Syrien: „Es kann keinen Frieden mit Assad geben“

Zehntausende Syrer_innen sind auf der Flucht oder sind – trotz Waffenstillstands – den Angriffen des Regimes ausgeliefert. Im Interview erzählt der in Wien lebende Aktivist und Regimegegner Youssef Alyamani über das unsägliche Leid seiner Landsleute und den ungebrochenen Widerstandsgeist.
29. März 2016 |

Neue Linkswende: Was hörst du aktuell aus Syrien?

Youssef Alyamani: Man muss offen sagen, die Situation ist ganz schlecht. Jetzt soll es ja einen Waffenstillstand geben, ich hoffe, dass er hält, obwohl es zahlreiche Angriffe in verschiedenen Teilen Syriens gibt. Die Menschen versuchen diese Feuerpause einzuhalten. Ich glaube aber, die Regierungstruppen nehmen das nicht ganz ernst. Für mich ist das Wichtigste, dass die Hilfslieferungen zu den leidenden und hungernden Menschen durchkommen. Dafür müssen wir nun alle arbeiten.

Der Waffenstillstand hat ja die Regel, dass IS und Al-Nusra weiter bekämpft werden, während andere Rebellengruppen nicht mehr angegriffen werden sollen?

Das Problem ist, wer überwacht den Waffenstillstand, wer entscheidet? Das ist nicht nur in Aleppo so, auch in Damaskus. Es gibt viele Gebiete, in denen der Waffenstillstand nicht gilt. Ich glaube, die UNO müsste in Syrien aktiv werden.

Es gibt angesichts des Krieges Stimmen, dass man auch mit Assad sprechen müsste.

Ich glaube manchmal, wir haben aus der Geschichte nichts gelernt. Wir Syrer wissen, dass es Assad darum geht, die demokratische Bewegung zu vernichten, damit er die einzige Wahl ist. Es ist deshalb gefährlich, wenn man mit Verbrechern einen Deal macht, die verantwortlich für eine halbe Million Tote sind. Das wäre ein großer Fehler der westlichen Politik.

Oft erscheint der Konflikt als einer zwischen zwischen Sunni und Shia.

Man kann diese Probleme nicht einfach ignorieren, sie existieren. In Syrien haben normale Leute vor dem Aufstand nie gefragt, bist du Schiit oder Sunnit oder Alawit. Im Laufe des Aufstands ist aber vielen klar geworden, sie müssen ihre Nachbarn verteidigen. Das Assad-Regime hat diese Spaltung gefördert, um seine Macht zu festigen und sich die Unterstützung der Alawiten zu sichern. Daher hat er auch eine Elite von alawitischen Armee-Offizieren entstehen lassen. Viele Sunniten haben sich dadurch als Bürger zweiter Klasse gefühlt. Die Radikalen sind mehr geworden und haben derzeit die Macht. Die vernünftigen Menschen werden ausgegrenzt. Deshalb glaube ich, dass es keine Chance auf Frieden gibt, wenn dieses Regime an der Macht bleibt.

Wie siehst du die Rollen von Iran und Saudi-Arabien in Syrien?

Am Anfang waren unsere Demonstrationen für Gerechtigkeit und gegen Korruption völlig friedlich. Wir haben keine Hilfe von außen gebraucht. Doch dann hat die Regierung das Militär auf die Menschen schießen lassen. Das hat die Armee gespalten und ein Teil wurde zur „Freien Syrischen Armee“ (FSA).

Dann kamen natürlich viele ausländische Kämpfer, die nicht willkommen waren, aber man hatte keine andere Wahl. Wenn Menschen erschossen werden, dann braucht man Hilfe. Die Rebellen waren arm, hatten keine richtigen Waffen um sich zu verteidigen. Nach einigen Jahren, etwa ab Ende 2013, hat Saudi-Arabien eine wichtigere Rolle gespielt. Den Saudis wurde klar, dass das Assad-Regime eine Art Koalition mit den Alawiten gegen eine mehrheitlich sunnitische Opposition eingegangen ist, obwohl viele Schiiten gegen Assad kämpfen. Aber das Regime hat diese Gelegenheit genutzt und einen Religionskrieg ausgelöst.

Auf der anderen Seite hat der Iran dem Assad-Regime sehr geholfen. Das war aber nicht gratis, auch die Iraner haben ihre eigenen Interessen und Ziele. Die syrische Bevölkerung ist gegen die Verbrechen des Regimes aufgestanden, sie hat kein Problem mit dem Iran. Aber wir sind enttäuscht darüber, dass die iranische Regierung Assad unterstützt und so viele Kämpfer schickt.

Und die Rolle der Kurden?

Die Kurden sind ein wichtiger Teil von Syrien, sie sind Syrer. Sie haben lange Zeit in Unterdrückung gelebt, haben keine Papiere bekommen, keine Staatsbürgerschaft. Die Kurden haben jedes Recht in Syrien zu leben. Was mich jetzt enttäuscht, ist dass einige derselben Gruppen, die für Freiheit gekämpft haben, die vom Regime getötet und gefoltert wurden – es ist unser gemeinsamer Schmerz – nun gemeinsam mit den Verbrechern kämpfen. Wenn die Kurden für Freiheit kämpfen, können sie nicht mit Verbrechern zusammenarbeiten.

Wie stellst du dir die Zukunft Syriens vor?

Ich möchte ein Syrien für alle Syrer, ich möchte keinen Krieg mehr sehen, aber ich will auch kein Assad-Regime mehr sehen, dafür müssen wir alle arbeiten.

Aleppo – Symbol der Revolution unter Feuer

Aleppo – Symbol der Revolution unter Feuer

Das Interview führte Tom-Dariusch Allahyari.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.