Das Ende des Ersten Weltkrieges: Ein Hoffnungsschimmer

Der Erste Weltkrieg war eine der schlimmsten Katastrophen der Menschheitsgeschichte, mehr als 17 Millionen Menschen fielen ihm zum Opfer. Die bürgerliche Geschichtsschreibung, wie beispielsweise der ORF-Artikel Der vergessene Krieg im Frieden, verschweigt die entscheidende Rolle, welche Soldaten und Arbeiter_innen bei der Beendigung des Krieges spielten.
3. Januar 2019 |

Schon im Winter 1914 kam es zu ersten Meutereien gegen den Krieg, als sich Soldaten aller kriegsführenden Staaten im sogenannten Weihnachtsfrieden weigerten, aufeinander zu schießen. Diese Rebellion war inspirierend, aber sie war noch nicht mächtig genug um das Ende des Krieges herbeizuführen.

Februarrevolution

Die russische Februarrevolution war die Reaktion der Bevölkerung auf das unfassbare Leid, welches der Krieg mit sich brachte. Ausgelöst wurde sie von einer spontanen Demonstration der Textilarbeiterinnen am 23. Februar 1917. Die Soldaten an der Front solidarisierten sich mit der Revolution und wählten wie die Arbeiter_innen Räte (russisch Sowjets). Binnen einer Woche wurde der Zar gestürzt und durch zwei Machtblöcke ersetzt. Auf der einen Seite die Räte der Arbeiter_innen und Soldaten, welche den Frieden wollten, auf der anderen die undemokratische Provisorische Regierung, die den Krieg weiterführen wollte.

Die Wirkung der Revolution auf die Arbeiter_innen und Soldaten war so mächtig, dass sich die sozialdemokratischen Parteien sowohl innerhalb als auch außerhalb Russlands zumindest mit Worten hinter sie stellen mussten. Hätte sich die russische Sozialdemokratie gegen die Sowjets ausgesprochen, sie hätte innerhalb weniger Tage jeden Rückhalt verloren. Genauso wäre es auch der österreichischen Sozialdemokratie ergangen, hätte sie sich offen gegen die Revolution positioniert. Das führte zu der absurden Situation, dass zwar alle Sozialdemokraten die Revolution feierten, aber kein einziger von ihnen das zentrale Ziel der Revolution, den Friedensschluss, unterstützte.

Widerspruch

Anfang Juli organisierte der Heeresminister Kerenski eine weitere Militäroffensive, die in einer vernichtenden Niederlage endete, erneut starben um die 40.000 Soldaten. Zwischen Juni und Oktober 1917 desertierten an die zwei Millionen russische Soldaten. Der führende linke Theoretiker des Austromarxismus, Otto Bauer, befand sich zu dieser Zeit in russischer Kriegsgefangenschaft.


Otto Bauer stellte sich auf die Seite der Kriegstreiber in Russland © rot bewegt

Obwohl Bauer so tat und auch so dargestellt wird, als wäre er gegen den Krieg gewesen, unterstützte er in Russland die gemäßigten Sozialdemokraten (Menschewiki), die den Krieg weiterführten. Dieser Spalt – die einfachen Menschen, die den Krieg beenden wollten und die Mächtigen aller politischen Lager, die ihn fortführen wollten – zog sich durch ganz Europa.

Die einzige politische Kraft, die sich sowohl hinter die Ziele der Revolution als auch hinter die Räte/Sowjets stellte, waren die revolutionären Bolschewiki um Lenin und Trotzki. Ihre zwei zentralen Forderungen waren: „Alle Macht den Räten“ und „Sofortiger Friedenschluss ohne Annexionen“.

Als die Bolschewiki die Mehrheit innerhalb der Sowjets hatten, übernahmen sie in der Oktoberrevolution 1917 die Macht. Direkt nach der Machtübernahme boten sie allen kriegsführenden Ländern den Frieden an.

Oktoberrevolution

Die Oktoberrevolution war kein Putsch einer kleinen Minderheit, wie es im ORF-Artikel anklingt, sondern ein gelungener Aufstand, der von den Bolschewiki in aller Offenheit diskutiert wurde. Lenin schrieb im September 1917 eigens den Text Marxismus und Aufstand, der vor der Oktoberrevolution innerhalb der Räte und auf den Straßen verbreitet wurde.

Sich selbst ernst nehmende bürgerliche Historiker stimmen dieser Darstellung zu. So erklärte der Historiker Nicolas Wert in der antikommunistischen Hetzschrift Schwarzbuch Kommunismus die liberale Darstellung der „Oktoberrevolution als Putsch, der mit Gewalt einer passiven Gesellschaft aufgezwungen wurde; sozusagen das Ergebnis einer geschickt ausgeklügelten Verschwörung einer Handvoll disziplinierten Fanatiker, die im Land keinen wirklichen Rückhalt besaßen“, für falsch. Selbst der Sozialdemokrat und Feind der Bolschewiki, Julius Martow, musste zugeben: „Fast das gesamte Proletariat unterstützte Lenin und erwartete seine soziale Befreiung vom Aufstand.“

Internationale Reaktion

Ähnlich wie die Februarrevolution wurde auch die Oktoberrevolution von der europäischen Arbeiter_innenklasse mit Jubel aufgenommen. Die Hoffnung der Arbeiter_innen und Soldaten auf Frieden führte zu einer einzigartigen Radikalisierung der europäischen und österreichischen Arbeiter_innenbewegung.

Westliche Armeen, hier die USA, unterstützten die antisemitischen Truppen der Konterrevolution im russischen Bürgerkrieg © National Archives and Records


Am 11. November 1917 demonstrierten 20.000 Arbeiter_innen in Wien in Solidarität mit den Bolschewiki. An der Front kam es zu Verbrüderung zwischen russischen und deutschen/österreichischen Soldaten. Österreichische Arbeiter_innen und Soldaten drohten, mit den „Herrschenden russisch zu sprechen.“ Am 15. Jänner 1918 wurde dann auch russisch gesprochen, ein riesiger Massenstreik, welcher gegen den Willen der Sozialdemokratie durchgeführt wurde, legte das ganze Habsburgerreich lahm.

Eine zentrale Forderung des Streiks war der Friedensschluss: österreichische Arbeiter_innen sollten mit russischen Arbeiter_innen über den Frieden verhandeln. Selbst der österreichische Kaiser erkannte, wie bedrohlich die Lage war, er telegrafierte an seinen Chefverhandler: „Das ganze Schicksal der Monarchie und der Dynastie hängt von dem möglichst baldigen Friedensschluss in Brest-Litowsk ab”, sonst „ist hier die Revolution, wenn auch noch so viel zu essen ist.”

Am 1. Februar meuterten in der Bucht von Cattaro Matrosen der österreichischen Kriegsmarine. Sie hatten keine Lust mehr als Kanonenfutter für Staat und Kapital zu dienen. Die SDAP hatte Kenntnis von den Entwicklungen und hielt sie geheim. Sie befürchtete, wenn die Wiener Arbeiter_innen von dem Aufstand erfahren, würden sie sich ihm anschließen.

Die österreichische Sozialdemokratie stand vor demselben Problem wie die russischen Menschewiki. Um den Rückhalt innerhalb der Massen nicht zu verlieren, musste sie sich einer revolutionären Rhetorik bedienen, bei gleichzeitiger konterrevolutionärer Politik. Im Gegensatz zu Russland fehlte eine revolutionäre Partei, welche diesen Widerspruch konfrontierte.
Es kam schließlich zum Friedensschluss zwischen Deutschland, der Habsburgermonarchie und Russland. Im Zuge dieses Friedens musste Russland die Ukraine, Finnland und Weißrussland an die Siegermächte abgeben. Durch das Ende des Krieges an der Ostfront versuchte Deutschland in der Frühjahrsoffensive 1918 eine Entscheidung an der Westfront herbeizuführen. Erneut starben eine halbe Millionen Menschen. Erst die Novemberrevolution 1918 beendete den Krieg.

Bürgerkrieg

Kurz nach Ende des Krieges wurde Winston Churchill englischer Außenminister. Er kündigte an, „den Bolschewismus schon im Keim zu ersticken“. Gegner und ehemalige Alliierte Russlands – insgesamt 14 Staaten (u.a. Japan, England, USA, Frankreich) – intervenierten auf der Seite der Weißen Armee im russischen Bürgerkrieg, um gegen die Bolschewiki und die Sowjets zu kämpfen. Diese Interventionen waren nur möglich, weil die sozialdemokratischen Parteien die revolutionären Bewegungen in ihren Ländern eingedämmt hatten.

Antisemitismus und die russische Revolution

Antisemitismus und die russische Revolution

Aus diesen Tatsachen macht der ORF die absurde Interpretation, dass die normalen Menschen nicht mit dem Morden hätten aufhören können und es darum nach dem Krieg zu weiteren Kämpfen gekommen sei. Der vierjährige Bürgerkrieg und die Verwüstungen, die dieser mit sich brachte, wurden den Bolschewiki und den Sowjets jedoch von außen und innen aufgezwungen.

Die Weiße Armee identifizierte – wie später die Nazis – Jüdinnen und Juden mit dem Bolschewismus und organisierte schreckliche Pogrome, für welche der ORF-Artikel die Rote Armee verantwortlich macht. In der Roten Armee gab es ein Verbot von Plünderungen und antisemitischer Publikationen, an Pogromen Beteiligte wurden erschossen.

Im ORF-Artikel wird das Ende des Krieges als „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ dargestellt. Diese Darstellung besagt, dass aus dem Ende des Ersten Weltkriegs sowohl der Nationalsozialismus als auch der Stalinismus folgen mussten. Beide waren aber Ergebnis der Niederlage der revolutionären Bewegungen. Stalin konnte nur an die Macht kommen, weil es in Westeuropa nicht zu erfolgreichen sozialistischen Revolutionen kam.

Der Nationalsozialismus war der Versuch, die revolutionäre Arbeiter_innenbewegung und die Jüdinnen und Juden, welche als treibende Kraft hinter dieser Bewegung herbeiphantasiert wurden, auszulöschen. Nicht die Arbeiter_innen und Soldaten, die den Ersten Weltkrieg beendeten, sind verantwortlich für den schrecklichen Verlauf des 20. Jahrhunderts, sondern jene Kräfte, welche die Revolutionen niederschlugen.