Die Pariser Kommune

Ein Artikel von Donny Gluckstein. Übersetzung von Lisa Hasenbichler.
5. Juli 2021 |

Die kapitalistische Welt ist derzeit mit mehreren Krisen konfrontiert, von Covid-19 und der Klimakatastrophe bis hin zu den Plagen von Rassismus, Sexismus und Armut. Die Dinge stehen schlecht und ohne radikale Veränderungen werden sie noch viel schlechter werden.

Diese Krisen bleiben nicht unbeantwortet. Wir haben glorreiche Widerstandskampagnen gesehen, wie etwa die US-amerikanischen und internationalen Proteste für Black Lives Matter und Antirassismus, die #MeToo-Bewegung, die Kämpfe für Frauenrechte in Irland und Polen und viele weitere. Es gab Aufstände und Revolutionen im Sudan, in Weißrussland, Algerien, Hongkong, Myanmar und anderenorts. Sozialist_innen sind natürlich in diese Bewegungen involviert, doch sie sind auch weitgehend darauf beschränkt, innerhalb des Kapitalismus zu kämpfen.

Die Pariser Kommune als Vision

Wie tief eine Krise auch sein mag und wie entschlossen jene, die ihr trotzen – um über reine Forderungen nach Reformen hinauszugehen, braucht es auch Visionen für Alternativen zum Kapitalismus. Diese können nicht bloß auf individuellen Vorstellungen oder Phantasien beruhen. Marx kritisierte utopische Sozialisten wie Owen, Fourier und Saint-Simon dafür, dass sie ganze Gesellschaften in ihren Köpfen entwarfen, ohne jegliche Aussicht, diese in der Praxis auch umsetzen zu können.

Damit eine Alternative real werden kann, muss sie mehr sein als die Idee einiger weniger oder gar einer Person allein. Sie muss durch die Massen materielle Realität erhalten. Nur sie haben die Macht, radikale Veränderungen gegen den Willen der herrschenden Klassen herbeizuführen.

Stürmung des Himmels

Das erste Beispiel dafür ist die Pariser Kommune. Sie begann vor 150 Jahren am 18. März 1871. Auch wenn sie nur 72 Tage andauerte, sie ist noch heute für ihr berühmtes Lied Die Internationale bekannt. Paris war nach London die zweitgrößte Stadt der Welt. Die Kommune war, wie Marx es formulierte, „die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte.“ Obwohl sie also lange vergangen ist, ist die Kommune bis heute eine Inspiration und ein Wegweiser für die Befreiung der Werktätigen.

Zu jener Zeit gaben Kritiker der Kommune vor, die Massen seien nicht in der Lage, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Sie müssten wohl von jemandem wie „dem roten Doktor“ Karl Marx, von seinem Haus in London aus, hinters Licht geführt oder zu einer Verschwörung verleitet worden sein. Das ist kompletter Unsinn. Wie ein führender Teilnehmer schrieb: „Nie hat eine Revolution die Revolutionäre mehr überrascht.“

Der plötzliche Aufstand der Massen und ihre „Stürmung des Himmels“ (wie Marx es beschrieb), konnte rein aufgrund der politischen Situation, die ihm vorrausging, nicht vorhergesehen werden. Erst zwei Monate zuvor, am 8. Februar 1871, brachte eine Parlamentswahl 230 Aristokraten zurück ins Amt. Dies war die höchste Anzahl, die es je gegeben hatte. Auf Bundesebene hatte die Linke (sowohl die Revolutionäre als auch die Reformisten) nur 40 Sitze. In Paris erreichte die Linke nur 20%. Dennoch, nach der Revolution vom 18. März, räumte die revolutionäre Linke unzählige Wählerstimmen ab.

Das Volk wehrt sich

Was brachte diese massive Veränderung im kollektiven politischen Bewusstsein hervor? Im Jahr 1870 hatte die Regierung von Napoleon dem Dritten Frankreich in einen verheerenden Krieg mit Preußen geführt. Als dieser beendet war, entschied das kapitalistische Establishment, die einfachen Arbeiter_innen hätten den Preis für den Friedensschluss zu bezahlen. Paris war das lebendige Symbol des Protests gegen dieses Szenario. Es waren die 350.000 Mitglieder der Pariser Nationalgarde, die sich der Auferlegung dieses Preises in den Weg stellten.

Nie hat eine Revolution die Revolutionäre mehr überrascht.

Also entschloss sich die Regierung zu handeln. In den frühen Stunden des 18. März versuchte die französische Regierung die Kanonen der Nationalgarde zu beschlagnahmen, welche sich auf dem Montmartre Hügel über der Stadt befanden. Dieser Versuch wurde boykottiert von Frauen der Arbeiter_innenklasse, angeführt von Louise Michel. Wie ein Bericht es schildert:

„Die Frauen warfen sich selbst gegen die Kanonen, während die Soldaten bewegungsunfähig standen. General Lecomte ordnete an auf die Menge zu schießen. Ein Soldat brach aus der Reihe und rief: „Dreht eure Gewehre um. Zielt in den Himmel!“

Diese Meuterei versetzte den französischen Staat in Panik und er verschanzte sich geschlossen in das 14 Kilometer entfernte Versailles. Ein Zeitgenosse schrieb, Paris „war ohne Regierung. Kein Polizeiapparat, keine Polizisten, keine Richter oder Prozesse, keine Beamten, keine Soldaten oder Generäle, keine Leiter der Post, keine Steuereintreiber, keine Lehrer, keine Professoren, keine Chirurgen…“

Selbstverwaltung der Arbeiter_innen

Alles war von unten organisiert und so musste es sein. Die Menschen verwalteten selbst das Gas-, Wasser- und Müllsystem, sie trugen Steuern ein – jede Dienstleistung, die die vorhergegangene Verwaltung erbracht hatte. Was in dieser Situation fehlte, war das Element der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Herrschaft, welches der Staat bis dahin sichergestellt hatte.

Die Motivationen der einfachen Leute sind gut zusammengefasst in dem Tagebuch einer Mittelklassedame, die die Geschehnisse von außen beobachtete: „Die alte Regierung repräsentierte Privilegien – Menschen mit Decken, die den frierenden Armen gegenüberstehen. Vielleicht versteht nicht jeder die Kommune, doch das ist irrelevant. Sie sind fixiert auf eine einzige Idee: Der Kampf der Armen gegen die Reichen.“

Während des Krieges mit Preußen erlitt Paris eine lange Belagerung. Für die Armen bedeutete dies Krankheiten, Hungersnöte und hohe Todesraten. Dennoch war während der Kommune: „nicht ein einziger Mann, keine einzige Frau und kein Kind oder älterer Mensch hungrig, fror oder war obdachlos.“ Organisierte Verteilung von Reichtümern und Solidarität machten dieses Wunder möglich. Für jene, die denken es wäre ein Fehler die Polizei abzuschaffen: Paris feierte all diese Erfolge ohne jegliche Polizei, es gab einen immensen Rückgang der Kriminalitätsraten, wenige Überfälle und keinen einzigen Mord während der Lebenszeit der Pariser Kommune.

Wie sich das Leben von Grund auf veränderte, zeigt sich in der Geschichte von Nicolas Dugene, einem Nationalgardisten. Als seine Vermieterin versuchte einen Nachbarn zu delogieren, der kein Geld hatte seine Miete zu bezahlen, erschien er mit einem Trupp Wachen, um ihr mitzuteilen, dass „der Spieß sich gedreht hat.“

Arbeitsreformen in der Kommune

Es ist bezeichnend, dass, obwohl nur zwei Marxisten in der Kommune aktiv waren, sie einige der wichtigsten Sektionen leiteten und hier bedeutende Entwicklungen stadtfanden.

Leó Frankel war Delegierter der Kommission für Arbeit, Industrie und Handel. Es war wenig Zeit in 17 Tagen, um umfassende Reformen einzuleiten, was also in der Praxis passierte, war eher symbolisch für eine allgemeine Richtung als grundlegende Umwälzungen. So scheint die Abschaffung der Nachtarbeit für Bäcker_innen vielleicht trivial.  Das französische Baguette wird nach einem Tag hart, weswegen die Arbeiter_innen sich abschufteten, um jeden Morgen frisches Brot zur Verfügung zu stellen. Doch, wie ein Kommunard sagte: „Man kann Arbeiter, die Menschen sind wie wir, nicht dazu zwingen nur in der Nacht zu arbeiten und sie nie den Tag sehen lassen… im Interesse der Aristokratie des Magens“

Die Selbstverwaltung der Arbeiter_innen begann in Arealen, die direkt unter kommunaler Kontrolle standen, mit gewählten Manager_innen und Aufseher_innen, welche alle mit sofortiger Wirkung aus dem Amt zurückgerufen werden konnten und deren Posten alle 15 Tage erneuert wurden.  Am 24. April wurde ein Dekret erlassen, das alle Werkstätten, deren Besitzer nach Versailles übergegangen waren, an die Arbeiter_innen übergab. In den Worten eines Kommunarden war dies „die soziale Revolution“.

Gleichstellung der Geschlechter

Elisabeth Dmitrieff, die andere Marxistin, führte die Frauenvereinigung an. Der Chef der Versailler Regierung, Adolphe Thiers, schrieb dass „Männer die Schwäche von Frauen respektieren müssten, welche gleichzusetzen ist mit jener der Sklaven“. Frauen der Pariser Arbeiter_innenklasse hatten bereits am 18. März die Führung übernommen und die Kommune erließ dank ihnen wichtige Reformen.

Die Frauen warfen sich selbst gegen die Kanonen, während die Soldaten bewegungsunfähig standen. General Lecomte ordnete an auf die Menge zu schießen. Ein Soldat brach aus der Reihe und rief: „Dreht eure Gewehre um. Zielt in den Himmel!

Witwen von Nationalgardisten, ob verheiratet oder nicht, standen Pensionen zu. Ein Kommunard argumentierte: „Dies ist eine der mutigsten Errungenschaften der Kommune. Es stellt die Wurzel der Familie in Frage, indem es die Frauen den Männern gleichstellt, ein tödlicher Schlag gegen die religiös-monarchische Institution der Ehe“. Solche Veränderungen gehen weit über die Gesetzgebungen einer kapitalistischen Gesellschaft hinaus, welche zwar Dinge verordnet, wie gleiche Bezahlung oder Maßnahmen gegen Geschlechterdiskriminierung, jedoch daran scheitert, die fundamentalen Ursachen struktureller Diskriminierung anzusprechen.

Frauen an vorderster Front

Dmitrieffs Frauenvereinigung organisierte Workshops für mehrere tausend Frauen. Ihr Programm forderte gleiche Bezahlung, kürzere Arbeitszeiten und „ein Ende der Konkurrenz zwischen weiblichen und männlichen Arbeitern – ihre Interessen sind identisch und ihre Solidarität ist essenziell.“  Das Argument lautete nicht, dass alle Männer privilegiert und in irgendeiner Form feindlich sind, sondern betonte Klassensolidarität, ohne welcher wahre Frauenbefreiung niemals erreicht werden kann.

Nachdem die Frauen die Revolution vom 18. März initiiert hatten, spielten sie bis zum Schluss eine zentrale Rolle. Um diesen Aspekt zu verstehen, müssen wir uns die so genannte Hausmannisierung“ ansehen. Paris hatte vor 1871 drei große Revolutionen gesehen (1789, 1830 und 1848). Um den Barrikaden Einhalt zu gebieten, wurde das Zentrum von Paris unter Baron Haussmann mit breiten Boulevards neu aufgebaut und die Arbeiter_innen durch hohe Mieten in die äußeren Stadtteile vertrieben. Thomas Carlyle beschrieb die neue Stadt wie folgt: „Nie gab es eine korruptere, verdorbenere Stadt, nichts weiter als ein Bordell und eine Spielhalle.“ Es ist bezeichnend, dass, als die französische Regierung anrückte, um die Kommune zu zerschlagen, Frauenbataillone, darunter viele Prostituierte, ihre letzten Verteidigerinnen waren.

Bildung für jeden

Bildung war eine weitere wichtige Arena. Thiers hatte gesagt: „Ich hasse jeden, der lehrt, dass man nicht am Leben ist, um zu leiden und die Philosophie vertritt, man solle glücklich sein. Denn wenn du denkst, dass dir auch nur ein kleines bisschen Glücklichsein zusteht, wirst du reiche Menschen furchtlos bekämpfen, dafür, dass sie dich davon fernhalten.“

Die alte Regierung repräsentierte Privilegien – Menschen mit Decken, die den frierenden Armen gegenüberstehen. Vielleicht versteht nicht jeder die Kommune, doch das ist irrelevant. Sie sind fixiert auf eine einzige Idee: Der Kampf der Armen gegen die Reichen.

Der Ansatz der Kommune war das komplette Gegenteil. Sie förderte die Schulbildung für Jungen und zum ersten Mal auch für Mädchen. Das Ziel war es, jedem und jeder Arbeit zu ermöglichen, aber auch sein Glück zu finden. „Wer ein Werkzeug führt, muss auch im Stande sein ein Buch zu schreiben. Er oder sie muss sich entspannen und Kultur genießen können, ohne aufzuhören für das Gemeinwohl produktiv zu sein“.

Gegen Vaterland und Imperialismus

Im Herzen der Kommune war Internationalismus etwas, das ihre Feinde verabscheuten. Viele der wichtigsten Posten waren von Nicht-Franzosen besetzt. Wir haben bereits von Frankel (einem Ungarn) und Dmitrieff (einer Russin) gehört. Die sehr wichtige Aufgabe des Delegierten für Kriegsangelegenheiten war zunächst besetzt von einem US-Amerikaner, dann einem Polen. Einer der großen Momente war, als Napoleons Siegessäule niedergerissen wurde, ähnlich wie kürzlich die Denkmäler von Sklavenhändlern: „Die imperialistische Siegessäule am Place Vendôme ist ein Monument des Barbarismus, ein Symbol der rohen Gewalt. Sie wird vernichtet werden.“

Was war also die endlich entdeckte politische Form zur Befreiung der Arbeit? Es war ein auf den Kopf gestellter Staat. Der existierende Staat stellt die Interessen des Kapitals und des Profits über alles andere, unabhängig davon wie die Menschen wählen. Die Kommune stellt die Interessen der Menschen über alles andere.

Die Massen als politische Kraft

Sie operierte auf drei Ebenen. Am fundamentalsten waren der Aktivismus der Massen und politische Teilnahme, wie dieses Zitat illustriert:

„Von der Rue Druout bis hinauf zu Montmartre sind die Boulevards zu einer permanenten öffentlichen Versammlung geworden, wo die Menge nicht nur die Bürgersteige, sondern auch die Straßen füllt, bis hin zu dem Punkt, dass sie den Verkehr blockiert.“

An den Abenden gab es Massenversammlungen in den Innenräumen. Der Gemeindeverein des 3. Arrondissements traf sich in einer Kirche, mit 5.000- 6.000 Anwesenden. Sie diskutierten die aktuelle Lage und zogen die Mitglieder des Gemeinderats für ihr Handeln zur Rechenschaft: „Am Morgen gab es Messen, Taufen, Hochzeiten, Beichten und Beerdigungen. Bei Einbruch der Nacht wurde die rote Fahne auf dem Altar drapiert und die Versammlung begann.“

Die Garde nationale

Die zweite Ebene war organisatorisch. Es gab Gewerkschaften, politische Bewegungen und allen voran die Pariser Nationalgarde. Sie war ein eigentümliches Gremium und Trotzki würde sie später als das bezeichnen, mit dem Paris einem Sowjet am nächsten kam.

Die Nationalgarde war geprägt von der preußischen Belagerung der Hauptstadt. Die Wirtschaft war zusammengebrochen und die große Mehrheit der männlichen Arbeiter mussten, um in den Monaten vor dem März 1871 zu überleben, der Nationalgarde beitreten, um die Stadt zu verteidigen. Sie erhielten für ihren Dienst ein kleines Gehalt, das grade genug war, um das Überleben von sich und ihren Familien zu sichern.

Aus diesem Grund bestand die Organisation hauptsächlich aus bewaffneten Arbeitern. Sie war auch eine permanente Massenversammlung für sich. Alle Posten wurden gewählt und jeder konnte jederzeit abberufen werden. Die Bataillons waren in Verbänden zusammengeschlossen und wurden von einem Zentralkomitee angeführt. Folglich war sie gleichzeitig zutiefst demokratisch und eine Zentralisierung der Klassenmacht, obwohl dieser Aspekt den Involvierten nicht unbedingt bewusst war. Deswegen übergab sie ihre Autorität schon nach wenigen Tagen an ein eher konventionelles Verwaltungsorgan.

Demokratie auf allen Ebenen

Am 18. März war es also jenes Gremium, das Paris regierte, doch diese Rolle wurde auf die dritte Ebene der Kommune übertragen – den Gemeinderat. Auf formaler Ebene mag diese Institution vielleicht konventionell wirken. Sie wurde gewählt unter Reglementierungen, die vor dem 18. März beschlossen wurden und die für die Wahlen zu allen französischen Bezirksräten galten (und somit Frauen beispielsweise vom Wahlrecht ausschlossen). Dennoch, da er von den anderen beiden Ebenen der Kommune – Massenveranstaltungen und Organisation – zu Rechenschaft gezogen wurde, verhielt er sich anders als seine Vorgänger, reduzierte die Gehälter der Ratsmitglieder auf ein durchschnittliches Arbeiter_innengehalt und spiegelte die öffentliche Meinung genau wieder.

Ein neuer, radikaler Staat!

Die Kommune, mit ihren drei Ebenen, war also ein radikal veränderter Staat. Im Kapitalismus erfüllt der Staat zwei Funktionen, die in der Pandemie deutlich sichtbar wurden. Eine ist die Organisation wesentlicher sozialer Aufgaben und Dienstleistungen, wie etwa das Gesundheitswesen oder die Bildung. Die andere ist die Aufrechterhaltung der Klassenherrschaft durch Polizei, Gesetze, Verteilung, rassistische Teile-und-herrsche-Politik und so weiter. Die Kommune trennte diese beiden Funktionen. Die Menschen von Paris verwalteten die öffentlichen Dienste und die Stadt bedeutend besser, als das vorhergegangene Regime und die repressive Seite des Staates war nach Versailles vertrieben. So konnten die wesentlichen gesellschaftlichen Aufgaben zum Wohl der Leute ausgeführt werden:  Befreiung der Arbeit, Gleichheit, Bildung und vieles mehr.

Dies brachte Marx und später Lenin bei, dass die Arbeiter_innen den bestehenden kapitalistische Staat nicht bloß für sozialistische Zwecke adaptieren und reformieren konnten. Ein komplett neuer Staat mit radikal veränderter Struktur musste her. Einer, in dem die Menschen über dem Profit stehen.

Die Vernichtung der Kommune

Die Kommune dauerte jedoch nur 72 Tage. Sie wurde zum Preis von 30.000 Menschenleben brutal niedergeschlagen. Die Frage warum sie letzten Endes zerstört wurde, ist berechtigt. Eine Revolution, isoliert in einer Stadt, muss sich zwangsläufig großen Herausforderungen stellen. Nirgendwo sonst in Frankreich herrschten dieselben Belagerungsbedingungen oder war ein Äquivalent der Pariser Nationalgarde vorhanden. Dieser Umstand machte es bedeutend schwerer die Kommune in anderen Städten zu replizieren und Versuche dessen, wie etwa in Lyon, scheiterten.

Im Herzen der Kommune war Internationalismus etwas, das ihre Feinde verabscheuten. Viele der wichtigsten Posten waren von Nicht-Franzosen besetzt.

Doch es gab Dinge, die die Kommune tun hätte können, um ihre Position zu stärken. Wären beispielsweise die Truppen der Nationalgarde direkt nach dem 18. März in Versailles einmarschiert, zu einem Zeitpunkt, wo sie zu einer erfolgreichen Meuterei fähig waren, dann hätte das der französischen Regierung einen schweren Schlag versetzen können.

Konflikte innerhalb der politischen Führung

Die Kommunarden marschierten nicht und die Gründe dafür waren politische. Die arbeitende Klasse hatte ein Wunder vollbracht und in Paris eine neue Art von Staat geschaffen. Doch die Frage was mit diesem Staat anzustellen sei, musste zunächst beantwortet werden. Hierzu gab es fundamentale Grundsatzdebatten, welche Demokratie einer starken Führung und die Durchsetzung von radikalen Veränderungen dem Umgang mit dem Feind gegenüberstellten.

In der Auseinandersetzung gab es zwei Hauptpole. Auf der einen Seite gab es die anarchistische Tradition von Pierre-Joseph Proudhon. Auf der anderen Seite gab es eine konspirative Tradition. Diese wurde von Auguste Blanqui angeführt.

Die Anarchist_innen erkannten all die Unzulänglichkeiten des kapitalistischen Staates, folgerten daraus jedoch, dass überhaupt kein Staat existieren und jegliche Politik oder Führung gemieden werden sollte. Sie glaubten, dass es die Aufgabe der Pariser Kommune war, mit den Maßnahmen, die sie zur Befreiung der Menschen ergriff, ein Beispiel zu setzen. Der Rest Frankreichs würde unweigerlich folgen und die Bedrohung durch den französischen Staat könne ignoriert werden. Die Ausübung der Arbeiter_innenmacht, durch beispielsweise einen Aufmarsch auf Versailles, wurde nicht als notwendig angesehen.

Zentralisierte Klassenmacht als stärkste Waffe

Blanqui war ein Veteran des Widerstands. Er erfand den Begriff „Diktatur des Proletariats“, welchen Marx übernahm und glaubte, die Macht der Arbeiter_innenklasse müsse genutzt werden, um den Kapitalismus zu besiegen. Blanquis Anhänger waren überzeugt davon, diesen Gedanken in die Tat umsetzen zu können, und wollten deswegen im Interesse der Arbeiter_innenklasse danach handeln. Sie planten und veranstalteten unzählige Aufstände. Unweigerlich mussten die Zahlen der Teilnehmer geringgehalten werden und sie blieben erfolglos. Ironischerweise führte einer davon am 17. März zur Inhaftierung von Blanqui selbst. Er verpasste somit die Kommune und seine Chance diese anzuführen. Obwohl Blanquis Anhänger dafür plädierten in Versailles einzumarschieren, wurden sie in seiner Abwesenheit zahlenmäßig bei weitem überstimmt.

Was benötigt wurde, war eine starke Führung, die die schöpferischen Mächte und demokratischen Energien der Massen bündeln könnte, um eine neue Gesellschaft zu kreieren, und um simultan ihre Kräfte zur Vernichtung des Feindes zu zentralisieren. Solche Konzepte eines demokratischen Zentralismus würden erst in der Russischen Revolution im Jahr 1917 vollständig zum Tragen kommen.

Nichtsdestotrotz steht die Kommune als glorreiches Exempel dafür, wozu die Arbeiter_innenklasse fähig ist und was eine Alternative zu diesem verdorbenen kapitalistischen System sein kann.

Ein selten gesungener Vers aus der Internationalen erinnert uns an die entscheidenden Lektionen:

In Stadt und Land, ihr Arbeitsleute,
wir sind die stärkste der Partei’n
Die Müßiggänger schiebt beiseite!
Diese Welt muss unser sein;
Unser Blut sei nicht mehr der Raben,
Nicht der mächt’gen Geier Fraß!
Erst wenn wir sie vertrieben haben
dann scheint die Sonn’ ohn’ Unterlass!