Warnstreik in Kindergärten gegen unzumutbare Arbeitsbedingungen

Nachdem Elementarpädagoginnen bereits am 12. Oktober 2021 eine öffentliche Betriebsversammlung abhielten, folgte heute, am 29. März 2022, der nächste Schritt. Achttausend Arbeiter_innen versammelten sich um 10 Uhr im Votivpark, und demonstrierten für bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und vor allem kleinere Gruppe. Linkswende sprach mit den Beschäftigten über ihre Forderungen und den steigenden Arbeitsdruck.
29. März 2022 |

„Ich arbeite seit über 22-Jahren in Kindergärten. Die Arbeit hat mir immer Spaß gemacht. Es ist einfach ein schönes Gefühl, mit Kindern zu arbeiten. Wenn ich zufällig ehemalige Kinder von mir treffe, dann freut es mich immer extrem, zu sehen, was aus ihnen geworden ist. Es wäre so diese Idealvorstellung, dass wir Kindern dabei helfen können, einen guten Start im Leben hinzulegen. Was sind deine Stärken, was deine Interessen usw. Aber die Arbeitssituation wird mit jedem Jahr weniger tragbar. Wenn es so weiter geht, dann wird irgendwann niemand mehr in diesem Bereich arbeiten“, erklärte Magdalena. Dass es kaum möglich ist, den eigenen Ansprüche an die Arbeit gerecht zu werden, so empfanden es viele unserer Interviewpartner_innen.

Miserable Arbeitsbedingungen sind politisch gewollt

Bei all unseren sieben Interviewpartner_innen war die Forderung nach kleineren Gruppen das bestimmende Thema. Alle sind sich einig, dass es bei der aktuellen Realität bis zu 25 Kinder pro Pädagogin plus Assistentin objektiv unmöglich ist, dem Bildungsauftrag gerecht zu werden. Genauso führen die zu großen Gruppen zu einer extremen Arbeitsbelastung. Burn-out, Depression und das Gefühl, von der Gesellschaft ignoriert zu werden, bestimmen den Arbeitsalltag. Fast jeder unserer Interviewparntner_innen konnte von Kündigungen von Kolleg_innen aus eben diesen Gründen berichten.

Die Drop-out-Rate nach den ersten zwei Jahren ist in der Elementarpädagogik so hoch wie in kaum einem anderen Beruf. Laut Bildungsstadtrat Czernohorsky hören etwa 70% der Anfänger_innen wieder auf. Das Problem hinter dem Personalmangel ist demnach nicht, dass niemand in dem Beruf arbeiten will, sondern dass sich die Politik konsequent weigert, annehmbare Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Wir wollen keine Aufbewahrungsstätte sein

Veronika: „Der aktuelle Betreuungsschlüssel mit 25 Kindern ist eine Unmöglichkeit. Niemand, der ein Fünkchen Verstand hat, kann meinen, das es bei solch einer Gruppengröße möglich ist, auf die einzelnen Bedürfnisse der Kinder einzugehen. Da vorne ist dieses Transparent: „Wir sind keine Kinderaufbewahrungsstätte“ und das ist das Entscheidende. Theoretisch haben wir gelernt, wie wir Kinder gezielt fördern und unterstützen können, real ist es aber kaum möglich, diese pädagogischen Überlegungen in die Praxis umzusetzen. Und das hat nichts mit fehlender Arbeitsmotivation oder so zu tun. Jeder, der in diesen Bereich arbeitet, macht das aus Überzeugung. Stress, Überstunden, geringe Bezahlung, wenig Anerkennung, diese Realität ist jedem klar, der als Pädagoge arbeiten will. Aber die Hoffnung war immer, dass es im Laufe der Zeit besser wird. Und in der Realität wird es immer schlechter. Auch die Jahre der Pandemie, wo uns anfangs erklärt wurde, wie wichtig wir nicht sind, haben nichts geändert. Das einzig Gute ist, dass wir heute sehen, wie viele und vor allem wir unzufrieden wir sind. Ich war auch bei der letzten Kundgebung und ja, es ist höchste Zeit, dass es weitergeht“.

Arbeitskampf der Elementarpädagoginnen geht weiter

Arbeitskampf der Elementarpädagoginnen geht weiter

Michaela: „Wir sind heute streiken, weil es in den Kindergärten schon lange Probleme gibt. Allem voran der akute Personalmangel, das heißt das Fehlen von ausgebildeten Fachkräften. Es wird gefordert, alles zu verschriftlichen, immer mehr zu dokumentieren, dadurch bleibt das Kind auf der Strecke. Die Wahrheit ist, wir haben eine Assistentin pro Kindergartengruppe für nur 20 Stunden pro Woche, aber die ist maximal 1-1,5 Stunden in der Gruppe. Den Rest der Zeit ist man mit 25 Kindern alleine. Wir haben Kinder mit besonderen Bedürfnissen, für diese bekommen wir keine gesonderte Unterstützung. Auch, weil es bspw. für Psychologenteams die Einwilligung der Eltern bräuchte, und da haben halt viele Angst vor Stigmata. Das führt dazu, dass ich die meiste Zeit für das eine Kind da sein muss, weil es Unterstützung braucht, und 24 andere Kinder bleiben auf der Strecke. Das kann nicht das Ideal sein. Wir haben fünf Vorbereitungsstunden. Eine findet im Haus statt, vier zu Hause. Die Wahrheit ist, die fünf Stunden reichen nie aus. Alleine  den Bildungsplan (Was haben wir mit den Kindern geplant, welche Ziele verfolgen wir, wie wollen wir die Kinder unterstützen, welche Bereiche wollen wir den Kindern näher bringen sei es Musik, Kreativität, Wahrnehmungsförderung usw.) niederzuschreiben, geht sich in fünf Stunden unmöglich aus. Und dazu kommt ja noch, das wir viel über Beobachtungen schreiben müssen. Weil manche Kinder tun sich schwerer, sich in den Alltag zu integrieren und um herauszufinden, warum das so ist, müssen wir viel beobachten. Dafür benötigt man wiederum Zeit und kleinere Gruppen.“

Michael Kahr ist Hortpädagoge bei den Kinderfreunden: „Ich bin heute hier, um für bessere Arbeitsbedingungen zu demonstrieren. Wir merken, von den Versprechungen, die seit Herbst, also seit der letzten Demonstration, gegeben wurden, kommt nichts an. Wir merken nicht, dass sich irgendetwas in unserem Alltag verbessert. Wir brauchen einen anderen Betreuungsschlüssel und kleinere Gruppen. Im Moment sind wir überbelegt und haben 27 Kinder in einer Gruppe. Dadurch wird das qualitative pädagogische Arbeiten schwer.“

Krank sein ist nicht erlaubt

Der extreme Personalmangel führt dazu, dass Krankenstände de facto unmöglich sind. Krankschreibungen über mehrere Tage bringen die pädagogischen Einrichtungen an den Rande des Zusammenbruchs. Viele Interviewpartner_innen wiesen darauf hin, dass sie oder ihre Kolleg_innen mit „leichten Krankheitssymptomen: Fieber, Magenkrämpfe, Grippesymptome usw.“ arbeiten gehen müssen. „Ich kann nicht einfach sagen, heute bin ich krank, weil ich genau weiß, was das für meine Kolleg_innen bedeutet. Natürlich weiß ich auch, dass es sowohl für meine Gesundheit, als auch für die der Kolleg_innen, falsch ist, krank arbeiten zu gehen. Aber wie gesagt, wir wissen wirklich nicht, wie wir den Personalmangel ausgleichen sollen. Kurz hatte man ja die Hoffnung, das Coronavirus würde helfen, die Systemrelevanten, wie sie uns genannt haben, stärker ins Licht zu rücken. Aber nach zwei Jahren Pandemie muss man sich eingestehen: Nein, die Politik schert sich noch immer nicht um uns“.

Jetzt lassen sie uns alle durchseuchen

Christine fing im Februar 2020 an, im Kindergarten zu arbeiten: „Mit Kindern arbeiten war seit Jahren mein Ziel. Ich wollte in einem Bereich arbeiten, indem man spürt, man macht etwas Sinnvolles, hier sind Menschen, die sich um ein gutes Miteinander scheren, denen geht es nicht nur um Karriere. Und was meine Kolleginnen angeht, hat sich dieser Wunsch auch voll erfüllt. Ich arbeite wirklich gern in diesem Bereich. Über den Personalmangel haben wir ja schon gesprochen, aber auch die Art und Weise, wie mit uns während der Pandemie umgegangen wurde, hat mich enttäuscht. Niemand hat sich ausgekannt, jeden Tag andere Regeln, kaum jemand hat sich um unseren Schutz geschert. Gerade die ersten Monate mit dem Virus waren extrem belastend. Quasi all meine Freunde sitzen im Homeoffice und ich muss weiter ganz normal in die Arbeit, ohne Informationen und ohne Unterstützung. Wenigstens gibt es in meinen Kindergarten einen Betriebsrat, also dadurch konnten wir uns wenigsten von Anfang an auf Selbstverständlichkeiten wie: Aufstellen von Desinfektionsspendern, Eltern kommen beim Abholen nicht mehr direkt in den Kindergarten usw. einigen. Aber ehrlich gesagt, ich seh noch immer nicht, dass die Politik aus den vergangenen Jahren gelernt hat. Jetzt lassen sie uns ja alle einfach durchseuchen!“

Unterstützende Eltern

Die Frage, wie man die Eltern auf seine Seite bekommt, beschäftigt die Pädagog_innen. Christian erklärte: „ Ich bin heute extra mit meinem Kind gekommen, um zu zeigen, dass ich die Forderungen der Pädagog_innen unterstütze. Ich finde es eine Sauerei, mit welcher Ignoranz wir als Gesellschaft die Menschen, welche für die Ausbildung unserer Kinder verantwortlich sind, behandeln. Beziehungsweise generell, wie wenig wir uns um Menschen, die in sozialen Berufen arbeiten, scheren. Meine Frau arbeitet in einer Obdachlosenunterkunft und auch dort gibt es nie Personal, geschweige denn Geld. Aber für Zeitungsinserate haben die Politiker dann immer Geld. Darum find ich es toll zu sehen, wie viele Menschen heute gekommen sind. Nur so können wir etwas ändern. Lassen wir es nicht zu, das uns die Politik ob Stadt Wien oder Bundesregierung weiter ignoriert“.

Die Arbeiterklasse im 21. Jahrhundert

Die Arbeiterklasse im 21. Jahrhundert

Streik

Der Protest heute war nicht nur ein Zeichen dafür, wie gigantisch die Unzufriedenheit der Pädagoginnen ist, sondern vor allem auch ein inspirierendes Zeichen für die Bereitschaft, sich für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen. Demonstriert wurde nicht nur in Wien, sondern auch in Kärnten und Oberösterreich organisierten Elementarpädagog_innen Proteste. Alle, mit denen wir sprachen, waren sich einig, das jetzt endlich wirkliche Verbesserungen von der Politik kommen müssen. Ansonsten müssen weitere Aktionen und umfassendere Streiks folgen. Michaela erklärte: „In unserem Beruf ist es leider oft so, dass man sich denkt, wir können ja nicht streiken ­- die armen Kinder! Aber genau das ist der Fehler. Wenn wir nicht auf die Straße gehen, dann sehen die Eltern ja nicht, was alles falsch läuft. Ich glaube auch, es wäre sinnvoll, wöchentlich auf der Straße zu sein. Weil dann würden auch die Eltern sehen, dass es höchste Zeit ist, dass wir etwas unternehmen. Und wenn dann nicht 5.000, sondern 500.000 Menschen da stehen, dann wird die Politik handeln müssen. “

Redaktionelle Mitarbeit Jakob Zelger