Warum wir offene Grenzen fordern müssen!
Die Arbeiter haben kein Vaterland“, schreiben Karl Marx und Friedrich Engels selbstbewusst im Kommunistischen Manifest. Sozialist_innen fordern offene Grenzen, totale Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte für alle zugewanderten Arbeitskräfte.
Was unter der aktuellen politischen Konjunktur, gemeint ist der Höhenflug nationalistischer und fremdenfeindlicher Parteien, wie ein Anflug romantischer Gefühle klingen mag, ist bei seriöser Betrachtung eine Forderung, die auch von gemäßigten Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien übernommen werden sollte. Denn der offensive Kampf um offene Grenzen und gleiche Rechte für Arbeiter_innen jeglicher Herkunft ist die beste Voraussetzung, um die Arbeiterbewegung als Ganzes wieder in die Offensive zu bringen und die Rechten zu besiegen.
Internationale Solidarität
Wir verstehen die Menschen auf den Schlauchbooten im Mittelmeer genauso als Teil unserer Klasse, wie die Kollegin, die mit uns den Arbeitsplatz teilt. Klassenbewusstsein bringt Internationalismus mit sich, also das aktive Wissen um die eigene Position innerhalb einer Gesellschaft, die vom Konflikt zwischen den sich diametral gegenüberstehenden Klassen der Kapitalisten und der Arbeiter_innen geprägt ist.
Klassenbewusste österreichische Arbeiter_innen verstehen selbstverständlich, dass sie und ihre ausländischen Kolleg_innen auf derselben Seite stehen, und der inländische Boss auf der anderen. Und unsere Solidarität als Klasse muss sich natürlich auch auf alle ausweiten, die sich erst auf den Weg zu uns machen.
Offene Grenzen, gleiche Rechte
Restriktive Einwanderungspolitik gepaart mit eingeschränkten Rechten für zugewanderte Personen heben nicht den Lohnstandard der heimischen Arbeiter_innen, sondern senken ihn. Die Beschränkung von Rechten für zugewanderte Arbeiter_innen hat weitreichende negative Folgen für beide – ansässige und zugewanderte Arbeitskräfte. Formell besitzen zugewanderte Arbeitskräfte dieselben Rechte auf gewerkschaftliche Vertretung und Organisation wie alle anderen. In den Branchen, wo zugewanderte Arbeitskräfte als erstes unterkommen (vor allem ortsgebundene oder sehr arbeitsintensive Branchen, wie Landwirtschaft, und direkte Dienstleistungen, wie Pflege und Heimhilfe, oder am Bau, wo die Beschäftigungsrate Zugewanderter schon mal 50 Prozent übersteigen kann) herrscht ein notorisch niedriger gewerkschaftlicher Organisationsgrad vor, mit allen Folgen, wie niedrigen Löhnen und schlechteren Arbeitsbedingungen.
Die Sorge um den Arbeitsplatz und den nicht gesicherten Aufenthaltstitel haben Zurückhaltung beim Kampf um eigentlich garantierte Rechte zur Folge. Deshalb ist es innerhalb der Gewerkschaften ziemlich unumstritten, dass „Fremdarbeiter“, so die gängige schreckliche Bezeichnung, gleiche Rechte genießen sollten. Die Rechte der Lohnabhängigen können nur mit der kollektiven Macht der Gewerkschaften erfolgreich verteidigt werden, und die ist natürlich eingeschränkt, wenn ein Teil der Arbeitskräfte von Unternehmern bestimmter Branchen wegen der Sorgen um ihren legalen Status quasi als Geiseln gehalten werden. Aber die Unterstützung der schon Zugewanderten durch die Gewerkschaften dehnt sich nicht auf alle aus, die erst zuwandern wollen. Sprich, sie treten für gewisse Einschränkungen der Bewegungsfreiheit ein, für Grenzkontrollen sowieso, aber sogar für Übergangsfristen für Arbeitskräfte aus dem EU-Osten.
Mit dieser Strategie schaden die Gewerkschaften sich selbst, bzw. ihrer Basis. Sie können die politischen Rechte von Immigranten nicht erfolgreich verteidigen, wenn diesen das Recht verwehrt wird, sich frei dort hinzubewegen oder aufzuhalten, wo sie am liebsten arbeiten und leben würden. Mangelt es Immigranten aber an Grundrechten, dann übt das Druck auf die Rechte aller Arbeitskräfte aus. Und vielleicht noch wichtiger: Das Polizeiregime, das in einem feindselig gegen Zuwanderung gerichteten politischem Klima etabliert wird – man denke nur an Kickls Sondereinheiten – bleibt nicht bei der Repression von „Ausländern“ stehen. Ein einmal entwickelter Unterdrückungsapparat wendet sich früher oder später auch gegen andere Gruppen: gegen streikende Arbeiter_innen, gegen Linke, gegen Antifaschist_innen, Umweltschützer_innen, oder wer auch immer den Herrschenden gegen den Strich geht.
Zuwanderer kein Problem
Ein gängiges, aber leicht zu widerlegendes Argument, lautet: Wir haben nur eine begrenzte Zahl von Arbeitsplätzen. Nehmen wir darüber hinaus Menschen auf, dann drücke das die Löhne und führe deshalb zu Konflikten. Aber eine groß angelegte Studie über die Folgen großer Flüchtlingszuströme zwischen 1985 bis 2015 beweist das Gegenteil. Sowohl die Wirtschaftsleistung als auch die Arbeitslosigkeit der betroffenen Volkswirtschaften profitieren von Flüchtlingen. Länder, die sich abschotten, zahlen drauf. Die Zahlen zeigen, dass binnen zwei Jahren nach dem Zustrom von Zuwanderern die Arbeitslosigkeit der Gesamtbevölkerung signifikant niedriger wird und die Wirtschaft wächst.
Nicht nur an den Außengrenzen, sondern auch innerhalb Europas hat die EU Zäune errichtet © Marios Lolos
Die positiven Effekte erklären sich durch die erhöhte Nachfrage am Markt, durch die Bereitstellung von Dienstleistungen, durch die Schaffung von Arbeitsplätzen und durch das Zahlen von Steuern. Nicht nur das, die Studie demonstriert auch, dass die Hindernisse für Flüchtlinge am Arbeitsmarkt und bei der freien Niederlassung die positiven Effekte für die Volkswirtschaften hinauszögern. Das heißt, dass jeder, der aus humanitären Gründen gerne Flüchtlinge „Willkommen heißen“ würde, sich aber aus politisch-wirtschaftlichen Erwägungen nicht traut, das auch offensiv zu vertreten, falsche Zurückhaltung übt. Man darf sogar nationalistisch denkenden Menschen gegenüber selbstbewusst für offene Grenzen argumentieren. Noch mehr trifft das auf Gewerkschafter zu.
Erstens müssen sie wissen, dass man Zuwanderer nicht für niedrige Löhne oder sinkende Sozialstandards verantwortlich machen kann, die sind von einer Politik zu verantworten, die als Handlanger der Unternehmer agiert. Außerdem, was soll ein Gewerkschafter, der glaubt, Flüchtlinge auf einem Schlauchboot im Mittelmeer würden hiesige Sozialstandards gefährden, bei Lohnverhandlungen von den Bossen fordern? Er steht orientierungslos auf verlorenem Boden.
Angst vor Rassisten
Die Flüchtlingswelle von 2015 habe die Rechtsextremen in ganz Europa gestärkt, wird gegen offene Grenzen argumentiert. Tatsächlich ist jedoch sowohl die Akzeptanz für Flüchtlinge seit 2015 gestiegen, als auch das Empfinden von Integration durch Flüchtlinge. Je näher die Menschen an einer Flüchtlingsunterkunft leben, desto deutlicher ist diese Entwicklung. In der Siedlergasse in Liesing, wo die Errichtung eines Notquartiers besonders umstritten war, stieg die Akzeptanz von 45 sogar auf 72 Prozent. Für eine Schließung sprachen sich nur mehr 14 Prozent aus. Vor der Eröffnung hatten sich noch 28 Prozent gegen eine Notunterkunft in ihrer Nähe ausgesprochen.
Das SORA Institut ermittelte, dass 48 Prozent der Wiener_innen nichts dagegen haben, wenn Flüchtlinge in ihrer Nähe leben, 8 Prozent würden sie im eigenen Haushalt aufnehmen. 20 Prozent sind dafür, dass sie Aufnahme in der eigenen Stadt finden und 12 Prozent sprechen sich dafür im eigenen Land aus. Die Frage muss eher lauten, warum die tatsächliche Haltung der Bevölkerung gegenüber Zugewanderten nicht den entsprechenden politischen Ausdruck findet. Und hier liegt die Erklärung wohl eher in der Defensive der linken Parteien und in der Offensive der Rechtsextremen, aber eben nicht in der Haltung der Bevölkerung.
Klare linke Politik gefragt
Wir leiden unter einer Schwäche der Linken, die sich dem Diskurs einer europäischen Heimat unterworfen hat, anstatt die Prinzipien der internationalen Solidarität hochzuhalten. Ein Grund, warum linke Kritik am europäischen Grenzregime so zahm ausfällt, ist das liberale Konzept von Europa als Heimat einer vermeintlich europäischen Bevölkerung, einer europäischen Kultur- und Geistesgeschichte und dergleichen. In Wahrheit stand Europa seit jeher im Zeichen eines dynamischen Austauschs von Ideen und Menschen aus verschiedensten Erdteilen. Die europäische Identität ist nach wie vor etwas dynamisches, sich ständig veränderndes, das nicht territorial definiert oder abgeschirmt werden kann oder soll.
Der falsche Mythos einer europäischen Heimat bietet dem Diskurs von illegaler Migration nur das nötige Unterfutter. Dieser Diskurs von illegaler Migration verschlimmert nicht nur die Situation der Einwanderer, er verstärkt auch nationalistische Haltungen, Rassismus und menschenfeindliche Einstellung in der heimischen Bevölkerung und er bietet den rechtsextremen Parteien Material für ihre politischen Zwecke. Wer eine echte Trendumkehr und die Linken wieder in der Offensive erleben will, der sollte sich von Protektionismus und Nationalismus verabschieden und gleiche Rechte für alle Werktätigen fordern.