„Schuld & Söhne“: Kapitalismus und Klimakrise am Volkstheater
Irgendwann in der Zukunft, wir nähern uns einer Heißzeit. Die Menschen leben in der Klimaapartheid, die Konflikte um Ressourcen spitzen sich zu, die Ungleichheit wird immer größer. Ein paar Privilegierte sind noch rechtzeitig aus der Stadt geflüchtet und haben sich in einer gleichberechtigten, sektenartigen Kommune auf dem Land zusammengetan. In Christine Eders neuem Stück „Schuld & Söhne“ leisten die Bewohner_innen dieses letzten „Schutzhauses“ Sühne durch Verzicht, um mit der an Fjodor Dostojewski angelehnten Schuld am Klimakollaps klarzukommen. Strom, Essen und Internet werden streng rationiert, man lebt mit der Knappheit.
Der Zusammenhalt der Gemeinschaft wird auf die Probe gestellt, als Oliver (Bernhard Dechant), früher „einer von den Bösen“, ein Rassist, der auf schnelle Autos stand, um Asyl ansucht. Man hat ihn ständig von oben belehrt, dass sein unverantwortlicher Lebensstil die Menschheit zugrunde richten würde, was ihn dazu trieb, die Schuld bei Muslim_innen zu suchen und ihn schließlich von der Überlegenheit der weißen Rasse überzeugte.
Eders Klimadystopie lebt von erschreckendem Realismus und rabenschwarzem Humor, der auf einer der Knappheit entsprechendem extrem minimalistische Bühne, immer wieder bis zum Tusch auf die Spitze getrieben wird – etwa wenn Eva Jantschitsch, die wieder die Musik komponierte, uns singend von einem Chor begleitet auf einem vergoldeten SUV die Endzeit prophezeit.
Widersprüche
Eder räumt mit einer äußerst gängigen Haltung auf, nämlich, dass wir durch die Klimakrise alle klassenübergreifend näher zusammenrücken und wir alle im selben Boot sitzen würden. Im Gegenteil, die Gegensätze verschärfen sich. Da ist etwa der konservative Politiker (Thomas Frank), angelehnt an den vermeintlich „anständigen“ Reinhold Mitterlehner mit Hang zur FPÖ („Heimatliche Umwelt für unsere Leut‘!“), der dem Refugium auf die Pelle rückt. Er will den Kommunarden Land abluchsen, um eine lukrative Carbon Capture and Storage-Anlage (CSS), „Betonbäume“, zur Speicherung von Kohlendioxid im Boden zu errichten, um mit der Umweltkrise das große Geld zu machen.
Selbst in der scheinbar harmonischen Gemeinschaft brodelt es. Manfred (Christoph Rothenbuchner) muss gleich in mehrere rechte Rollen schlüpfen. Sebastian Kurz bekommt sein Fett ebenso ab („Klima und Grenzen schützen!“, „Es geht nicht ohne hässliche Bilder!“) wie Ibiza-Star und Klimaleugner Heinz-Christian Strache („Klar wird es wärmer, Grönland war auch einmal grün!“).
Luca (Katharina Klar) überzeugt in der tragischen Rolle der Linken, auf die niemand hörte. Eine Kämpferin, die es hasste, Lob von jenen zu bekommen, die in ihrer Machtposition den Planeten zugrunde richteten. Stets das Publikum herausfordernd, macht sie die klarsten Ansagen, wenn alles drunter und drüber geht. Dass man das soziale Elend und die Klimakrise gleichzeitig bekämpfen muss, dass es um das System an sich und nicht die Veränderung des Individuums geht.
Sie begnügt sich nicht mit oberflächlicher Kapitalismuskritik an Geld und Wachstum. Luca geht dem Problem an die Wurzel. Sie prangert die Produktion (nicht erst den Kauf) von fossile Brennstoffe verschlingenden Monster-SUVs an und nimmt den Staat selbst ins Visier – denn dieser war es schließlich, der das klimaschädliche System mit Gewalt durchgesetzt hat. Luca verkörpert die Klarheit, die wir bei Greta Thunberg so lieben. Sie ist die unbestechliche Dunja in Dostojewskis Schuld und Sühne.
Migration
Oliver selbst war nur ein Vorbote. Mehr und mehr Flüchtlinge machen sich auf den Weg und belagern die Kommune. „Sie kommen in Scharen, sie sind auf dem Weg hierher“, kreischt ein verzweifelter Oliver. Aber plötzlich sind es nicht mehr die Muslim_innen, die kommen, sondern es sind die „eigenen Leut’“ aus den Städten, die an die Tore klopfen. Die Kommune wird vor das Dilemma gestellt, Gewalt anzuwenden oder im Sinne der Menschlichkeit die noch letzten Reserven mit den Neuankömmlingen zu teilen. Schnell wird klar, dass wir es erst gar nicht so weit kommen lassen dürfen. Das Zurückziehen auf eine Insel der Seligen funktioniert nicht, die Realität wird einen früher oder später einholen. In einem Krieg der Ressourcen werden, wie schon heute, die Reichen und Mächtigen gewinnen – wenn wir den Kampf nicht aufnehmen. Der Kapitalismus ist das Übel, das getilgt werden muss.
Eder sucht bewusst die Auseinandersetzung mit populären Theorien der Linken. So lässt sie ausgerechnet den rechten Oliver aus dem Buch Kritik der Migration des linken Autors Hannes Hofbauer rezipieren. Oliver kritisiert die Linke für ihre Naivität, die „unkontrollierte Masseneinwanderung“ zugelassen zu haben, weil dadurch angeblich Lebens- und Arbeitsstandards Einheimischen und Migrant_innen gedrückt wurden. „Solange die Linke davor die Augen verschloss“, philosophiert er, „würden immer mehr Leute die Rechten wählen und Migrantinnen rassistisch zum Sündenbock machen.“ Ein derartiger Zusammenhang ist nicht nur falsch – die sinkenden Sozialstandards sind eine Folge der Passivität der Gewerkschaften, nicht der Migration –, sondern Wasser auf die Mühlen der Rassisten. Und so verwundert es nicht, dass sich Oliver im selben Augenblick in einer Schimpftirade gegen den Islam ergießt.
Ein tiefroter Faden
Eder greift auf Erfahrungen und Debatten der Klimabewegung zurück, kleistert sie aber nicht bloß wahllos aneinander, sondern arbeitet tiefere Zusammenhänge heraus und gibt der komplexen Materie Struktur – keine leichte Aufgabe, wie jeder bestätigen kann, der sich einmal näher mit der Klimakrise befasst hat. Die bürgerliche Kritik hat eben das nicht verstanden, ja sie kann es nicht, immerhin vertritt sie ebenjenes System, das Eder kritisiert.
Aktivist_innen von Fridays for Future, Extinction Rebellion oder System Change, not Climate Change werden das Stück lieben.
Spieltermine und Karten: volkstheater.at. Bilder: www.lupispuma.com / Volkstheater