Populismus: Hoffnung oder Falle für die radikale Linke?

Populismus ist gleichzeitig ein Kampfbegriff gegen linke Regierungen und eine Bezeichnung für Parteien der neuen, extremen Rechten. In der radikalen Linken wird diskutiert, ob Populismus fortschrittlichen Bewegungen und Parteien weiterhilft.
28. Oktober 2015 |

Populismus ist ein Begriff mit dem vieles gemeint ist und vieles erklärt wird. Meist wird der Populismus abwertend benutzt, erstens wertet er die so bezeichnete politische Kraft ab und zweitens die große Mehrheit der werktätigen Bevölkerung, die er sie als dumm und rückschrittlich betrachtet. Aber kann es nicht auch positive Seiten des Populismus geben? Ist es nicht positiv, wenn Linke es schaffen komplizierte Zusammenhänge in einfacher Sprache und pointierten Formulierungen zu vermitteln?

Populismus abwertender Begriff

Das Lexikon der Politikwissenschaft definiert Populismus als „Bezeichnung für eine negativ bewertete Politik, die sich in der Gier nach Zustimmung von Seiten des Volkes demagogischer Parolen bedient, dem Volke nach dem Munde redet, an Instinkte appelliert und einfache Lösungen propagiert sowie verantwortungsethische Gesichtspunkte weitestgehend außer Acht lässt. Positiv bewertet eine Politik, die die Probleme der ‚kleinen Leute‘ ernst nimmt, sie artikuliert und sich in direkter Kommunikation mit dem Volk vollzieht.“

Diese Definition zeigt, wie unterschiedlich die Bedeutung des Begriffs Populismus verstanden wird. Meist wird der Begriff abwertend gebraucht, eine populistische politische Kraft handelt demnach verantwortungslos und biedert sich an die vermeintlich dumme Masse an. Populismus kann aber auch positiv verstanden werden, zum einen als antielitäre politische Strategie, die den Unterdrückten Stimme verleiht und mithilft, unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen zu einen und sie unter einem gemeinsamen Banner zu versammeln.

Mit dem Begriff des Populismus werden ganz unterschiedliche Phänomene bezeichnet. Zum einen wird Populismus als Ideologie verstanden, die die werktätige Mehrheit der Gesellschaft als ungebildet betrachtet und den Führungsanspruch von etablierten politischen Parteien und Eliten absichert. Zum anderen als politische Strategie des Machterhalts und als rhetorisches Stilmittel, um Unterstützung zu gewinnen. Weiters wird Populismus als politischer Kampfbegriff verwendet, um gegnerische politische Kräfte zu diskreditieren. Speziell in der Politikwissenschaft wird Populismus aber auch als Gradmesser für mangelnde Demokratiequalität, für die Abgehobenheit der politischen Elite und der Alternativlosigkeit neoliberaler Politik betrachtet.

Populismus wird als politischer Kampfbegriff verwendet, um gegnerische politische Kräfte zu diskreditieren.

Meist dient der Begriff der Erklärung des Aufstiegs von rechten Parteien und sieht die mangelnde Bildung der Mehrheit der Gesellschaft als Ursache an. In dieser Publikation wird diese Sichtweise regelmäßig kritisiert, nicht nur wegen ihrer elitären Haltung, sondern weil sie den Blick auf real existierende Ängste vor sozialem Abstieg verstellt.
Die Debatte rund um den Populismus dreht sich meistens um zwei verschiedene Ausprägungen, nämlich den Rechts- und den Linkspopulismus.

Populismus der Mitte

Der österrei­chische Journalist und Autor Robert Misik merkte dazu kürzlich an, dass es auch einen Populismus der politischen Mitte gibt, nur wird dieser gemeinhin als Pragmatismus bezeichnet.
Im Gegensatz zum meist negativ verstandenen Populismus, erscheint Pragmatismus als positive Einstellung. Pragmatische Politik bestehe darin, unter den gege­benen Umständen das Beste heraus zu holen, sich auf Kompromisse zu einigen ohne sich von ideologischen Gegensätzen blockieren zu lassen. Pragmatisch zu handeln bedeutet in diesem Sinne innerhalb der bestehenden politischen und sozialen Ordnung zu agieren, ohne die grundsätzliche Struktur der Gesellschaft zu hinterfragen. Politische Vorstellungen und Handlungen, die auf grundsätzliche Änderungen der Gesellschaft abzielen, werden vom Pragmatismus als naive Träumereien abgestempelt.

Politische Vorstellungen und Handlungen, die auf grundsätzliche Änderungen der Gesellschaft abzielen, werden vom Pragmatismus als naive Träumereien abgestempelt.

Dabei gibt Pragmatismus nur vor unideologisch zu sein. Tatsächlich besteht seine ideologische Wirkung gerade darin, das Fundament der gesellschaftlichen Zustände als normal und unabänderlich darzustellen. Wie das Handeln der politischen Mitte einerseits auf ideologischen Annahmen aufbaut und dadurch die derzeit vorherrschende neoliberale Ideologie verstärkt, zeigt das Beispiel der Privatisierung.

Eines der zentralen Argumente neoliberaler Hegemonie ist, dass staatliche Betriebe bürokratisch gelähmt sind und nur private Unternehmen effizient wirtschaften können. Wie Neue Linkswende immer wieder erwähnt, gibt es zwar genügend Gegenbeispiele um diese These zu entkräften, trotzdem erscheint eine solche Argumentation als unideologischer und jederzeit gültiger Hausverstand. Um Privatisierungen von Staatseigentum durchzusetzen, benutzen Regierungen, Parteien und Medien Argumente, denen in der Öffentlichkeit wenig widersprochen wird und die vielfach auf Zustimmung stoßen.

Der ehemalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel forderte Privatisierungen mit dem peppigen Slogan „mehr privat, weniger Staat“ und knüpfte damit an diesen Hausverstand an. Auf diese Art und Weise agierte er populistisch, auch wenn er selbst sein Handeln wohl als pragmatisch bezeichnen würde.

Auf diese Art und Weise benutzt auch die Mitte Populismus als Strategie des politischen Machtgewinns. Dieser Hausverstand ist aber nicht von selbst entstanden, sonder das stets umkämpfte Zwischenergebnis nach Jahrzehnten neoliberaler Wirtschaftspolitik und ihrer ideologischen Rechtfertigung. Damit zeigt sich auch, dass der Pragmatismus entgegen seinem Selbstverständnis nicht unideologisch ist, sondern im Gegenteil hegemoniale Vorstellungen benutzt und festigt. Der Unterschied zum Rechts- und noch mehr zum Linkspopulismus besteht genau darin, dass der Populismus der Mitte Ansichten benutzt, die nicht nur vielfach geteilt werden, sondern außerdem Teil neoliberaler Hegemonie sind und gerade deswegen als pragmatisch betrachtet werden.

Linkspopulismus

SPÖ-Wahl-plakat, 1922
SPÖ-Wahl-plakat, 1922

Das Jahr 2015 bescherte Österreich eine kleine, aber dennoch wichtige Debatte um die Zukunft der Linken. Die schlechten Wahlergebnisse der SPÖ, die Stagnation der KPÖ in den steirischen Landtagswahlen und eine monatelange öffentliche Debatte um die Politik der neuen linken Regierungspartei Syriza in Griechenland brachte viele zum Nachdenken, wie eine neue linke Kraft auch in Österreich aussehen kann. Ein Aspekt der Debatte ist die Frage, ob die Linke populistischer agieren muss, um erfolgreich zu sein.

Einige, die mehr Populismus einfordern, wie Robert Misik oder die Politikwissenschafterin Barbara Stefan im Mosaik-Blog, verstehen unter Populismus mehr als Demagogie. Sie berufen sich dabei auf die Thesen des 2014 verstorbenen argentinischen politischen Theoretikers Ernesto Laclau, die in der lateinamerikanischen Linken und in den Führungsebenen neuer linker Kräfte wie Syriza in Griechenland oder Podemos in Spanien großen Einfluss haben und auch an den Universitäten gern zitiert werden.

Ernesto Laclau betont, dass das Volk (Populus), an das sich der Populismus richtet, nicht von selbst existiert, sondern erst durch den Populismus geschaffen wird. Populismus baut auf bestehenden Enttäuschungen, sozialen Ängsten und Unzufriedenheiten auf und spricht jene an, die keine Hoffnung in die etablierten Regierungen und Parteien haben. Populismus ist „die Stimme derer, die aus dem System exkludiert sind“, meint Laclau und zeigt, dass der Populismus die Einheit verschiedener Gruppen durch die Abgrenzung gegenüber den Eliten, dem politischen System, „denen da oben“ oder in den Worten der Occupy-Bewegung „dem 1%“ an der Spitze der Gesellschaft, konstituiert.

Diese Sichtweise sieht die positiven Funktionen des Populismus als notwendiges Mittel, als gegenhegemoniale politische Strategie zur Herstellung der politischen Einheit einer Gruppe. Als Beispiele werden immer wieder jüngere soziale Bewegungen genannt, wie die Occupy-Bewegung in den USA, die sich als Bewegung der 99% gegen das 1% sah, die Bewegung der Indignad@s (die Empörten) oder die Erfolge von Syriza, einer bunten Koalition der radikalen Linken in Griechenland.

Der „linke Europäismus“ ist gescheitert

Der „linke Europäismus“ ist gescheitert

Auf der anderen Seite der Debatte stehen jene, die Populismus negativ betrachten, wie der langjährige Vorsitzende der steirischen KPÖ, Franz Parteder, der sich ebenfalls an der Debatte im Mosaik-Blog beteiligte. Er antwortet dem Grünpolitiker Peter Pilz und dem Wien anders-Pressesprecher Sebastian Reinfeldt, die mehr Populismus einfordern: Parteder sieht linken Populismus hauptsächlich als Demagogie, als politische Strategie, die „einfachen Menschen“ durch plakative und zugespitzte Sprache für linke Positionen zu gewinnen.

Zu Recht warnt er vor dem Hochmut der (meist universitären) linken Gruppierungen, die glauben, die Weisheit mit dem Löffel gefressen zu haben und sich über die „dummen“ Massen und ihre mangelnde Einsicht in die wahren Ursachen sozialer Probleme beschweren. Parteder schreibt: „ArbeiterInnen, PensionistInnen und alle, die keinen akademischen Abschluss vorweisen können, werden als unverbesserliche ReaktionärInnen abgeschrieben“. Dieser elitäre Aspekt des Populismus kann keine erfolgversprechende Strategie für die Linke sein. Parteder stellt dem die Strategie der steirischen KPÖ entgegen, Vertrauen durch langjährige Kleinarbeit an der Basis zu schaffen. Kleinarbeit, die den Menschen in ihren realen Lebenssituationen hilft, ihre Sorgen um den Erhalt des Lebensstandards ernst nimmt und den Menschen auf Augenhöhe begegnet.

Was nun?

Obwohl sich die zwei Seiten dieser Debatte an der Befürwortung oder Ablehnung eines linken Populismus zeigen, können sie nicht wirklich als gegensätzlich betrachtet werden. Sichtbar ist, dass Robert Misik und Barbara Stefan von einer anderen Bedeutung des Begriffs Populismus ausgehen, als Franz Parteder. Die Frage ob die Linke populistischer sein soll, muss daher mit der Gegenfrage beantwortet werden, was mit Populismus gemeint ist.

Wenn Populismus negativ verstanden wird, und damit die Vorstellung einer Überlegenheit diverser linker (meist universitärer) Gruppierungen gegenüber den „gewöhnlichen“ Menschen, der „dummen“ Masse einhergeht, dann zeigt sich darin der elitäre Aspekt des Populismus-Verständnis. Vor diesem Fall warnt Franz Parteder zu Recht.
Anders zu bewerten ist das Verständnis wonach Populismus überhaupt erst politische Subjekte konstituiert, wie von Ernesto Laclau argumentiert wird. Populismus kann sinnvoll sein, wenn er als notwendige Bedingung für die Konstruktion eines „wir da unten“ gegen „die da oben“ verstanden wird.

Will die Linke jene 99% „da unten“ erreichen, darf sie sich keiner akademischen Sprache und Symbolik bedienen.

Will die Linke jene 99% „da unten“ erreichen, schließt das die Forderung mit ein, dass sich die Linke keiner akademischen Sprache und Symbolik bedienen darf, die nur von 1% der Bevölkerung „da oben“ verstanden wird.
Darin liegt aber auch der Hund begraben. Das Problem des positiven Verständnis von Populismus, das von der Wissenschaft und vielen Linken zu Recht eingefordert wird, ist nämlich, dass außerhalb Lateinamerikas und der Zentren von sozialen Bewegungen und Parteien in Spanien und Griechenland, außerhalb der universitären und linksradikalen Öffentlichkeit der Begriff Populismus anders und zwar negativ verstanden wird.

Die Neue Linkswende steht in einer politischen Tradition, die sich als revolutionär versteht und Sozialismus von unten erreichen will. Dabei betrachtet sie die Emanzipation der werktätigen Mehrheit als selbstständige Aktion der Mehrheit. Der russische Revolutionär Leo Trotzki bezeichnete Revolution als „gewaltsamen Einbruch der Massen in das Gebiet der Bestimmung über ihre eigenen Geschicke.“ Eine solche Sichtweise ist unvereinbar mit dem elitären Aspekt des Populismus-Verständnis, der die Massen als dumm und rückschrittlich betrachtet.

Die internationale sozialistische Tradition

Die internationale sozialistische Tradition

Es mag sein, dass neue soziale Bewegungen und politische Kräfte auch in Österreich die Bedeutung des Begriffs Populismus in Zukunft positiv verändern und der Begriff seinen elitären Aspekt verliert. Dass die Linke eine Sprache verwenden muss, die von der Mehrheit verstanden wird, ist ein Gemeinplatz in linken Debatten. So lange Populismus aber öffentlich als Abwertung der Mehrheit der Bevölkerung verstanden wird, darf die Linke ihr Handeln nicht als populistisch definieren, sonst wird sie weiterhin als elitär angesehen werden. Was nötig ist, ist in diesem Sinne eine populäre und nicht populistische Linke.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.