Battle of Algiers
Oft lässt sich die politische Wirksamkeit eines widerständigen, politischen Werks an der Reaktionen der Mächtigen und der Feinde des Fortschritts ermessen. Ehemalige algerische Kolonisten (die auch die erste Basis des Front National bildeten), Faschisten und OAS (geheime Armee Organisation) versuchten gewaltsam, Aufführungen zu verhindern. Die Familien von Kinomanagern in Frankreich erhielten Todesdrohungen, es wurden Bomben in Kinos gelegt, noch 1972 griffen Neonazis das Publikum einer Vorführung im Rom an, es gab Verletzte.
Was die Gemüter der Rechtsradikalen erhitzte und Regierungen Angst machte, ist die Kombination aus der unglaublichen visuellen Sogwirkung, die „Battle of Algiers“ entfaltet und seinem beispiellosen antikolonialen Furor. Erstmals spielt in einem Film ein Araber bzw. Nordafrikaner eine echte, menschliche Rolle und kein bedrohliches oder naives Stereotyp.
Befreiungsfront
Vor dem Hintergrund des Unabhängigkeitskrieges gegen Frankreich (1954 bis 1962) dreht sich die Handlung um die Protagonisten Ali La Pointe, Mitglied der FLN (Algerische Nationale Befreiungsfront), der für den Kampf der algerischen Bevölkerung gegen die Fremdherrschaft steht und Colonel Mathieu, dem französischen Fallschirmjägeroffizier, der den Aufstand niederschlagen soll. Ali La Pointe wird von Brahim Haggiag dargestellt, der Analphabet war und vor diesem Engagement noch nie im Kino gespielt hatte.
Trotzdem oder gerade deshalb zeigt er eine Ehrlichkeit, Leidenschaft und Authentizität, die viel von der Wirkung des Films ausmacht. In der Rolle des FLN-Kaders Dhile Djafar ist eine „originale“ Führungsfigur des Widerstandes zu sehen, nämlich Yacef Saadi. Auf seiner Erzählung basiert das Drehbuch.
Die Ästhetik des Widerstands
Der Regisseur des Films, Gillo Pontecorvo war selbst im italienischen, antifaschistischen Widerstand, wurde Mitglied der kommunistischen Partei Italiens und kommandierte eine Einheit.
Wie viele andere kehrte er der kommunistischen Partei 1956 den Rücken, als russische Truppen den Aufstand in Ungarn niederschlugen. Seine filmische Inspiration schöpfte Pontecorvo vom russischen, revolutionären Regisseur Sergei Eisenstein (Panzerkreuzer Potemkin) und dem italienischen Neorealismo, einer Strömung, die im Widerstand gegen Mussolinis Faschisten entstanden ist und für die Regisseure wie Fellini, Visconti und Rosselini stehen. Ungeschönte Wirklichkeit, das was die bürgerliche Gesellschaft zu verbergen sucht, wollten diese Filmgiganten dem Publikum bieten. Der „Neorealismo“ hatte einen innigen Bezug zum Marxismus.
Stilmittel
Mit verschiedenen Stilmitteln sorgt der Regisseur Pontecorvo dafür, dass die Zuseher_innen die längste Zeit meinen, eine Dokumentation zu sehen. Das beginnt mit der bereits erwähnten Besetzung und setzt sich fort, wenn während des Films die Aufrufe und Verlautbarungen der FLN verlesen werden, die gleich zu Beginn die Menschen zu den Waffen ruft.
Hauptsächlich ist aber die Kameraarbeit verantwortlich für diesen Effekt. Wenn etwa die französischen Soldaten über die Dächer der Kasbah (der Altstadt von Algiers) hetzen, um einen Verdächtigen zu stellen, scheint die Kamera ihnen gerade noch folgen zu können, kommt gerade noch rechtzeitig in eine Position um sie zu zeigen, wie sie die Türen aufschießen.
Der soziale Konflikt im Fokus
Auf die vier Aufständischen, die sich in einem Versteck in der Mauer verbergen, fällt nur ein schwacher Lichtschimmer und plötzlich wirken sie, mitten im harten Realismus wie Heilige auf einem alten Gemälde.
Die lichtdurchfluteten, breiten Boulevards des „europäischen“ Teils von Algiers stehen dem engen, düsteren Gassengewirr der Kasbah gegenüber, die Kluft zwischen reichen Kolonisten und verarmten Algerier_innen muss damit nicht weiter erklärt werden. Ali, der sein Leben als, abgerissener Kleinkrimineller fristet, bevor er sich dem Widerstand anschließt, wird zu Beginn wegen seiner Betrügereien von der Polizei verfolgt.
Blutige Repression
Die Versuche der Französischen herrschenden Klasse, den algerischen Widerstand zu brechen gehören zu den blutigsten Kapiteln kolonialer Unterdrückung. In dem äußerst asymmetrischen Krieg der französischen Truppen und Paramilitärs mit den Widerstandskämpfern wurden bis zu einer Million Algerier_innen getötet, die „sozialistische“ französische Regierung hatte dem Militär einen Blankoscheck ausgestellt, mit dem sie ohne weiteres morden, foltern und vergewaltigen konnten.
Zehntausende wurden grausam gefoltert, 3.000 Gefangene sind „verschwunden“, zwei Millionen wurden aus ihren Häusern vertrieben, viele davon in Lager gesperrt, 8000 Dörfer wurden zerstört. Jean-Marie Le Pen, ehemaliger Führer des Front National, wird beschuldigt, unter den Folterern gewesen zu sein. „Battle of Algiers“ schreckt nicht davor zurück, moralische Minenfelder zu betreten. Morde an Verrätern, die die FLN begeht, die Gewalt der Unterdrückten auch gegen Zivilist_innen werden ungeschminkt gezeigt.
Die Gewalt der Unterdrückten
Besonders beeindruckend ist die Szene, in der eine Attentäterin die fröhlichen Menschen in einem französischem Cafe in Algiers betrachtet. Als Zuseher_in rechnet man damit, dass sie aus Mitleid vor dem Attentat zurückschrecken wird. Doch sie zündet die Bombe, und die Menschen, die wir gerade noch in Großaufnahmen sehen konnten, sterben.
Niemals lässt der Film einen Zweifel daran, dass er die Gewalt der Unterdrücker nicht mit der von denUnterdrückten gleichsetzt. Viele Momente in „Battle of Algiers“ gemahnen heute an den Irak oder an Palästina. Es ist leider mehr als nur eine traurige Fußnote in der Filmgeschichte, dass die Folterszenen aus diesem Film von lateinamerikanischen und US-Truppen zu Folter-Ausbildungszwecken bis in die Gegenwart genutzt werden.