Russischer Sozialist spricht sich gegen Putins Krieg aus
Welcher Bewegung gehören du und deine Kamerad_innen an?
Ich bin Mitglied der Gruppe „Socialist Tendency“. Unsere Gruppe ist auch Teil der International Socialist Tendency, einer Vereinigung von revolutionären Sozialist_innen, deren größte Sektion die Socialist Workers Party of Britain ist.
Wie beurteilst du diesen Krieg: seine Ursachen und Folgen?
Wir bewerten den Krieg als einen innerimperialistischen Konflikt zwischen Russland und dem Westen, in dem die Ukraine leider zu einem Druckmittel geworden ist. Es tut uns sehr leid, dass euer Volk solche Prüfungen durchlaufen muss. Die Stimmung in der russischen Gesellschaft ist ganz anders als im Jahr 2014. Die patriotische Begeisterung ist stark zurückgegangen. Die Menschen wollen keinen Krieg. Allerdings muss man zugeben, dass es auch einige Großmacht-Chauvinisten gibt.
Was hat dich dazu bewogen, dich an Aktionen gegen den Krieg mit der Ukraine zu beteiligen?
Die Ablehnung der militärischen Aggression unseres Staates, der euer Land ausgesetzt ist. Wir treten für die Niederlage unserer Regierung im imperialistischen Krieg ein. Wir wollen eine breite Anti-Kriegs-Basisbewegung aufbauen und eine Klassenagenda einbringen. Nur wenn wir die Massen ansprechen, können wir wirklich etwas bewirken.
Was für Leute nehmen außer euch noch an diesen Aktionen teil?
In Moskau, Nischni Nowgorod und St. Petersburg beteiligten sich unterschiedliche Kräfte an den Aktionen. Leider dominieren die Liberalen, aber auch die Linke ist recht stark vertreten. Es gibt mehr Liberale unter den Organisator_innen und unter den anderen Demonstrant_innen. Es gibt auch Marxist_innen und Anarchist_innen, aber sie stehen noch am Rande. Die durchschnittlichen Teilnehmer_innen sind eher „spontane Liberale“, die Putin nicht aus dem Grund nicht mögen, weil er „zu imperialistisch“ ist, sondern weil er „nicht imperialistisch genug“ ist.
Sie schauen auf die Bevölkerung der EU und den USA und beklagen sich darüber, dass sie besser leben, als ob diese Menschen einfach aufgrund eines anderen demokratischen Systems besser leben würden und nicht aufgrund des entwickelten Imperialismus ihrer Länder.
Was tut ihr, um euch gegen die Liberalen durchzusetzen?
Um den Liberalen die Initiative zu entreißen, müssen Marxist_innen und Anarchist_innen mit ihrer eigenen Agenda zu Antikriegsaktionen gehen, unter den Menschen agitieren, in Gewerkschaften und Arbeitskollektiven arbeiten.
Wir haben den Artikel „Über Widersprüche“ der ukrainischen linken Organisation „Chernoye Znamya“ übersetzt, ihre Position ist uns sehr ähnlich, sie wenden eine wirklich kompetente Analyse auf die aktuelle Situation an.
Wir haben Genossinnen und Genossen in Kiew und Lwow. Wir müssen eine internationale antiimperialistische Front aufbauen.
Viele Russ_innen wollen keinen Krieg mehr, es ist an der Zeit zu sagen „Kein Krieg zwischen den Völkern, kein Frieden zwischen den Klassen“! Wir rufen alle Linken auf, mit uns zu Anti-Kriegs-Aktionen zu kommen!
Wie ist die Stimmung der Demonstrant_innen selbst im Zusammenhang mit den Verhaftungen?
Es herrscht eine wirklich kämpferische Stimmung. Putins Repressionsapparat zieht die Schrauben an, aber die Menschen gehen trotzdem auf die Straße. Videos von den Kundgebungen sollten euren Nationalisten und allen Ukrainer_innen gezeigt werden, damit sie verstehen, dass ihr Feind nicht die russische Nation ist, sondern der Kreml.
Das gesamte Interview (auf Russisch) findest du hier.
Livestream von SWP TV: Krieg in der Ukraine: Wie sollte die Linke reagieren? Montag, 28. Februar, 19.30 Uhr mit Alex Callinicos, Autor von Imperialism & Global Political Economy - Clare Lemlich, US-Sozialistin und regelmäßige Autorin über Osteuropa, kürzlich aus der Ukraine zurückgekehrt - russische Sozialistin - Tomáš Tengely-Evans, Socialist Worker Online-Redakteur. Schalte live über YouTube hier oder über Facebook hier ein. Einzelheiten zur Veranstaltung findest du hier.