Die Einheitsfront: Klassenkampf in Zeiten von Imperialismus und Faschismus

Die Arbeiter:innenklasse ist im Kapitalismus nicht geeint. Im Gegenteil, sie ist durch Konkurrenz und die Überschneidungen von Geschlecht und Rasse gespalten. Diese Spaltung wird in Zeiten der Krise und des Aufstiegs des Faschismus noch deutlicher. Am bekanntesten ist das Konzept der Einheitsfront im Kampf gegen den Faschismus. Historisch war sie jedoch viel mehr als ein antifaschistischer Notbehelf, sondern eine Strategie, die Einheit der Arbeiterklasse zu erreichen. Diese Einheit muss ein strategisches Ziel jeder revolutionären Organisation sein. Der Artikel erörtert die Geschichte der Einheitsfronttaktik und versucht, sie mit den Analysen des schwarzen Marxisten George Padmore zu verbinden.
5. Juli 2024 |

Die „Einheitsfront“ ist eine Strategie, die darauf eingeht, wie revolutionäre Arbeiter:innen sich zu denen verhalten sollten, die glauben, dass das kapitalistische System eher reformiert als gestürzt werden kann. Das Bewusstsein der meisten Arbeiter:innen ist in nicht-revolutionären Zeiten reformistisch, und Organisationen, die sich für Reformen einsetzen, dominieren die Arbeiter:innenbewegung. Die Frage der Einheitsfront wurde daher in verschiedenen Kontexten und Epochen immer wieder aufgeworfen und nahm je nach Kontext, den Hauptaufgaben der Arbeiter:innenklasse, ihrem Bewusstsein und dem Kräfteverhältnis zwischen reformistischen und revolutionären Organisationen unterschiedliche Formen an. Von zentraler Bedeutung für diese Strategie sind Massenmobilisierung, radikale Bewegungen und Massenstreiks.

Tony Cliff erklärt in seiner Lenin-Biographie dessen Verständnis von Strategie und Taktik: Taktik sind Maßnahmen für bestimmte Aufgaben innerhalb des Klassenkampfes, während die revolutionäre Strategie die Taktiken kombiniert, die die Arbeiter:innenklasse zur Eroberung der Macht führen. Diejenigen, die die Einheitsfront nur als Taktik betrachten, verstehen vielleicht nicht, was die Einheitsfront in verschiedenen historischen oder geografischen Kontexten miteinander verbindet. Diese Strategie kann verschiedene Formen annehmen. Von den Gewerkschaften, die eine rudimentäre Form der Einheitsfront im wirtschaftlichen Kampf darstellen, bis zu den Sowjets, der höchsten Form der Einheitsfront im Kampf um die proletarische Macht. Wir können ihre Merkmale wie folgt zusammenfassen:

  • Annehmbare Forderungen: Sie vereinigt revolutionäre und nichtrevolutionäre Arbeiter:innen in einem gemeinsamen Kampf, indem sie Forderungen vertritt, die sowohl für Revolutionäre als auch für Teile der nichtrevolutionären Arbeiter:innenklasse akzeptabel sind.
  • Einheit der Aktion, Unabhängigkeit der Organisation: Die beteiligten Kräfte behalten ihre Unabhängigkeit, so dass auch die Revolutionäre ihre Ziele verfolgen und ihre politische Vision artikulieren können.
  • Interner Kampf: Ideen, Strategien und Taktiken werden zwischen reformistischen und revolutionären Strömungen erörtert.

Um die Wirksamkeit der Einheitsfront zu gewährleisten, sollten wir die Prämisse betonen, von der wir ausgehen: Massenmobilisierung. Die Einheitsfront zielt darauf ab, die aktive Beteiligung und Mobilisierung durch konkrete Aktionen wie Demonstrationen, Streiks und andere Formen des direkten Engagements aufrechtzuerhalten. Diesen Ideen und Methoden folgend, sollten revolutionäre Organisationen reformistische Arbeiter:innen gewinnen und anziehen und so das Kräfteverhältnis zwischen reformistischen Richtungen und revolutionäreren Arbeitern und Militanten auf den Kopf stellen.

Die Einheit für sich allein ist wertlos, unabhängig von ihrem Inhalt und ihren Zielen. Wenn die Einheit unter den Prämissen einer Volksfront (wir werden später noch näher auf diese Frage eingehen) oder eines Regierungsabkommens gebildet wird, bedeutet dies eine bürokratische Einheit von oben, gegen die Massenbewegungen. Wenn wir von Einheitsfront sprechen, treten wir für eine Organisation der Arbeiterbewegung ein, welche auf eine gemeinsame Praxis der teilnehmenden Lager abzielt.

Auch wenn es sich bei der Einheitsfront um eine Strategie handelt, hat sie ein sehr wichtiges taktisches Merkmal. Reformistische Organisationen (wir sprechen hier von sozialdemokratischen Parteien, Gewerkschaften oder ich würde sogar wagen, reformistische Klimabewegungen mit einzubeziehen) sind so, weil sie eine soziale und materielle Kristallisation ausdrücken. Jenseits dieser sozialen und materiellen Kristallisationen gibt es eine Unebenheit des Bewusstseins, die sich in einer Ambivalenz gegenüber dem Status quo ausdrückt. Der Wille zum Kampf lebt zusammen mit der Akzeptanz und Passivität gegenüber dem Status quo. Die Aufgabe der revolutionären Organisationen ist es, trotz dieses widersprüchlichen Bewusstseins, die positiven Aspekte und die praktische Transformation der realen Welt zu verstärken. Niemand wird als Revolutionär geboren, revolutionäre Subjekte entstehen im Laufe des Kampfes.

In Anlehnung an diese Überlegungen können wir feststellen, dass reformistische Organisationen zwar taktische Verbündete sind, aber strategische Feinde bleiben. Die politischen Ziele sind letztendlich entgegengesetzt: Kapitalismus mit einem bescheidenen Gesicht (und einem verrottenden Körper) oder der Umsturz der gesamten Ordnung.

Einheitsfront im Kampf gegen Faschismus.

Die Theorie der Einheitsfront wurde von Marxisten wie Trotzki, Lenin und Antonio Gramsci während des revolutionären Aufschwungs nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt. Mit dem Scheitern der revolutionären Offensive 1917-1923 und dem Aufstieg des Faschismus wurde die Frage der Einheitsfront mit noch größerer Schärfe gestellt.

Im Jahr 1928 entwickelte die 3. Internationale unter Stalin die These vom Sozialfaschismus: Die Komintern argumentierte, dass die Sozialdemokratie trotz ihres fortschrittlichen Anscheins letztlich den Interessen des kapitalistischen Systems diene und in Krisenzeiten den Faschismus unterstütze oder ihm den Weg ebne. Die kampflose Kapitulation der Arbeiterbewegung 1933 vor den Nazis offenbarte wie untauglich diese Strategie war. Daraufhin schlug die Komintern die Strategie der Volksfronten als Mittel zum Kampf gegen den Faschismus vor. Diese Fronten bedeuteten ein breites Bündnis, das ein breites Spektrum politischer Gruppen, darunter Kommunisten, Sozialisten, Liberale und andere fortschrittliche Kräfte, zusammenführte. Ziel ist es, eine einheitliche Front gegen die faschistische Bedrohung zu schaffen und ideologische Differenzen beiseite zu schieben, um sich auf gemeinsame Ziele zu konzentrieren. Wie wir bereits beschrieben haben, bedeuteten die Volksfronten historisch eine Übereinkunft der kommunistischen Richtungen mit reformistischen und liberalen Parteien, um zu verhindern, dass die Faschisten an die Macht kommen.

Ein gutes Beispiel für das Scheitern der Volksfrontstrategie war der Spanische Bürgerkrieg, in dem zugunsten einer Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien im Kampf gegen den faschistischen Feind selbstorganisierte Arbeiter:innenmilizen, Landvergesellschaftung und Arbeiterorganisationen unterdrückt und demobilisiert wurden.

Wir können die unterschiedlichen Ansätze der Einheitsfront und der Volksfront wie folgt zusammenfassen: Der Schwerpunkt der Einheitsfront drängt auf die Praxis der Arbeiter von unten, während die Volksfront zur Demobilisierung der Arbeiter:innen und einer Orientierung auf den bürgerlichen Staat tendiert.

Kolonialismus und Faschismus.

Um die Analyse der Einheitsfront als Strategie zu vertiefen und zu versuchen, einige Verbindungen zur heutigen Situation und Nützlichkeit zu ziehen, möchte ich mich mit der Kritik befassen, die Schwarze Marxisten an der Analyse des Faschismus durch die Komintern und im Allgemeinen durch eurozentrische Marxismen üben. Im Besonderen möchte ich mich auf die Analyse konzentrieren, die George Padmore (Trinidad 1909 – London 1959) über Faschismus, Imperialismus und einen vereinigten Klassenkampf entwickelt hat.

George Padmore ist als einer der Väter der afrikanischen Unabhängigkeit bekannt. Zwischen

1929 und 1934 diente er der Komintern als Berater für antikoloniale und schwarze Befreiungskämpfe und nahm an der Ersten Internationalen Konferenz schwarzer Arbeiter teil, die 1930 in Hamburg stattfand. Nach der stalinistischen Machtübernahme in den 30er Jahren verwandelte sich die Komintern von einem Mittel zur Ermöglichung einer Weltrevolution in ein Mittel zur Förderung der russischen Außenpolitik. In diesem Zusammenhang wird Padmore wegen seiner Kritik an der Autonomie der schwarzen Arbeiterorganisationen und der Zusammenarbeit mit den „demokratischen“ imperialistischen Mächten Frankreich, USA und Großbritannien unter den Prämissen der Volksfronten aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Er bleibt sein ganzes Leben lang in verschiedenen Organisationen aktiv, wie z.B. der Gründung der International African Friends of Abysinia, der Organisation des V. Panafrikanischen Kongresses in Manchester, und arbeitet später in seinem Leben eng mit Nkrumah zusammen, indem er dessen Regierung berät.

Seine Ideen drehen sich um die Fragen der Artikulation von Klassen- und Rassenunterdrückung. Er analysierte die Rolle der Schwarzen im Verhältnis zum Kapital und die Verflechtung von Klasse und Rasse. Er analysierte Rassismus als ein Produkt von Kolonialismus und der ursprünglichen Akkumulation. Ähnlich sah er Rassismus als Waffe der Bourgosie und fordete den gemeinsamen Kampf schwarzer und weißer Arbeiter gegen diesen. Er kritisierte jedoch auch die schwarze Bourgeoisie und ihr damaliges Projekt des „schwarzen Zionismus“. Ein bekanntes Beispiel sind die Bewegung von Marcus Garvey und die Gründung des Staates Liberia in Afrika als neue Heimat für Schwarze aus den USA.

Seine Analyse des Verhältnisses zwischen Imperialismus und Faschismus ist nach wie vor relevant, da sie an der Wurzel der kapitalistischen kolonialen Beherrschung der Welt ansetzt. Padmore hat Frantz Fanon und Aime Cesaire bei deren Theoriebildung für die Negritude-Bewegung um einige Jahre vorgegriffen: Die Methoden der Ausbeutung und des Völkermordes wurden in den Kolonien entwickelt. Z.B. die Konzentrationslager wurden erstmals während des kubanischen Unabhängigkeitskrieges errichtet, als der spanische General Valeriano Weyler die Bevölkerung in den Städten konzentrierte. Infolgedessen wurden 10 % der Zivilbevölkerung der Insel ausgehungert. In diesem Sinne übernahm Hitler die entmenschlichenden Methoden und Philosophien des britischen Kolonialsystems und anderer europäischer Imperialmächte, um das faschistische System aufzubauen. Diesen fügte er eine neue industrielle Dimension des Todes hinzu, die ohne Beispiel war.

Für George Padmore war der Hauptfeind der Menschheit der Imperialismus. Er übte harte Kritik an den kommunistischen Parteien der Dritten Internationale wegen ihrer Zusammenarbeit mit den „guten“ imperialistischen Nationen gegen den Faschismus. Für ihn war der gemeinsame Feind der Imperialismus, den sowohl Faschismus als auch Demokratien gegen ihre Bevölkerungen einsetzten. Nur durch die Übernahme dieser antiimperialistischen Perspektive könne die Klasseneinheit erreicht werden.

Als Beispiel für diese Kritik, und um auf die Volksfront während des Spanischen Bürgerkriegs

zurückzukommen, schrieb Padmore 1938 einen Artikel mit dem Titel „Warum die Mauren Franco helfen“. Darin kommentiert er die Ausrichtung der Volksfrontregierung auf die europäischen Kolonialinteressen in Afrika, insbesondere auf Frankreich, so:

„Nicht die politisch rückständigen Mauren sind dafür verantwortlich zu machen, dass sie von den Kräften der Reaktion gegen die spanischen Arbeiter und Bauern eingesetzt werden, sondern die Führer der Volksfront, die mit ihrem Versuch, die Politik des spanischen Imperialismus fortzusetzen, es Franco ermöglicht haben, die Einheimischen in den Diensten des Faschismus auszubeuten.”

George Padmore

Hier bezog er sich darauf, dass die spanischen Aufständischen den Kämpfern in Marokko nicht die Unabhängigkeit versprechen wollten. Hätten sie von den Unabhängigkeitskämpfern das Angebot zur Kooperation mit der Befreiungsbewegung in Spanisch-Marokko angenommen, hätte Franco sich nie in Marokko halten können, um von dort Spanien mithilfe marokkanischer Truppen zu überfallen.

Im Anschluss an die antiimperialistische Kritik an den eurozentrischen Ansätzen im Kampf gegen den Faschismus, die von schwarzen Marxisten wie Padmore formuliert wurde, haben wir gesehen, wie wichtig es ist, die wahren Ursachen und Ursprünge des Faschismus zu verstehen: Der Faschismus ist ein Produkt der Krise des Kapitals und des westlichen Imperialismus.

Schlussfolgerungen: Einheitsfront heute.

Die aktuelle Krise des Kapitalismus äußert sich in einer Vielzahl von Krisen. Einerseits stehen wir vor globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Energiekrise, Versorgungskrise, Pandemierisiko und kriegerischen Konflikten (wie in der Ukraine und im Gazastreifen), die Symptome für die Erschöpfung des von den USA dominierten Modells der kapitalistischen Globalisierung sind; zwischen-imperialistischer Wettbewerb: Der relative Niedergang der USA verschärft den Wettbewerb zwischen allen imperialistischen Nationen, was sich in wirtschaftlichen und militärischen Konflikten äußert. Die Erweiterung der NATO ordnet die EU den Plänen der USA unter; Inflation und Ungleichheit: Die globale kapitalistische Politik hat die Inflation nicht verhindert, wodurch die Arbeiterklasse verarmt und ihre Fähigkeit, sich zu verteidigen, geschwächt wird.

Als Organisation der revolutionären Linken kämpfen wir für eine Einheitsfront im Sinne einer gemeinsamen Praxis und eines gemeinsamen Kampfes. Wie wir in diesem Artikel gesehen haben, ist es unsere Aufgabe zu betonen, dass der Aufstieg des Faschismus mit der Entmenschlichung und Gewalt des Imperialismus verbunden ist. In diesem Sinne zeigen die Unterstützung des Staates Israel und der Aufstieg faschistischer Parteien im Westen, wie weit die westlichen imperialistischen herrschenden Klassen noch mit der Entmenschlichung und Gewalt gehen können, die einst das koloniale Projekt der Weltherrschaft kennzeichneten.

Wir sollten aus der Geschichte gelernt haben, dass nur eine umfassende und radikale Einheitsfront den Aufstieg der Faschisten schlagen kann. Wir sollten jedoch nicht aus Verzweiflung über die Stärke der Rechten in eine falsche Volksfrontpolitik verfallen, welche im Kampf gegen Faschismus, Frieden mit dem Imperialismus schließt – und bspw. Israel und die USA unterstützen, um Bündnisse mit den Parteien gegen die FPÖ schmieden zu dürfen. In Frankreich beginnt beispielsweise die Diskussion darüber, ob die Linke durch eine Allparteien-Allianz inklusive Liberale den drohenden Wahlsieg Le Pens verhindern kann. Diese Strategie führt genauso sicher in die Niederlage, wie ein sektiererisches auf der Seite stehen. Wir müssen für Einheitsfronten kämpfen, aber unter der Bedingung, dass sie die Masse zum politischen Kampf mobilisiert.