Riesige Demonstration in Barcelona: „Eure Kriege, unsere Toten!“
Die Terroranschläge vom 17. August hätten zu einem unwidersprochenen Anstieg von Islamfeindlichkeit und dem Wiederaufflammen von Faschismus und Rassismus führen können. Beide Phänomene erlitten erst jüngst schwere Niederlagen durch die Arbeit von Vereint gegen Rassismus und Faschismus (UCFR) in Katalonien. Die Demonstration am 26. August in Barcelona selbst hätte rechtsextremen und rassistischen Ideen Auftrieb und der repressiven Antwort durch den Staat Rückhalt verleihen können, so wie das in Frankreich nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo der Fall war.
Es gibt eine lange Geschichte von anti-terroristischen Demonstrationen im spanischen Staat in den 1980er- und 1990er-Jahren nach den ETA-Anschlägen. Dabei unterstützten nicht nur die Konservativen und die Sozialistische Partei, sondern auch die kommunistisch geführte „Vereinigte Linke“ die brutale Repression der baskisch-nationalistischen Bewegung durch den spanischen Staat.
Problematische Teilnahme der Königsfamilie
Der Protest, kurzer Hand vom Stadtrat initiiert und dann von der katalanischen Regierung unterstützt, wurde ursprünglich als Marsch für Frieden und Solidarität präsentiert und auf dieser Basis lud der Stadtrat soziale Bewegungen ein, die Demo mit zu organisieren. Doch die Tatsache, dass die spanische Regierung ebenfalls an der Organisation beteiligt war, sowie der Umstand, dass die konservative Regierung (Partido Popular, PP) und die königliche Familie ebenfalls teilnehmen würden, ließ die Dinge in einem anderen Licht erscheinen. Wie können die PP und die Königsfamilie eine Demo für ein friedliches Zusammenleben anführen?
Durch Druck von links, insbesondere vom antikapitalistischen Parteienbündnis Kandidatur der Volkseinheit (CUP), stimmten die Organisator_innen zu, dass PP und die Monarchen nicht den Protest anführen würden, obwohl ihnen dennoch eine wichtige Position vorne im Demozug zugestanden wurde. Für die sozialen Bewegungen und die Linke bedeutete dies eine Herausforderung.
Wichtigen Debatten gestellt
Einige argumentierten, dass es nicht die Zeit sei, politische Debatten zu entfachen, und wir einfach auf die Demo gehen sollten, um der Opfer des Attentats am 17. August zu gedenken. Andere argumentierten, dass die Demo zwangsläufig die Regierung stärken würde und entschieden sich, nicht teilzunehmen.
Foto: marx21
Die Mehrheitsposition war, dass wir versuchen sollten, die Demonstration zu dem zu machen, was sie sein sollte – sie also effektiv zu übernehmen. Eine Woche hektischer Aktivitäten, Treffen von Vertreter_innen verschiedener sozialen Bewegungen, Nachbarschaftszusammenschlüssen, Gewerkschaften, wichtiger Teile der Unabhängigkeitsbewegung, der (klein gewordenen) Antikriegsbewegung und der antirassistischen Bewegung wie UCFR), sowie der Netzwerke, die die riesige „Flüchtlinge Willkommen“-Demo am 18. Februar organisiert hatten.
An die 200 verschiedener Bewegungen stimmten einer bedeutenden Deklaration zu, die die Rolle der PP im Irakkrieg anprangerte – und die Besatzung, die zum Aufstieg von ISIS führte – sowie die Rolle der spanischen Königsfamilie, enge Freunde der Saudischen Monarchie, im Waffenhandel nach Saudi Arabien. Außerdem wurden in der Deklaration weitgehende Änderungen der Außen- und Innenpolitik gefordert, die repressive „Sicherheits“-Politik abgelehnt und zur Solidarität mit Flüchtlingen aufgerufen. Der Text enthielt auch einen Aufruf, die Demonstration blau zu färben: Das blau des Mittelmeers und des Pro-Flüchtlings-Protests am 18. Februar.
„Menschen, die Frieden wollen, verkaufen keine Waffen“
In Rekordzeit wurden 50.000 blaue Plakate produziert mit Slogans für Frieden und gegen Islamfeindlichkeit. Zwei 15 Meter lange blaue Banner wurden gemacht mit den Hauptslogans: „Ihre Politik, unsere Toten“ (gegen die PP gerichtet) und „Friede, Solidarität, Zusammenleben in Vielfalt“.
Während der 24 Stunden vor der Demonstration strahlte das Radio alle 30 Minuten einen Clip von einem der Repräsentanten der Bewegung aus – David Karvala, Sprecher von UCFR und Mitglied der antikapitalistischen Gruppe Marx21 – erklärte die Ansichten der Bewegung und verurteile die Scheinheiligkeit der PP und des Königs.
Foto: marx21
Die Demonstration war blau – T-Shirts, Banner und so weiter – und die Sprechchöre richteten sich gegen Islamfeindlichkeit, Krieg und die Scheinheiligkeit der Herrschenden. Auf tausenden Plakaten wurden Ministerpräsident Mariano Rajoy und der König für ihre Rolle im Waffenhandel angegriffen – mit Slogans wie „Menschen, die Frieden wollen, verkaufen keine Waffen“. Das war auch Thema eines riesigen Banners – 16 mal 8 Meter – den ein Demoblock über ihren Köpfen hertrug. Sogar im ersten Block der Demonstration – übermäßig durch die Polizei überwacht – gelang es Aktivist_innen derartige Banner hochzuhalten, während das Hauptbanner „Ihre Politik, unsere Toten“ über den Köpfen ebendieser Politiker sichtbar war.
Rechte erfolgreich ausgebremst
Die Rechte reagierte auf zwei widersprüchliche Weisen: Einerseits taten sie so, als wäre nichts passiert. Dank ausgewählter Kameraeinstellungen (und Photoshop) wurden nur Fotos veröffentlicht, die weder die kritischen Banner zeigten noch die Unabhängigkeitsfahnen, die ebenfalls den Demozug füllten. Andererseits beschuldigten sie Unabhängigkeits-Aktivist_innen die Demo vereinnahmt, boykottiert oder ruiniert zu haben. Sie kritisierten die „Politisierung“ der Demo, wobei sie ignorieren, dass ihre „Antiterror“-Demos immer hoch politisch waren und voller nationalistischer Fahnen – spanischer, nationalistischen Fahnen.
Es könnte argumentiert werden, dass einige Teile der Unabhängigkeitsbewegung zu präsent gewesen wären, aber das ist eine Debatte für innerhalb der Bewegung in Katalonien. Die gesamte Absicht von PP, den König und die Regierung zur Demonstration zu bringen, war ein Versuch, die Unabhängigkeitsbewegung zu schwächen – und dieser Versuch scheiterte fundamental. Die Demonstration war ein voller Erfolg für die sozialen Bewegungen und eine herbe Niederlage für die Rechte.
Radikale Linke kann Massenunterstützung bekommen
Der Protest wirft aber auch Fragen bezüglich der Linken, die den Stadtrat kontrolliert, und der katalanische Regierung auf, die heute in fünf Wochen das Referendum (über die Unabhängigkeit, Anm.) abhalten wird. Wenn beide nichts gegen die Teilnahme der Konservativen und des König an der Demonstration taten, wie sollen sie in viel größeren Kämpfen, die ihre Versprechungen beinhalten, gegen Konservative und König auftreten?
Auch wenn die Demonstration sehr antirassistisch geprägt war, wissen wir, dass uns noch viele Kämpfe bevorstehen. Der Kampf gegen Islamfeindlichkeit und Faschismus muss weitergehen und ausgeweitet werden. Die Lektion der Demonstration ist, dass diese Kämpfe nicht nur an einer Minderheit von linken Aktivist_innen hängen. Wir können Massenunterstützung bekommen, wenn wir sie suchen und aufbauen.
Maria Dantas ist Mitglied von Marx21 und eine der Organisator_innen der Demo. Übersetzung aus dem Englischen von Judith Litschauer.