerweile über eine feste Stammwählerschaft von 14% der wählenden Österreicher_innen verfügt. Die FPÖ verfügt damit nicht nur im Vergleich zu den anderen rechtsextremen Parteien Westeuropas über die höchste Stammwählerschaft, sondern auch in Österreich besitzt die FPÖ „inzwischen die größte Stammwählerschaft aller Parteien“, so der Studienautor Robert Vehrkamp. Zentrale ideologische Bindeglieder zwischen FPÖ und ihren Wähler_innen sind die ablehnende Haltung gegenüber der Europäischen Union und Rassismus.

FPÖ erfolgreich im Staat

Doch nicht nur bei der ideologischen Bindung von Wähler_innen ist die FPÖ erfolgreich. Auch bei der Unterwanderung des Staatsapparates macht die FPÖ Fortschritte. Am wichtigsten für diese Strategie war Innenminister Kickl. Ganz im Stile der NSDAP machte die FPÖ das Innenministerium 2017 zur Koalitionsbedingung. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 verlangte die NSDAP nur zwei weitere Regierungsämter. Wilhelm Frick als Innenminister und Hermann Göring als preußischer Innenminister. Eine der ersten Maßnahmen der neuen Innenminister waren „Gesinnungstests“ für Polizisten; Linke und Demokrat_innen wurden entlassen.

Kickl arbeitete in seiner Zeit als Innenminister an der ideologischen Abhärtung der Polizei. Im antisemitischen Magazin Alles Roger? (dieses publizierte einen Artikel mit dem Titel „Zerstören die Rothschilds Afrika“), warb das FPÖ-Innenministerium um Polizisten. Gleichzeitig sollten Streifenpolizisten mit automatischen Waffen ausgerüstet werden. Ein Film über das Polizeifolter Opfer Bakary J. wurde während Kickls Regentschaft aus der Polizeiausbildung gestrichen.

Rückendeckung bei diesen Vorstößen erhielt die FPÖ von der freiheitlichen Gewerkschaft AUF. Dieselbe Gewerkschaft verspottete im Jahr 2011 Holocaustopfer, indem sie die Arbeit bei der Polizei mit der Todesarbeit von KZ-Häftlingen verglich. Auch während der Coronaproteste versuchte die FPÖ die Bindung zwischen sich und der Polizei zu stärken. In einem von der FPÖ orchestrierten Brief, den laut Markus Sulzbacher nur drei, nicht die behaupteten 600 Polizisten unterschrieben, wetterten die Unterzeichner gegen den Einsatz von Polizisten auf Coronaprotesten. Nachdem Polizisten 2020 einen Tschetschenen verprügelten, erklärte FPÖ-Generalsekretär Schnedlitz gemeinsam mit dem AUF/FPÖ Polizeigewerkschafter Werner Herbert der Presse: „Es reicht anscheinend, dass ein Polizist schief schaut, dann wird er heutzutage zu Freiwild erklärt.“

Die FPÖ ist sowohl was Respektabilität als auch was die Unterwanderung des Staates angeht, erfolgreich. Als einziges fehlt ihr eine mächtige faschistische Massenbewegung. Bis jetzt beschränkte sich faschistischer Terror in Österreich auf Einzelaktionen. Auch wenn dieser politisch keinen entscheidenden Einfluss entwickeln konnte, so führte er doch zu Toten. Die FPÖ und ihre ideologischen Vorfeldorganisationen wie die Burschenschaft Olympia distanzierten sich nie glaubwürdig vom Terrorismus, viel eher feuerten sie ihn an.

Rechtsextremer Straßenterror

Das erste politische Todesopfer der Zweiten Republik geht auf das Konto des RFS-Mitglieds Günther Kümel. Der RFS ist die Studentenorganisation der FPÖ. Laut dem Buch Völkische Verbindungen – Beiträge zum deutschnationalen Koperationswesen in Österreich war Kümel nicht nur RFS-Mitglied, sondern auch in der Burschenschaft Olympia aktiv. Kümel erschlug 1965 den Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger, der sich an einer Demonstration gegen den antisemitischen Professor Borodajkewycz beteiligte. Borodajkewycz erklärte in Vorlesungen voller Stolz, er sei freiwillig der NSDAP beigetreten und leugnete den Holocaust. Der Prozess endete mit dem lächerlichen Urteil zehn Monate Kerker. Günther Kümel war nicht der einzige Nazi-Terrorist mit FPÖ Verbindung.

Video: KZ-Überlebender und Zeitzeuge Rudolf Gelbard (Ruhe in Frieden) führt an die Schauplätze von 1965, dem Jahr, in dem Ernst Kirchweger erschlagen wurde

Vorarbeit für den Terrorismus

Mit dem Anti-Ausländer Volksbegehren 1993 gelang es der FPÖ unter Jörg Haider, das gesellschaftliche Klima dermaßen anzuheizen, dass Nazi-Terroristen die Zeit des Handelns als gekommen sahen. Der Nazi-Terrorist Franz Fuchs tötete mit seinen Bombenanschlägen vier Menschen und verletzte 15 weitere schwer. Polizei und Verfassungsschutz ignorierten die Hinweise auf rechtsextremen Terror und mutmaßten, dass die Opfer (Angehörige der Roma-Minderheit in Oberwart) selbst mit Sprengstoff hantiert hatten.

Daran anknüpfend verhöhnte Haider die Opfer des Nazi-Terrors im Parlament: „Wer sagt, dass es da nicht um einen Konflikt bei einem Waffengeschäft, einem Autoschieber-Deal oder um Drogen gegangen ist?“ Peter Pilz bezeichnete Jörg Haider als den „geistige Ziehvater des rechtsextremen Terrorismus“.

Burschenschaft Olympia

Die Burschenschaft Olympia, das Bindeglied zwischen der FPÖ und dem rechtsextremen Straßenterror, ging noch weiter, als nur ideologische Vorarbeit für den Terrorismus zu leisten. Führende FPÖ Politiker wie Martin Graf, Harald Stefan (mittlerweile ausgetreten) oder Norbert Nemeth stammten aus ihren Reihen. Genauso Vertreter des außerparlamentarischen Rechtsextremismus wie Alexander Markovics, einem Gründer der Identitären.

Homepage der Burschenschaft Olympia. Bild: hagerhard.at

Laut Hans Henning Scharsachs Buch Strache im Braunen Sumpf stammt auch der rechtsextreme Terrorist Norbert Burger, Gründer des RFS und phasenweise FPÖ Mitglied aus der Olympia. Norbert Burger war führend im Befreiungsausschuss Südtirol, einer Terrororganisation, die mindestens 30 Menschen in Italien ermordete, aktiv. Während italienische Gerichte Burger für seine Beteiligung am rechtsextremen Terror in seiner Abwesenheit zu 28 Jahren Haft verurteilten, wurde er in Österreich von einem Geschworenengericht freigesprochen.

Bindeglied zwischen FPÖ und Terror

Norbert Burger bei einem Treffen der später verbotenen NDP. Foto: Screenshot(Youtube)

Martin Graf distanzierte sich nicht nur nie von Burger: „Ich habe Norbert Burger immer geschätzt und tue das auch über den Tod hinaus“, sondern verteidigte auch noch den faschistischen Terror in Südtirol: „Hätte man nicht zu diesen Mitteln gegriffen, dann hätte es nie ein Autonomiepaket gegeben.“ Doch nicht nur Martin Graf bewunderte die Entschlossenheit von Burger, für Strache wurde er laut Hans-Henning Scharsach „zu einer Art Vaterersatz“. Strache war einige Jahre mit Burgers Tochter zusammen und besuchte dessen Begräbnis. Es wäre naiv anzunehmen, dass kein politischer Austausch zwischen ihm und Burger stattgefunden hätte.

Aus dem Archiv: Martin Graf in einem alten Interview des holländischen Komikers Rob Muntz.

Zusammengefasst: Auch wenn die Zeit für offenen rechtsextremen Straßenterror noch nicht gekommen ist, die FPÖ verfügte und verfügt über Verbindungen ins terroristische faschistische Milieu. Dass sich all diese Milieus von Identitären über Unsterblich-Wien Fußball-Hooligans bis zu dem verurteilten Neonazi Gottfried Küssel auf Coronademonstrationen, zu denen FPÖ-Führer Kickl gerufen hat, treffen, ist die konsequente Fortsetzung dieser Politik. Mit dem Unterschied, dass sich die FPÖ bis zu den Coronaprotesten noch Mühe gab, ihre Verbundenheit mit dem außerparlamentarischen Rechtsextremismus vor der Öffentlichkeit zu verstecken.

Zeit für den Umsturz?

Unter dem Titel „Umsturz 2010“ postulierte die deutschnationale Burschenschaft Olympia: „Der aufmerksame Beobachter spürt schon seit Längerem, dass sich die gesamte Welt in einem Gärungsprozess befindet. (…) Geschichte wiederholt sich eben doch. (…) Wir müssen uns durch mentale wie politische Vorbereitung rüsten, um dann, wenn es darauf ankommt, unsere Handlungsfreiheit bewahren zu können und uns zum Wohle unseres Volkes mit aller Kraft in die Waagschale werfen zu können! Jede Krise bringt ihre Revolution mit sich – lasst uns diese zu unserer werden“.

Die parteiinterne Machtübernahme von Herbert Kickl, die Initiierung eines neuen Anti-Ausländer Volksbegehrens, wie auch die Hinwendung zu den Coronaprotesten deuten an, die FPÖ sieht die Zeit gekommen, um ihren Kampf auch auf die Straße zu tragen. Von den Vertretern der parlamentarischen Linken haben wir keinen Widerstand zu erwarten.
Die Grünen Klubchefin Sigi Maurer will der FPÖ die Hand reichen und die SPÖ hatte nichts Besseres zu tun, als am Holocaustgedenktag eine gelungene antifaschistische Spontandemonstration, in deren Zuge Farbbeutel auf das Haus der Olympia geworfen wurden, gemeinsam mit der FPÖ auf das Schärfste zu verurteilen. Sie ging sogar so weit, die Farbbeutelaktion mit dem Mordanschlag auf das Protestcamp in der Lobau zu vergleichen.

Die Verharmlosung von Faschismus bildet die DNA dieser Republik und ihrer offiziellen Parteien. Entschlossener antifaschistischer Widerstand kann nur von außerhalb dieser Institutionen kommen.

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