Die Aussöhnung mit den Nazis

Der spezifisch österreichische Umgang mit der NS-Vergangenheit erklärt, wie sich die FPÖ so tief im politischen System verankern konnte: Die politischen Eliten suchten schnell die Aussöhnung mit den Nazis, Gerechtigkeit für die Opfer wurde verhindert. Die „Opferthese“, nämlich dass Österreich das „erste Opfer Hitlerdeutschlands“ gewesen wäre, sollte darüber hinwegtäuschen, dass es in Österreich Täter und Opfer gab.
14. Dezember 2017 |

Warum können in dieser Republik deutschnationale FPÖ-Burschenschafter auf ihren  jährlichen „Totengedenken“ Nazi-Kriegsverbrechern ein „ehrendes Andenken“ bewahren? Warum wird es Korporierten, deren Mitglieder den Kaderstamm der Nazis gebildet haben, erlaubt, in den repräsentativsten Gebäuden dieser Republik ihre „Akademikerbälle“ abzuhalten? Warum wurde in den 1950er-Jahren die Gründung einer „indirekten Nachfolgefolgepartei der NSDAP“ (Anton Pelinka) erlaubt?

Das Scheitern der Entnazifizierung, das Buhlen um die Stimmen der Nationalsozialisten, die „Gedenkkultur“ für die gefallenen Soldaten und der „Opfermythos“ förderten die Formierung des „Dritten Lagers“, in deren Tradition die FPÖ steht. Faschistischen Nachfolgeprojekten steckte man unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen politischen Rahmen ab, in dem man sie als „demokratische Parteien“ akzeptieren konnte.

Doppelsprech

Die politische Führung des befreiten Österreichs musste mehrere Auflagen erfüllen, damit sie wieder ans Ruder eines unabhängigen Staates gelangen konnten. Sie musste dafür sorgen, dass Österreich keinen radikalen Weg einschlug, also Rache der Opfer an den tausenden Naziverbrechern verhindern. Nach außen hin stellte sich Österreich als antinazistischer Staat („erstes Opfer Hitlerdeutschlands“) dar, aber nach innen wurde die Erinnerung an den Widerstand heruntergespielt und vor allem die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes wurden nicht verfolgt. Der österreichische Politikwissenschafter Anton Pelinka nannte dies in Anlehnung an George Orwells Roman 1984 „Doppelsprech“ (double speak) oder „Österreichisch-Orwellsche Sprachkultur“.

Die Historikerin Heidemarie Uhl fand dafür eine passende Beschreibung: „Während bei den Verhandlungen um den Staatsvertrag die Forderung nach Streichung der Mitschuld-Klausel (der Moskauer Deklaration von 1943, Anm.) erhoben wurde, mit der Begründung, dass die Österreicher ebenso wie die Angehörigen anderer besetzter Gebiete gezwungen worden waren, ‚in der verhassten Kriegsmaschine zu dienen‘, sprachen österreichische Politiker bei Kriegerdenkmalenthüllungen den ehemaligen Wehrmachtssoldaten ihren Dank für die Pflichterfüllung und Opferbereitschaft bei der Verteidigung der Heimat aus.“

Keine Entnazifizierung

Die Großparteien bemühten sich besonders um die Integrierung der Nazis in den neuen Staat. Der Sozialist Josef Hindels erinnert sich an ein Gespräch mit dem rechten SPÖ-Vizekanzler Adolf Schärf, bei dem letzterer meinte: „Jede Einstellung eines ehemaligen Nationalsozialisten in den Staatsdienst durch meinen Freund [SPÖ-Innenminister Oskar] Helmer bringt uns Wählerstimmen aus diesem Lager. Und wir brauchen diese Stimmen, weil das Potential der ehemaligen KZ-ler, Emigranten und überlebenden Juden nicht sehr groß ist. Keine Partei kann es sich leisten, auf die Stimmen der ‚Ehemaligen‘ zu verzichten. Daher sind Konzessionen an dieses Lager unerlässlich.“

Versteht man unter Entnazifizierung die Säuberung der Gesellschaft, der Politik, der Presse und des öffentlichen Dienstes von Einflüssen des Nationalsozialismus, dann hat Entnazifizierung in Österreich nie wirklich stattgefunden.

Von 537.000 registrierten Nazis wurden 1948 durch die „Minderbelastetenamnestie“ der Regierung 90 Prozent pardoniert und wieder zu den Wahlen zugelassen. Die Strafen durch die Volksgerichte wurden milder und spätestens 1957 wurde nach dem Abzug der Alliierten ein Schlussstrich unter die „Entnazifizierung“ gezogen. Bis 1955 wurden 136.000 Verfahren behandelt, in nur 28.000 kam es zu Anklagen und nur in 13.000 Fällen zu Schuldsprüchen. Oft wurden die Urteile aufgehoben oder abgemildert. Nur 30 Todesurteile wurden vollstreckt. Und oft waren es Nazis, die als Richter über ihre „Kollegen“ urteilten.

Bewusst vergessen

Österreichs Selbstdarstellung nach außen als „erstes Opfer Hitlerdeutschlands“ kam dabei gelegen: Die wirklichen Täter, die österreichischen Wegbereiter des Faschismus und führende Nationalsozialisten, wurden zu Opfern; Der heldenhafte Widerstand von Antifaschist_innen und Gewerkschaften gegen Hitler wurde in den Hintergrund gedrängt, oder besser: bekam nie den Platz in der Geschichtsschreibung, den sie verdient hätten. Es waren Kanzler Kurt Schuschnigg und die Austrofaschisten, die 1938 den Widerstand der organisierten Arbeiterklasse verhinderten und den Einmarsch der Wehrmacht ermöglichten.

Es war diese Sichtweite, so Uhl, die „die politische Symbolik und die Darstellung der NS-Zeit nach Kriegsende in allen Bereichen des öffentlichen Lebens durchdrang“ – so wurde für das neue Staatswappen der Adler der Ersten Republik übernommen und mit gesprengten Ketten als Symbol der Befreiung versehen. Uhl wies nach, wie die Opfertheorie darüber hinaus konkrete Maßnahmen im Umgang mit Opfern und Tätern, die Entschädigungs- und Wiedergutmachungspolitik und die Entnazifizierung prägte.

Opfertheorie

Die „Opferthese“ wurde bereits in der Moskauer Erklärung von 1943 festgelegt. Diese besagt zwar, dass Österreich Verantwortung für die Beteiligung am Krieg übernehmen müsse („Mitschuldklausel“), aber dieser Teil wurde in der berühmten „Proklamation der Unabhängigkeit“ Österreichs am 27. April 1945 (die auch von der KPÖ unterzeichnet wurde) einfach weggelassen. Hitler hätte, so die Proklamation, „das macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg geführt“, den „kein Österreicher jemals gewollt hat, jemals vorauszusehen oder gutzuheißen instand gesetzt war“.

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Vielleicht noch deutlicher drückte es der spätere ÖVP-Kanzler Leopold Figl auf einer Rede zur Enthüllung des Denkmals für die Gefallenen der Roten Armee am 19. August 1945 am Wiener Schwarzenbergplatz: „Sieben Jahre schmachtete das österreichische Volk unter dem Hitlerbarbarismus. Sieben Jahre wurde das österreichische Volk unterjocht und unterdrückt, kein freies Wort der Meinung, kein Bekenntnis zu einer Idee war möglich, brutaler Terror und Gewalt zwangen die Menschen zu blindem Untertanentum.“

Wer die FPÖ bekämpfen will, muss mit dem Opfermythos und dem Soldatengedenken Schluss machen und endlich die Entnazifizierung nachholen.