Rassismus nachgeben war ein schwerer Fehler

Die Linke muss ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz und FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache für den Massenmord an Flüchtlingen im Mittelmeer verantwortlich machen und für offene Grenzen eintreten. Die Strategie, man könne die Rechten durch Zugeständnisse beschwichtigen, ist fatal fehlgeschlagen.
4. September 2018 |

SPÖ-Chef Christian Kern hatte unlängst Recht, als er dem Führer des rechten Parteiflügels, Hans Peter Doskozil, entgegenhielt: „Wir würden unsere Seele verkaufen, wenn wir die Politik von ÖVP und FPÖ einfach nachahmen würden. Wir werden niemals die Leute aufeinanderhetzen. Wir müssen wieder mehr Mut haben und eigene Positionen vertreten.“ Es sei „unsere Pflicht, Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken zu retten“. So eine klare Haltung hätten sich Antirassist_innen schon 2015 gewünscht. Denn die Strategie, den Rechten seit dem Höhepunkt der „Flüchtlingskrise“ nachzugeben, hat sie nicht beschwichtigen können, sondern sie stärker und aggressiver gemacht.

In die Knie

Die FPÖ polterte nach der Öffnung der Grenzen im September 2015 wie wild. In einer Grundsatzerklärung forderte Strache Grenzschließungen, neue Konzentrationslager sowie eine „Obergrenze“ für Flüchtlinge. Die Alternative für Deutschland schlug in einem Grundsatzpapier vor, „das Recht, in Deutschland Asyl zu beantragen“, gleich ganz aufzuheben, und nannte Kanzlerin Angela Merkel eine „Schleuserin“. Österreichs Kanzler Werner Faymann reagierte darauf mit Beschwichtigungen: Er führte eine Obergrenze ein, nannte sie aber „Richtwert“. Er ließ in Spielfeld an der Grenze zu Slowenien einen Zaun bauen, bezeichnete ihn aber als „Tür mit Seitenteilen“. Ähnlich agierte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bis zum Juni 2018.

Beim EU-Gipfel am 28. Juni kapitulierte Merkel, die den Satz „Wir schaffen das“ geprägt hat, schließlich vor ihrem Unionspartner CSU und der extremen Rechten. Merkel hat dem Bau von neuen Internierungslagern zugestimmt, „Ankerzentren“ an der Grenze zu Österreich und „Anlandeplattformen“ in Nordafrika; der libyschen Küstenwache soll die alleinige Aufgabe übertragen werden, Flüchtlinge „zu retten“. Die Strategie, die Achse aus US-Präsident Donald Trump und rechten Regierungen in Europa durch Zugeständnisse zu besänftigen, ist fatal gescheitert.

Dynamik

Eine offene Haltung gegenüber Flüchtlingen hätte die Rechten zurückdrängen können – und kann es immer noch. In einer aktuellen Market-Umfrage sagen 45%, Flüchtlinge gehören zu „uns“, während 37% das Gegenteil sagen; über Ausländer und Migranten sagen 48%, sie gehören zu Österreich, gegenüber 35%, die anderer Meinung sind. Weitere aktuelle Umfragen zeigen, dass bis zu 80% meinen, Asylwerbende, die eine Lehre machen, sollten nicht abgeschoben werden; sogar unter FPÖ-Wähler_innen sagen das 60%.

Die aktive solidarische Mehrheit dominiert im Alltagsgeschehen immer noch die gesellschaftliche Dynamik – man darf sich von der rassistischen Politik „da oben“ nicht täuschen lassen. Die Menschen sind standhafter und widerstandsfähiger, als oft angenommen wird. Das darf auch nicht verwundern. Alleine in Wien gaben 60% in einer SORA-Studie an, schon einmal für Flüchtlinge gespendet zu haben, das sind umgelegt über 1,1 Millionen Menschen.

Haltung zeigen

Dass es anders ginge, bewies die Wiener SPÖ im Landtagswahlkampf 2015. Wiens damaliger Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) erkannte die Situation richtig und attackierte FPÖ-Chef Strache. Häupl setzte auf Anstand und Menschlichkeit und mobilisierte seine eigene Basis und die hunderttausenden Solidarischen. Er meinte, jetzt könne man wieder einmal sehen, wofür „wir stehen und wofür steht dieser Recke (Strache). Diesen Unterschied kann man wählen.“ Bis dahin prognostizierten Umfrageinstitute ein Kopf-an-Kopfrennen zwischen SPÖ und FPÖ, aber Häupls antirassistischer Schachzug sorgte dafür, dass die SPÖ die Wahl schließlich deutlich gewann (40% gegenüber 31% für die Freiheitlichen).

Wir werden sehen, ob Kern diese neue Haltung durchhält. Im gleichen Interview beteuerte er, dass es natürlich Grenzkontrollen brauche und es keinen Zweifel gebe, dass „wir die Zuwanderung begrenzen müssen“. Im Wesentlichen behauptet Kern, es genüge, soziale Themen ins Zentrum zu stellen und die Regierung dabei zu entlarven, wie sie dem reichsten Prozent der Gesellschaft Steuergeschenke mache. Für offene Grenzen einzutreten und ÖVP und FPÖ den Massenmord im Mittelmeer vorhalten, ist das Beste, was wir dem Rechtsruck entgegenhalten können. Wir brauchen eine linke, internationalistische Antwort auf die „Festung Europa“.