12. Februar 1934: Das Ergebnis der verlorenen Österreichischen Revolution
Diktator Engelbert Dollfuß, der am Vorabend des entscheidenden Schlags gegen die Sozialdemokratie erklärte, dass sich „der Umbau des Staates“ zum autoritär geführten Staat „in möglichster Raschheit vollziehen“ müsse, zog in Erwägung, die Arbeiterschaft in einem schnellen Schlag mit Giftgas zu ermorden. Die Heimwehren unter Emil Fey, berühmt-berüchtigt für seinen Satz „Wir werden morgen an die Arbeit gehen und wir werden ganze Arbeit leisten“, gingen in den Februartagen besonders ruchlos gegen die Arbeiter_innenbewegung vor. Vier Tage lang stellten sich Arbeiter_innen vor allem in Oberösterreich, Wien und der Steiermark mit Waffengewalt gegen die Diktatur. Die Kämpfe forderten über 300 Todesopfer.
Der bewaffnete Widerstand war – nachdem Hitler in Deutschland beinahe ohne jegliche Gegenwehr die Macht übernehmen konnte – das leuchtende Beispiel für die weltweite Arbeiter_innenbewegung. Der antifaschistische Schlachtruf lautete „Lieber Wien als Berlin“.
Österreichische Revolution 1918
Die Wurzeln des Bürgerkriegs liegen in der österreichischen Revolution. Die österreichische Arbeiter_innenklasse war der Mittelpunkt des Widerstands gegen die Kriegstreiberei der Donaumonarchie Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg. Der Schrecken des Krieges, Hunger und Krankheiten zerrütteten den Vielvölkerstaat. Arbeiter_innen stiegen auf die Barrikaden, jagten ihre Fabrikchefs davon und gründeten Arbeiterräte. Die Jännerstreiks 1918 wurden zum allgemeinen Aufstand.
Kriegsheimkehrer und Kriegsgefangene berichteten von der erfolgreichen Russischen Revolution, die Hoffnung auf einen baldigen Frieden machte. Kaiser Karl I. telegrafierte am 17. Jänner an seinen Außenminister Graf Czernin: „Ich muss nochmals eindringlichst versichern, dass das ganze Schicksal der Monarchie und der Dynastie von dem möglichst baldigen Friedensschluss in Brest-Litowsk abhängt … Kommt der Friede nicht zustande, so ist hier die Revolution, auch wenn noch so viel zu essen ist.“
Im Mai meuterten Soldaten in weiten Teilen der auseinanderbrechenden Monarchie und fachten die Bewegung weiter an. Im November dankte der Kaiser schließlich ab. Die Bourgeoisie war völlig gelähmt. „Arbeiter und Soldaten hätten jeden Tag die Diktatur des Proletariats aufrichten können. Es gab keine Gewalt, sie daran zu hindern“, schrieb der Führer der Sozialdemokratie, Otto Bauer. Zwischen den Erwartungen der Arbeiter_innen und den Zielen ihrer politischen Führer klaffte jedoch ein tiefer Spalt.
Am 12. November wurde die Republik verkündet. Die Führung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) trat in eine gemeinsame Regierung mit den Deutschnationalen und Christlichsozialen ein und rief allgemeine Wahlen aus. Die Arbeiterführer schafften es die Revolution in parlamentarische Bahnen zu lenken und raubten ihr den sozialen Inhalt. Der Bourgeoisie blieb eine Verschnaufpause, ehe die Konterrevolution zum Gegenschlag ausholte.
Die Konterrevolution formiert sich
Bereits im November 1918 formierten ehemalige Offiziere aus der sich auflösenden Armee und Korpsstudenten (Burschenschafter) erste konterrevolutionäre Wehrverbände. Zugleich bildeten Bauern in den ländlichen Regionen Heimwehren, die als wirksame Streikbrecher-Gruppen von Großkonzernen wie der Österreichisch-Alpine Montangesellschaft finanziert und logistisch mit Waffen, Munition und Ausrüstung versorgt wurden. Sie wurden großteils in die bestehenden Wehrverbände integriert.
Diese konterrevolutionären Gruppen sollten den Achtstundentag, das Frauenwahlrecht und viele weitere soziale und politische Errungenschaften der Revolution, die den Unternehmern ein Dorn im Auge waren, rückgängig machen. Besonders das „Rote Wien“, das bei den Christlichsozialen als „gewalttätig, lebensfremd, unduldsam“, „kultur- und wirtschaftszerstörend“ galt, sollte bekämpft werden.
Der erste große Auftritt der Heimwehren war ihr blutiger Einsatz gegen Arbeiter_innen nach dem Justizpalastbrand am 15. Juli 1927. Kommandiert wurden sie von niemand geringerem als Waldemar Pabst, dem Mörder von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Der Streik der Eisenbahnen und Telekommunikationsbetriebe, ausgerufen nach dem Massaker der Wiener Polizei an 89 Arbeiter_innen vor dem Justizpalast, wurde innerhalb von vier Tagen von 20.000 schwer bewaffneten Heimwehrtruppen gebrochen.
Arbeitermacht in Bruck an der Mur
Der ausgerufene Generalstreik nach dem Justizpalastbrand wuchs in Bruck an der Mur, einem wichtigen Eisenbahn-Drehkreuz in der Industrieregion, zu einem vollständigen Aufstand aus. Arbeiter_innen gingen gegen die Polizei vor und brachten die Stadt vollständig unter ihre Kontrolle. Werktätige bildeten einen „Arbeiter-Exekutiv-Ausschuss“, der das Verbot der bürgerlichen Parteien anordnete und die Hauptverkehrsknoten blockieren ließ.
„Im Februar 34, der Menschlichkeit zum Hohn, hängten sie den Kämpfer gegen Hunger und Fron, Koloman Wallisch, Zimmermannsohn.“
Ihrem Anführer, dem sozialdemokratischen Parteifunktionär Koloman Wallisch, gelang es auch am 12. Februar 1934 die Heimwehren zu entwaffnen und die Stadt abermals zu übernehmen. Erst als das Bundesheer mit Haubitzen anrückte, fiel die Stadt, Wallisch wurde gefangen genommen und von einem Standgericht zu Tode verurteilt. Bert Brecht schrieb über den großen Arbeiterführer: „Im Februar 34, der Menschlichkeit zum Hohn, hängten sie den Kämpfer gegen Hunger und Fron, Koloman Wallisch, Zimmermannsohn.“
Der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1929 beschleunigt die Ereignisse. Der steirische Heimwehrführer Walter Pfrimer wollte bereits 1931 die Entscheidung gegen die Arbeiter_innen erzwingen und mobilisierte zum Putsch für einen autoritären Ständestaat. Noch aus Angst vor einem offenen Bürgerkrieg schickte die Regierung das Bundesheer gegen die Putschisten. Aber schon 1933 ließ die Regierung unter Engelbert Dollfuß das Parlament mit Waffengewalt auflösen und verhängte ein Verbot über die Kommunistische Partei und den Republikanischen Schutzbund, die paramilitärische Organisation der SDAP.
Verhängnisvolles Zögern der Führer
In der Sozialdemokratie wurden seit der Julirevolte 1927 die Rufe lauter, dem bevorstehenden Bürgerkrieg nicht tatenlos zuzusehen. Der linke Flügel in der Partei, die „Sozialistische Jungfront“, brachte sich gegen die zunehmend passive Parteiführung in Stellung. „Es genügt nicht zu sagen, die Demokratie habe versagt“, kritisierte Käthe Leichter die Parteiautorität Otto Bauer. „Es ist unsere Aufgabe als Arbeiterklasse revolutionäre Machtmittel anzuwenden.“
„Es genügt nicht zu sagen, die Demokratie habe versagt. Es ist unsere Aufgabe als Arbeiterklasse revolutionäre Machtmittel anzuwenden.“
1933 war die Führung bereits gelähmt. Oskar Helmer, der später als Innenminister an der Rehabilitation österreichischer Nazis maßgeblichen Anteil haben sollte, forderte angesichts des Bürgerkriegs „schonungslose Selbsterkenntnis“ und meinte, man „müsste den Massen mit hundertprozentiger Ehrlichkeit“ erklären, „dass wir demokratische Sozialisten einfach keine Revolutionäre sind.“
Die Ungeduld wurde größer. Der oberösterreichische Arbeiterführer Richard Bernaschek, dessen Schutzbündler im Linzer Hotel Schiff am 12. Februar 1934 das Feuer auf die Polizei eröffneten, appellierte an Otto Bauer, ob er denn nicht sehen könnte, „dass das Vertrauen der Massen mit jedem Zurückweichen vor den Faschisten abnimmt“. Bauer drängte hingegen am Parteitag im Oktober 1933 auf einen „Kompromiss“, der von unmittelbaren Vorbereitungen auf den Bürgerkrieg mittels Generalstreik und Bewaffnung des Schutzbundes absah. Stattdessen beschwichtigte er die Linksopposition, eine Spaltung der Partei zu vermeiden.
Ein bedeutender Führer der Linksopposition, Ernst Fischer, gab später zu, man hätte dem nicht zustimmen dürfen. „Wahrscheinlich hätten sich die Linken auf dem Parteitag durch eine klarere Abstimmung in der Sozialdemokratie vorübergehend isoliert“, meinte Fischer, „aber wenige Wochen später wäre die revolutionäre Bewegung in der Sozialdemokratie stärker gewesen als je zuvor.“
Eine vergessene Geschichte
Schutzbundkompanien sammelten sich am 12. Februar an vereinbarten Treffpunkten, aber man verweigerte die Herausgabe der dringend benötigten Waffen. In Favoriten ohrfeigten völlig verzweifelte Schutzbündler einen ihrer Führer, weil er verlangte, ein besetztes Arbeiterheim kampflos der Polizei zu übergeben. „Das war der einzige schöne Augenblick, den unsere Kompanie während des ganzen Februarkampfes erlebte“, erinnerte sich später Mitkämpfer Friedl Schorsch.
Nachdem die Sozialdemokratie schließlich in den blutigen Kämpfen zerschlagen wurde, formierten sich die Kämpfer_innen der Linksopposition, die den erbittertsten Widerstand organisiert hatten, in der Illegalität neu. Sie führten die Sozialdemokratie im Untergrund unter dem Namen „Revolutionären Sozialisten“ (RS). Joseph Buttinger und viele andere Größen gerieten in Vergessenheit, nicht zuletzt, weil es die Alliierten und österreichische Politiker_innen nach dem Weltkrieg vorzogen, ehemaligen Kriegsverbrechern, anstatt revolutionären Sozialist_innen, die Rückkehr nach Österreich zu ermöglichen.
Der Bürgerkrieg 1934 ist das Ergebnis der verlorenen Revolution 1918. Er wäre nicht durch „geschicktere Verhandlungen“ vermeidbar gewesen – er wurde der Sozialdemokratie aufgezwungen. „Was sich am 12. Februar in Österreich entfaltete“, schrieb der Historiker Charles Gulick, „war die dramatischste Episode in einer faschistischen Gegenrevolution, die Jahre hindurch geplant worden war.“
Die Arbeiter_innenbewegung hatte eine schlechte Führung, die alles tat, um einen Bürgerkrieg zu vermeiden, der ihr aber von den Christlichsozialen erklärt wurde. Alles was die Führung erreichte, war die Arbeiter_innen zu entwaffnen und beinahe hilflos dem Feind auszuliefern. In Erinnerung bleiben uns die Kämpfer_innen, die in einem letzten Aufbäumen für die Demokratie ihr Leben aufs Spiel setzten und so teuer dafür bezahlten.