Britischer Antifaschist: „Es macht mich stolz, dass ihr Fuck Strache sagt!“

Weyman Bennett ist Sprecher von „Stand Up to Racism“ und „Unite against Fascism“, die in Großbritannien spektakuläre Erfolge gegen die Faschisten errungen haben. Linkswende jetzt hat mit Weyman anlässlich einer Diskussionsveranstaltung in Wien gesprochen.
14. Dezember 2017 |

Linkswende jetzt: Die FPÖ besteht in ihrer Führungsriege aus extrem rechten Personen mit Verwurzelung in der faschistischen Bewegung und den Burschenschaften. Ich denke du wärst geschockt zu hören, dass 20 solcher Personen ins Parlament eingezogen sind. Wie würdest du erklären, dass  ihr in Großbritannien nicht so eine große faschistische Partei habt?

Weyman Bennett: Ich würde sagen, dass die objektiven Faktoren für Faschismus in den verschiedenen europäischen Ländern – mit einer langen Periode wirtschaftlicher Krise und ungleicher Entwicklung – sehr ähnlich sind. Der subjektive Faktor war der lange Kampf gegen die Etablierung einer gefestigten faschistischen Partei, die sowohl im Parlament als auch auf der Straße operieren könnte. Drei Manifestierungen von Faschismus – die National Front in den 1970er-Jahren, die British National Party (BNP) in den 1980er-, 1990er- und 2000er-Jahren und die English Defense League (EDL) – wurden durch Widerstand immer erfolgreich zurückgeschlagen; erstens politisch, zweitens physisch auf der Straße durch Massenmobilisierungen, und drittens ideologisch, indem ihr Rassismus, die Bedingungen ihres Aufstiegs und die Bestrebungen des Aufbaus von Bewegungen aufgedeckt wurden. Das kann überall gelingen. Wir können die Faschisten zurückschlagen. Wir wissen, wer sie sind und wenden das an.

Wir unterscheiden zwischen Tories (Rechtskonservative, Anm.) und rassistischen Populisten – wie die Rechtsaußenpartei UKIP mit 26 Prozent der Stimmen, die aber ausschließlich parlamentarisch organisiert ist, und nicht die Art von Organisation aufbauen wollen, wie  Faschisten – trotzdem müssen sie konfrontiert werden, weil sie den Faschisten den Weg bereiten.

Die FPÖ repräsentiert Faschismus – auch wenn sie ihn versteckt und nach außen auf ein Minimum beschränkt, wie das Tragen des Nazi-Symbols der blauen Kornblume. Unsere Lektion ist, dass die Bildung einer gemeinsamen Bewegung gegen Faschismus historisch erfolgreich war. In den 1930er-Jahren verhinderte die Kommunistische Partei und die Linke den Durchbruch der Nazis in Großbritannien.

Gute Historiker wie Robert Paxton beteuern, dass sich Faschismus in Großbritannien nicht etablieren konnte, weil die Krise nach dem Krieg dort nicht so stark war wie in Deutschland und Italien.

Ich denke, das erklärt nur teilweise etwas. Die Schwäche des bürgerlichen und demokratischen Staats, der dann von den Nazis zerschlagen wurde, ermöglichte, dass die Nazis die Konterrevolution gegen die Demokratie  organisieren konnten. Der britische Staat war stärker und schwerer zu zerschlagen – nichtsdestotrotz hätte er zerschlagen werden können. Teile der herrschenden Klasse waren so besorgt wegen der Gefahr einer Revolution in Großbritannien und der Gefahr, dass sie selbst in Frage gestellt oder gar gestürzt werden könnten, dass sie ein Auge auf die Faschis­ten warfen.

Erst als die Angst vor der eigenen Bevölkerung und der Arbeiter_innenklasse zu groß wurde, entschieden sie sich, die Faschisten nicht mehr zu unterstützen. Es ist nicht so, dass sie sie  prinzipiell ablehnten, sondern, dass sie eine faschistische Regierung in Großbritannien als nicht so effektiv ansahen. Ein wichtiges Element dabei war die Massenbewegung gegen die Faschisten. Die wiederum drohte zu einer Gefahr für den Staat zu werden, wenn dieser ihnen  erlauben würde, sich zu organisieren und groß zu werden. Diese antifaschistische Bewegung forderte nicht nur die Faschisten heraus, sondern auch die herrschende Klasse. Für Antifaschist_innen ist es wichtig zu verstehen, dass der Staat je nach Größe der antifaschistischen Bewegung entscheiden wird, auf welche Seite er sich stellt.

Also in anderen Worten: Wir müssen den Staat mit Widerstand der Arbeiter_innenklasse konfrontieren?

Ja. Der russische Revolutionär Leo Trotzki beschrieb die Nazis als Rasiermesser in den Händen der herrschenden Klasse. Aber wenn Widerstand gegen das Rasiermesser geleistet wird und es den Herrschenden aus der Hand gerissen wird, dann werden sie es gegen diese Leute einsetzen. Es gibt in der herrschenden Klasse die Angst vor der Massenbewegung gegen Faschismus, weil sie sich genauso gut gegen die Herrschenden selbst richten kann.

Wenn wir eine Massenbewegung aufbauen und den Widerstand gegen die Faschisten vereinen, erleben wir, dass uns der Staat gewalttätig konfrontiert: Immer wenn wir die Identitären oder die FPÖ am Aufmarschieren hindern wollen, ist es die Polizei, die uns niederprügelt. Wie können wir unter solchen Bedingungen eine Massenbewegung aufbauen?

Man muss mit einfachen Dingen anfangen, wie ihre Nazi-Parolen zu konfrontieren oder ihre Gewalt gegen Flüchtlinge anzuprangern, wenn sie Flüchtlingsunterkünfte angreifen und anzünden. Hier werden die meisten Menschen zustimmen, dass das nicht Okay ist. Und von dieser einfachen Frage geht man weiter zu der schwierigeren – was sind Menschen bereit, dagegen zu unternehmen? Sind sie bereit die Nazis zu konfrontieren? Das Ziel muss sein, die verschiedenen Communities im Widerstand gegen die Nazis zu vereinen, bis wir zahlenmäßig größer sind. Teil davon ist, die Doppelmoral der Polizei anzuprangern. Ein anderer Teil ist, immer und immer wieder die Lügen der Nazis zu entlarven und die Wahrheit zu wiederholen. Ein sehr wichtiger Schritt ist eine enge Verbindung zur Gewerkschaft. Das ist der organisierte Teil der Arbeiter_innenklasse, der muss in der antifaschistischen Bewegung aktiv sein – und umgekehrt muss die Bewegung Streiks und Arbeitskämpfe unterstützen. Jene, die sich der Stärke der Arbeiter_innenklasse bewusst sind, stehen den Nazis am wenigsten wohlwollend gegenüber. Der Stimmenanteil für Adolf Hitler war dort gering, wo Sozialdemokraten und Kommunisten waren. Und dasselbe gilt heute noch in Frankreich oder Polen. Wo es eine Organisierung der Arbeiter_innenklasse, also starke Gewerkschaften gibt, sind die Nazis allein. So baut man eine antifaschistische Bewegung auf: Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Auch unser Kampf gegen die EDL und BNP war ein langer: drei Jahre durchgängige, harte, antifaschistische Arbeit. Und schlussendlich haben wir gewonnen.

Einige Linke lehnen es ab, den Antisemitismus der 1930er-Jahre mit der Islamfeindlichkeit heute zu vergleichen. Was denkst du darüber?

Es gab in den 1930ern einige in der Linken, die antisemitisch waren. Und heute haben wir islamfeindliche Ideen in der Linken. Menschen die meinen, sie seien progressiver als Muslime, und ihnen deswegen nicht dieselben  Rechte zugestehen wie sich selbst. Das ist sehr gefährlich! Denn es legitimiert eines der Argumente, das die Faschisten aufgebaut haben: dass „andere“ Menschen die Gesellschaft gefährden würden. Es gibt eine vergleichsweise kleine Gruppe von Muslimen in Großbritannien. Sie sind nicht der Grund dafür, warum es zu wenig Wohnungen und Jobs gibt. Jedes Mal wenn Islamfeindlichkeit nicht konfrontiert wird, entwickelt sich ein neuer Rassismus. Und dann kommen europaweit die Faschisten und stellen sich als die Ritter dar, die Europa von den Horden befreien, die „unsere“ Zivilisation gefährden. Es ist nach wie vor das grundlegende biologistische Argument, das zu denselben  rassistischen Schlussfolgerungen führt.

Diese neue Gefahr   der Faschisten  ist größer als im vorherigen Jahrhundert, was ihre Breite und Organisation anbelangt und die Gefahr für die Demokratie.

Das bedeutet nicht, dass wir in Kürze ein neues Drittes  oder Viertes Reich haben werden. Aber wir sind auf dem Weg. Die Faschisten verankern sich in der Politik und es ist unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass sie sich nicht zu tief verankern bevor die nächste große Krise kommt und sie sich als Alternative darstellen können, wie es Hitler damals bei Hindenburg gemacht hat: „Gib mir die Macht und ich löse die Probleme“.

Es macht mich stolz, dass die Leute hier „Fuck Hofer!“ und „Fuck Strache!“ sagen – das ist Widerstand! Und der geht zurück auf den Widerstand gegen die Deportationen in KZs, zum Roten Wien. Das ist unsere Tradition, auf der wir aufbauen müssen und die wir feiern, wenn wir sagen „Nie wieder!“. Die Antifaschist_innen, die in den 1930ern Widerstand leisteten, sahen die Gaskammern nicht. Wir schon! Wir müssen sicherstellen, dass niemand von uns in solchen Lagern endet und dass die Menschheit die Hoffnung nie aufgibt!

Der Vortrag von Weyman Bennett kann am Youtube-Kanal von Linkswende jetzt nachgeschaut werden.