ÖVP/FPÖ-Kindergartenpolitik: Des Kaisers neue Kleider

Die jüngste Präsentation der gemeinsamen Kindergarten-Studie „Wiener Kindergärten und Kindergruppen mit besonderen Bezügen zum Islam“ der Universität Wien und des FH-Campus Wien hat wenig Staub aufgewirbelt. Die Studie widerlegte die erste unseriöse Studie von Ednan Aslan, die vom damaligen Integrationsminister Kurz so hochgespielt wurde. Sie war Anlass für eine rassistische Offensive.
11. Februar 2018 |

Nicht vorhandene Probleme aus dem Hut zaubern und dafür untaugliche Lösungen anbieten, das kannten wir schon von der FPÖ. Als Integrationsminister übernahm Sebastian Kurz deren Hetze gegen Muslime und Flüchtlinge, überbot sie phasenweise und jede falsche Hoffnung in den Newcomer Kurz wurde Lügen gestraft.

„Frisiersalon Kurz“

Die Wochenzeitung Falter deckte 903 Änderungen an der „Vorstudie“ über islamische Kindergärten von Ednan Aslan durch zwei Ministerialbeamte auf. Dass muslimische Eltern in den Kindergärten mit Bezügen zum Islam für ihre Kinder „Werte wie Respekt, Gelassenheit, Individualität des Kindes, Hygiene, Zufriedenheit der Kinder, Pünktlichkeit, Liebe, Wärme und Geborgenheit, Selbstständigkeit und Transparenz der Regeln“ suchen, passte offenbar nicht ins Weltbild. Daher wurde kurzerhand umgeschrieben zu: „Besonders wichtig ist ihnen (den Eltern, Anm.), dass den Kindern islamische Werte vermittelt werden.“

Muslimische Eltern wollten ihre Kinder in den Kindergärten „selbständig, respektvoll und liebevoll erzogen“ wissen. Die Beamten korrigierten, die Eltern wollen ihre Kinder „vor dem moralischen Einfluss der Mehrheitsgesellschaft schützen“. Der höchst umstrittene Aslan stellte sich dennoch hinter seine Geldgeber im Ministerium. Eine prüfende Kommission der Universität bestätigte das Offensichtliche: Es habe wissenschaftliche und vor allem methodische Mängel und es stehe „völlig außer Streit, dass es Einfluss vom Ministerium genommen wurde“.

Folgen der Hetze

Aslan und Kurz lieferten Munition für rassistische Hetze und seither ist alles Islamische ein Tabu in Kindergärten. Die neuen Untersuchungen belegen die Verdrängung der Religion aus den Einrichtungen. „Die Entscheidung, alles Religiöse zu verbannen, ist nicht zuträglich. Religion als Teil der Lebenswirklichkeit ist sinnvoll“, kritisierte Nina Hover-Reisner vom FH Campus Wien, die an einer neuen, umfangreichen Studie im Auftrag des Integrationsministeriums und der Stadt Wien mitgearbeitet hat. Ob es den Verteidigern des christlichen Abendlandes passt oder nicht, Religionsfreiheit ist per Verfassung garantiert. Die Eltern haben ein Recht auf religiöse Erziehung.

Durch die Diskussion um die Aslan-Pilotstudie wäre es zu einer „zunehmend islamfeindlichen Stimmung gekommen“, welche „nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder an den Rand gedrängt“ hat, sagte der Wiener Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky bei einem Hintergrundgespräch vor Journalist_innen. Im letzten Jahr wurden zwar 85 Wiener Kindergärten geschlossen, aber kein einziger davon wegen radikaler Religionsvermittlung. Außerdem konnten trotz verstärkter Prüfungen keine Trägervereine mit möglicherweise radikalen Hintermännern identifiziert werden.

Politikwissenschafter Farid Hafez zerlegt regelmäßig die isamfeindlich-rassistischen Diskurse von FPÖ und Regierung

 

Farid Hafez, Politikwissenschaftler und Senior Researcher der Bridge Initiative an der Georgetown University, kritisiert im Gespräch mit Linkswende jetzt Aslans Vorstudie: „Die Debatte über die sogenannte Kindergartenstudie von deren Proponenten hat gezeigt, dass ohne Evidenz, ohne empirische Grundlage, mithilfe ständiger Wiederholungen stereotyper Behauptungen, ein rassistischer Diskurs über Muslime legitimiert wurde. Die Unbrauchbarkeit islamischer Kindergärten, wie sie der derzeitige Kanzler im Wahlkampf vertreten hat, konnte nur aufgrund dieser ständigen Wiederholung passieren.“

Soziale Diskriminierung

Der Religionswissenschafter Henning Schluß von der Universität Wien stellte die einzelnen Ergebnisse des ersten Teilprojekts „Pluralität in Wiener Kindergärten und Kindergruppen unter besonderer Berücksichtigung von sogenannten islamischen Einrichtungen“ bei der Pressekonferenz vor. Er ging auf Aslans und Kurz’ Vorwurf ein, Einrichtungen mit besonderen islamischen Bezügen würden zur Bildung von Parallelgesellschaften beitragen. Schluss konterte: Nein, sie tragen nicht zur Separation und Abspaltung bei, sondern seien „im Gegenteil, ein Sammelbecken für diejenigen, die woanders nicht aufgenommen werden“. Gemessen am Anspruch einer gerechten Gesellschaft ist das heimische Bildungssystem mit seiner sozialen Selektion eine Schande. Armut und Diskriminierung der Eltern verringern die Bildungschancen ihrer Kinder.

Auf der Homepage der Universität Wien ist über festgestellte Exklusionstendenzen zu lesen: „Vielmehr seien diese auf Gründe zurückzuführen, wie bevorzugte Vergabe von Kindergartenplätzen an berufstätige Eltern, erhebliche Zusatzbeiträge privater Träger, aber auch Ablehnung in anderen Kindergärten/-gruppen. Das betrifft keineswegs nur muslimische Kinder, oft aber Kinder mit Migrationshintergrund.“ Sozialer Ausgleich durch unser Bildungssystem fehlt und ebenso die Debatte, wie dieser Missstand behoben werden soll.

Christian Andersen hat an der neuen, umfangreichen Studie „Wiener Kindergärten und Kindergruppen mit besonderen Bezügen zum Islam“ mitgearbeitet. Foto: privat

 

Christian Andersen, Mitarbeiter der neuen Studie, zieht im Gespräch mit Linkswende jetzt den internationalen Vergleich: „Der französische Kindergarten ist sehr an der Schule orientiert, es ist sehr klar, wie man vorgehen soll. Aber was sie dort gut leisten, ist, dass Kinder mit Migrationshintergrund und aus bildungsfernen Schichten auf ein gutes Level kommen und so vorbereitet werden, dass sie am Schulunterricht teilnehmen können und sie am meisten vom Kindergarten profitieren. In Österreich ist das genau umgekehrt: hier profitieren Kinder aus bildungsnahen Schichten am meisten vom Kindergarten. In den skandinavischen Ländern orientiert man sich an der Schule, und berücksichtigt das Recht der Kinder auf Spielen. Auch in diesen Ländern profitieren die Kinder mit Migrationshintergrund und aus bildungsfernen Schichten.“

Personalmangel

Die breit angelegte Studie stellte bei der Sprachvermittlung in der gesamten Branche Defizite fest. Christian Andersen kritisiert diese Schwächen und erinnert: „Pädagog_innen haben den Auftrag, sie sollen muttersprachliche Gespräche der Kinder fördern und dafür Sprachanlässe schaffen.“ Die Kinder haben ein Recht auf ihre Muttersprache im Kindergarten und in der Schule. Nur wer sich in seiner Erstsprache gut ausdrücken kann, kann dies auch in neu erlernten Sprachen.

Die Studie zeigt Schwächen im gesamten Bereich der Erziehungspartnerschaft auf: die Zusammenarbeit zwischen Pädagog_innen und Eltern kränkelt. Kein Wunder! Eine Pädagogin, die 25 Kinder zwischen zweieinhalb und sechs Jahren im Kindergarten individuell fördern und auch noch Elternarbeit bewältigen kann, ist Wunschdenken. Ihre Assistenz mit 20 Wochenstunden hat in dieser Zeit nebenher Reinigungsarbeiten und Essenszubereitung zu erledigen. Das spielt Pädagog_innen kaum frei, um die anspruchsvolle Arbeit zu verrichten.

Geld für Qualität statt ausschließlich für Quantität, mehr Personal für einen niedrigeren Kind/Erwachsenen-Schlüssel und kleinere Gruppen fordern die Gewerkschaften und Betriebsrät_innen des elementaren Bildungsbereiches seit langer Zeit. Hetze gegen Minderheiten ist die Antwort der ÖVP/FPÖ-Politiker.

Aslan wieder auffällig

Die aktuelle Durchführung der Studie erfolgte über zwei Teilprojekte, ein Teil davon stammt wieder von Ednan Aslan. Seine Leitfadeninterviews machte Aslans Team mit nur 30 Betreibern und 15 Müttern. Die in türkischer Sprache geführten Interviews wurden nicht zur Gänze ins Deutsche übersetzt. Dazu flossen nur ausgewählte Gesprächsteile in den Bericht ein. Zusätzliche telefonische Anfragen wurden anonym durch eine Aslan-Mitarbeiterin durchgeführt, welche sich als interessierte Mutter ausgab! Dazu wurden, wie schon in der letzten „Vorstudie“, die Homepages der Trägervereine von Kindergärten und Kindergruppen sowie persönliche Facebook-Inhalte der Betreiber_innen begutachtet.

Schade, dass die Studienautoren nicht auch Kurz und seine „Bildungs- und Integrationsexperten“ Aslan und Neo-Minister Faßmann unter die Lupe genommen haben.