Huschke Mau: Entmenschlicht warum wir Prostitution abschaffen sollen
Vier Faktoren beschreibt die Autorin als zentral für den Einstieg in die Prostitution. Erstens: Das Erleben von sexueller oder körperlicher Gewalt in der Kindheit. Je nach Studie haben zwischen 50 und 95% der in der Prostitution arbeitenden Frauen Gewalterfahrungen in der Kindheit erlebt.
Prostitution ist sexuelle Nötigung
Zweitens: Die Erfahrung der Abwertung als Frau. Hier spannt Mau einen Bogen von alltäglichem Sexismus, der Frauen entgegenschlägt, bis zur staatlichen Weigerung, Opfern von sexualisierter Gewalt zur Hilfe zu kommen. Für Frauen, die den dritten Faktor – die Armut – kennen und/oder übergriffige Erfahrungen gemacht haben, kann sich Prostitution anfangs als ermächtigend anfühlen. Abgesehen davon, dass die „Ermächtigung“ eine Reaktion auf ein menschenverachtendes System ist, hält sie nicht lange an. Eine Studie aus neun Ländern (u. a. Deutschland, USA, Sambia) kommt zum Ergebnis, dass 75% aller Prostituierten bereits einmal obdachlos waren und 89% würden aussteigen, wenn sie das Geld hätten. Frauen schlafen mit Männern, mit denen sie nicht schlafen wollen. Durch Geld wird ein scheinbarer Konsens hergestellt. Das ist Prostitution: Sex beruhend auf ökonomischem Zwang.
Im Unterschied zu anderen Berufen im Kapitalismus beruht Prostitution darauf, dass nicht nur die Arbeitskraft verkauft wird, sondern der eigene Körper. Würde nur die Arbeitskraft verkauft werden, dann müsste es dem Freier egal sein, wie die Person aussieht, die den Blowjob gibt. Genauso steht das Verhalten der Prostituierten im Zentrum des Kaufes. Wer geht zu einer traurigen Prostituierten oder gar einer, die einem erklären will, dass man gar nicht so gut fickt, wie man denkt. Huschkes Darstellung „Prostitution ist immer sexuelle Nötigung“ ist nicht zu widerlegen. Seitenweise wird aus Freierforen zitiert. In diesen werden Prostituierte nicht nur nach ihren Körpern und Fähigkeiten bewertet, sondern Empfehlungen diskutiert, bei welchen Frauen man die Grenzen des Bezahlten überschreiten kann. Wenn sie nicht will, droh mit dem Zuhälter, so das Credo. Global arbeiten zwischen 40 und 42 Millionen Menschen in der Prostitution, 90% von ihnen haben einen Zuhälter. Der vierte Einstiegsfaktor. Eine Person, die beim Einstieg „hilft“.
Prostitution als Entfremdung
„Sex ist keine Dienstleistung, ich kann Sex nicht von meinem Körper, meinem Ich trennen. (…) Prostitution heißt, den intimsten Bereich zu verkaufen, den man als Mensch hat.“ Dissoziation ist ein psychologischer Begriff, welcher beschreibt, dass die Psyche auf Extremsituationen wie bspw. Folter oder Vergewaltigung reagiert, indem sich das Ich scheinbar vom eigenen Körper abspaltet. Gewissermaßen nimmt man den eigenen Körper nicht mehr wahr, sondern stellt sich vor „das geschieht gar nicht mir, das ist nur ein Film“. Genau dieses Gefühl beschreibt Mau als zentral für ihre Erfahrung: Sie blickte während des Sex in den Spiegel und hatte nicht das Gefühl, dass sie sich ansah. Weit über die Hälfte der Prostituierten leiden an posttraumatischen Belastungsstörungen. Ein ganz normaler Beruf?
Gewalt gegen Frauen
Mindestens 100 Frauen wurden seit 1999 in Deutschland von Freiern oder Zuhältern ermordet. In Schweden, wo das von Huschke präferierte nordische Modell umgesetzt wurde – der Kauf von Sex ist Verboten, der Verkauf nicht – keine einzige. Als Sozialist_innen setzen wir bei den Verhältnissen an, die Frauen in die Prostitution zwingen. Den Kampf gegen eine unterdrückerische Industrie müssen wir mit der Unterstützung der Rechte der in dieser Industrie arbeitenden Menschen verbinden.
Das Buch ist Pflichtlektüre für jede_n der eine linke Positionierung zu Prostitution entwickeln will.