Offene Grenzen: Seien wir realistisch, verlangen wir das Unmögliche!

Aus Perspektive des Kapitalismus klingt die Forderung nach einer Welt ohne Grenzen utopisch. Aus Sicht der Flüchtlinge und der Arbeiter_innenbewegung, insbesondere im Kampf gegen die FPÖ, hat sie allerdings ganz praktische Bedeutung.
26. Oktober 2015 |

Die Eliten bezeichneten das Niederreißen der Grenzen und die Hilfsbereitschaft der Solidarischen als Flüchtlingskrise. Es ist aber keine Krise, sondern eine Lösung der Krise, wenn Flüchtlinge die Öffnung der Grenzen erzwingen. Die Regierenden meinten ganz offen, dass sie den Normalzustand wiederherstellen wollen, schließlich müsse man die Grenzen eines Landes und die berechtigten Ängste seiner Bürger vor dem „Fremden“ respektieren. Sogar bekannte Marxisten wie Slavoj Zizek bezeichneten Fluchthelfer_innen, die jetzt offene Grenzen fordern, als „Heuchler“, wohlwissend, dass unsere Regierenden Krieg gegen Menschen in Syrien und jetzt gegen die Flüchtenden selbst führen.

Es ist keine Krise, sondern eine Lösung der Krise, wenn Flüchtlinge die Öffnung der Grenzen erzwingen.

Offene Grenzen sind allerdings nicht utopisch, sondern entscheiden über Leben und Tod. Flüchtlinge lassen sich nicht mehr in Lager sperren und von Tränengas und Knüppel aufhalten. Gäbe es legale Einreisemöglichkeiten, hätten die 71 Flüchtlinge nicht auf ihrer Fahrt von Ungarn nach Österreich sterben müssen. Der Zaun an der griechisch-türkischen Grenze verbarrikadiert den Landweg und zwingt zehntausende Flüchtlinge auf die mörderisch gefährliche Route über die griechischen Inseln – der Tod des dreijährigen Bubs Aylan Kurdi sorgte weltweit für Empörung. Im Oktober durchbrachen erneut tausende Flüchtlinge die Polizeibarrikaden in Spielfeld an der Grenze zu Slowenien.

Rechte in Schach gehalten

Die Forderung nach offenen Grenzen hat noch eine andere ganz praktische Bedeutung: Wo die Bewegung offensiv für die Rechte von Flüchtlingen kämpft und Menschenrechte verteidigt, dort verlieren die Rechten. In der Steiermark, im Burgenland und zuletzt in Oberösterreich setzte die SPÖ auf eine rassistische Wahlkampfstrategie. In Linz machte man Stimmung gegen ein „zweites Traiskirchen“. In Wels, wo die Freiheitlichen jetzt den Bürgermeister stellen, distanzierte sich die SPÖ einen Tag vor der Stichwahl von einem Protest für Flüchtlinge und gegen einen FPÖ-Bürgermeister.

Aber dort wo die Bewegung Flüchtlinge willkommen hieß, verloren die Rechten, beziehungsweise konnte ihr Zuwachs in Grenzen gehalten werden. In Wien beteiligten sich SPÖ und FSG eine Woche vor der Wahl an der Großdemonstration für „eine menschliche Asylpolitik“ mit über 70.000 Menschen – was dazu führte, dass das Wahlergebnis glimpflicher ausgefallen ist, als die Umfragen prophezeit haben.

Grenzzschließung: Gewalt wäre nötig

Die Mächtigen versuchen den vielen werktätigen Helfer_innen einzureden, dass die Hilfsbereitschaft zwar lobenswert, aber das Boot irgendwann voll wäre, weil ein Land nur begrenzt Menschen anderer Kultur und Herkunft aufnehmen könnte. Dabei haben Arbeiter_innen, wie Karl Marx sagte, „kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben.“

Mit der Grenzöffnung haben die Regierenden praktisch selbst die Regeln des Schengenraums und des Dublin-Abkommens gebrochen. „Mama Merkel“ und ihr österreichischer Amtskollege „Papa Faymann“ sind noch immer in der Defensive und könnten noch keine exzessive Gewalt anwenden, weil die Flüchtlinge bisher immer noch stärker waren. Das neue EU-Programm „Sophia“ sieht allerdings brutale militärische Gewalt im Mittelmeer gegen Flüchtlinge vor.

Eliten fürchten Bewegung

Wie sehr die Regierung den Druck von der Straße fürchtet

Wie sehr die Regierung den Druck von der Straße fürchtet

Tausende Menschen haben in der Bewegung die Erfahrung gemacht, dass innerhalb der Koordinaten des kapitalistischen Systems, innerhalb der Union der Banken und Konzerne, die Reisefreiheit ausschließlich für Profite und das oberste ein Prozent der Bevölkerung vorgesehen ist. Sie haben sich über Paragraf 120 des Fremdenpolizeigesetzes – den sogenannten Ute-Bock-Paragrafen, der „wissentlichen Förderung der rechtswidrigen Ein- oder Durchreise“ – hinweggesetzt und bis zu vier Wochen Gefängnis riskiert. Das Innenministerium fürchtete eine „Gefahr für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit“ und die „Außerkraftsetzung gesetzlicher Strukturen“.

Tausende erlebten, wie eine Gesellschaft ohne Konkurrenz und Ausbeutung, sondern mittels echter Demokratie und Selbstbestimmung funktionieren könnte. Die niedergerungenen Grenzen zeigen aus dem herrschenden System in eine andere Welt, in der sich die Menschen wirklich frei bewegen können. Die wirkliche Utopie ist zu glauben, dass die EU oder das System Wohlstand und gleiche Rechte für alle bringen könnte.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.