Afghanischer Flüchtling: „Politiker haben mein Heimatland zerstört!“

Als Nasrollah (20 Jahre, voller Name der Redaktion bekannt) noch ein kleines Kind war, musste er aus Afghanistan flüchten. In einem Leserbrief erzählt er seine wahre Geschichte, seine Erfahrungen auf der Flucht und prangert die imperialistischen Interventionen in seinem Heimatland an.
15. März 2017 |

Am kommenden Samstag, den 18. März, organisiert die Plattform für eine menschliche Asylpolitik eine Großdemo gegen Rassismus. Beginn ist um 14:00 Uhr im Märzpark (U6 Burggasse). Die Veranstaltung gibt es auch auf Facebook.

Das Leben ist nicht so einfach in einem Land, wo Krieg herrscht, so wie in Afghanistan. Das ist meine Geschichte, sie entspricht vollkommen der Wahrheit. Meine Familie sind für mich wie Helden.

Mein Name ist Nasrollah und ich komme aus Afghanistan, einem Land,  in dem schon seit circa 40 Jahren Krieg herrscht.

Als ich ein kleines Kind war, habe mir gewünscht, dass ich ohne Angst zur Schule gehen und mit meinen Freunden zusammen Fußball spielen kann. Wenn man in der Stadt einkaufen gehen mochte, musste man damit rechnen, dass man vielleicht nicht mehr nach Hause kommen würde, denn in jeder Sekunde konnte man aus Angst sterben.

Ich habe kein besonderes Leben gehabt und kann mich auch nicht an eine schöne Erinnerung erinnern, denn ich hatte keine. Meine Familie und ich lebten in Afghanistan, in Ghazni, bis ich etwa vier Jahre alt war. Dann sind wir nach Helmand umgezogen, weil mein Vater in Helmand gearbeitet hatte. In Helmand bin ich sehr gerne zur Schule gegangen, aber als ich in die Klasse kam, hatte ich immer gesehen, dass der Lehrer mit einem Stock aus Holz die Schülerinnen geschlagen hatte. Nachdem er mich eines Tages brutal geschlagen hat, bin ich nie mehr zur Schule gegangen!

Noch heute leide ich, weil ich meine Muttersprache nicht schreiben und lesen kann. Manche Menschen fragten mich, warum ich in Österreich einen Asylantrag gestellt habe. Ich bin der Meinung, wenn man selber nicht im Krieg gewesen war, kann man nicht glauben, wie schrecklich es ist, einen Platz zu suchen, der sicher ist.

Ein Leben im Bürgerkrieg

Wir haben immer auf dem Dach unseres Hauses geschlafen, während die Regierung und die Taliban kämpften. Ich habe immer im Himmel die Kugeln gesehen und hatte meine Eltern gefragt, was los war. Sie haben immer sich Sorgen um mich gemacht, aber mir sagten sie, es sind Flugzeuge, die vielleicht etwas transportieren sollen. Aber ich wusste schon, dass es nicht wie ein Flugzeug aussieht, denn ich hörte auch die Schießerei und habe immer gebetet für ein friedliches Leben in meinem Heimatland.

Wegen dem Krieg musste ich mein wunderschönes Land Afghanistan verlassen, weil es bombardiert wurde. Vielleicht wundern sich manche Menschen, warum ich mein Land wunderschön finde, obwohl es die USA bombardiert haben. Die Personen, die vielleicht einmal auf Urlaub gewesen sind, können begreifen, was Heimat bedeutet!!!

Wenn wir ein friedliches Leben gehabt hätten, würden wir von Menschen nicht als Mörder oder Verbrecher bezeichnet werden. Leider verstehen circa 80% der Menschen nicht, was ich alles überlebt habe, weil sie nach dem Zweiten Weltkrieg alles vergessen haben, was damals passiert ist.

Als ich sechs Jahre alt war, musste ich auf der Baustelle arbeiten, ich habe auf der Straße Getränke verkauft, habe Schweißer gelernt und danach verdiente ich sehr, sehr gut. Aber jeden Tag haben Bekannte und Familie von mir ihr Leben verloren, wegen Selbstmordattentätern, die sich in die Luft sprengten. Meine Eltern haben meinen jüngsten Bruder verloren. Damals war ich noch nicht auf der Welt. Meine Eltern haben mir das erzählt.

Flucht aus Afghanistan

Keine Eltern wünschen sich, ihre Kinder zu verlieren, aber ich musste leider mein Land verlassen und in den Iran fliehen. Ich glaube, dass ich wahrscheinlich mit etwa acht Jahren gearbeitet habe und im Iran war ich vielleicht 12 bis 14 Jahre alt. Dann hatte ich in mehreren Steinproduktions-Fabriken gearbeitet.

Ich bin etwa fünf Jahre im Iran gewesen und danach musste ich das Land verlassen. Ich bin in die Türkei und später nach Griechenland geflohen. Anfang 2011 landete ich in Griechenland und habe schreckliche Situationen erlebt. Zum Beispiel bekommt man in Griechenland einen Aufenthaltsbrief, damit man in der Hauptstadt bleiben kann, aber ich habe mich mit dem Zug verfahren und bin in einen anderen Ort gekommen. Dann haben mich die Polizisten festgenommen.

Acht Monate Gefängnis

Ich vermute, ich bin acht Monate im Gefängnis gewesen, nur wegen eines Briefs, obwohl ich die Sprache nicht verstanden habe. Ich war zuvor niemals im Gefängnis, weil man mit Kindern anders umgehen sollte. Das Gefängnis in Griechenland hat mich zerstört. Davon habe ich jetzt immer noch Albträume und das Schlimmste war, dass man nicht sehen konnte, ob die Sonne scheint und man hat nur fünf Euro für das Abendessen und Mittagessen bekommen, aber ein Sandwich hat 2,50 Euro gekostet und die Sandwiches waren für mich zu wenig.

Jetzt habe ich meinen Appetit verloren und esse nicht mehr so viel wie früher zum Frühstück.

Kurz vor Weihnachten 2012 wurde ich dann endlich aus dem Gefängnis entlassen und in der Silvesternacht habe ich in der Hauptstadt Athen Menschen gesehen, die glücklich sind, tanzen, trinken, lächeln und so weiter. Das hat mich sehr überrascht, denn in meinem bisherigen Leben konnten wir in meiner Heimat Neujahr nie glücklich verbringen, weil wir jeden Tag wegen der EU, den USA und den Taliban Trauer gehabt haben.

Anfang 2012 hat mich ein Schlepper in einem Zug versteckt mit drei anderen Personen. Wir kannten einander nicht und auf der Fahrt hatten wir auch gestritten. Nach vier Tagen kamen wir mit dem Zug in Salzburg in Österreich an. Auf dem Weg hatte es geregnet und alle waren krank gewesen, vor allem war ich davon betroffen, meine Füße waren schrecklich erfroren. Ich bin etwa zwei bis drei Monate im Krankenhaus in Wiener Neustadt gewesen.

Neustart in Österreich

In Österreich habe ich meine Hauptschule positiv absolviert und rund ein Jahr lang eine Lehrstelle als Restaurantfachmann in der Konditorei Oberaal besucht. Jetzt arbeite ich an der Alten Donau bei der Bootsvermietung Eppel. In Österreich sind die Menschen sehr hilfsbereit, haben positive Gedanken und die meisten, die sich fortgebildet haben, sind friedlich.

Ich habe viele nette Menschen kennengelernt, aber mein Problem sind ist, dass ich wenige Österreicher und Österreicherinnen kenne, weil Sie mich nicht kennen, wie ich bin oder vielleicht haben Sie Angst vor Ausländern. Das kann ich mir schon ein bisschen vorstellen.

Mein Wunsch ist, eines Tages eine Österreicherin kennenzulernen und eine Familie zu gründen. In der Zukunft hätte ich gerne zwei Töchter und zwei Söhne. Aber es ist sehr schwer, eine Österreicherin kennenzulernen und noch dazu vier Kinder von ihr erwarten.

Ich liebe kleine Kinder sehr, denn mein Bruder hat drei Töchter. Sie sind sehr süß und ich mag alle drei sehr. Man kann in Österreich eine sichere Zukunft haben, wenn man die Menschen so respektiert, wie sie sind.

Ich vermisse meine Familie sehr. Sie fehlt mir jeden Tag, vor allem meine Eltern.

Aktuelle Lage in Afghanistan

Ich mache mich sehr viele Sorgen um meine Familie, weil sie seit drei Monaten im Krieg eingekreist sind. Vor drei Monaten haben die Taliban meinen Cousin vor unserem Haus erschossen, weil er beim Geheimdienst in Helmand gearbeitet hat. Er war mein bester Freund, den ich sehr im Herz habe, er fehlt mir sehr.

Das Leben kann so wunderschön sein, wenn es nicht um Macht geht!

Ich muss mich bei der Regierung in Österreich bedanken, dass Sie mir ein Dach über dem Kopf gegeben hat.

Manchmal werde ich sehr traurig, wenn ich sehe, was andere Afghanen in Österreich, Deutschland und Schweden gemacht haben. Früher hatte ich selber Angst vor fremden Menschen. Denn als kleines Kind habe ich gelernt, dass die Amerikaner und die EU-Länder unsere Feinde sind. Das sind sie tatsächlich. Die Soldaten sind in meinem Heimatland, um Frieden zu bringen, aber sie bombardieren uns mit Flugzeugen. Deshalb hasse ich die USA sehr. Die USA sollten wissen, dass wir Jugendlichen sowas nicht mehr zulassen werden, nicht mehr wegschauen. Es gibt eine gewisse Hierarchie in den Gesellschaften.

Ich habe nichts gegen normale Menschen auf der Erde, nur gegen die Politiker, die mein Land zerstört haben. Manche Menschen können es nicht kapieren, denn sie wissen nicht, wie schmutzig die Politiker sein können.

Ich wünsche mir, dass es eines Tag auf der ganzen Welt Frieden gibt, damit man ohne Angst leben kann.

Hiermit beende ich meine Geschichte für heute!! Danke sehr im Voraus.

Mit freundlichen Grüßen,

Nasrollah

Am kommenden Samstag, den 18. März, organisiert die Plattform für eine menschliche Asylpolitik eine Großdemo gegen Rassismus. Beginn ist um 14:00 Uhr im Märzpark (U6 Burggasse). Die Veranstaltung gibt es auch auf Facebook.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.
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