Die „westlichen Werte“ haben uns Terrorismus erst beschert
Der bekannte Physiker und Kriegsgegner Albert Einstein hat einmal gesagt: „Die Massen sind niemals kriegslüstern, solange sie nicht durch Propaganda vergiftet werden.“ Im Westen wird wieder mobil gemacht, so heftig wie nach den Anschlägen des 11. September nicht mehr – für Demokratie, Säkularismus und Frauenrechte! Flugzeugträger stechen für die gerechte Sache in See, mit dem Schriftzug „From Paris with Love“ verzierte alliierte Bomben machen auf Twitter die Runde und „Europa hat ein Recht auf Krieg“ schallt es aus den Medien. Die Terrorangriffe von Paris wären „eine Aggression gegen unser Land, unsere Werte, unsere Jugend und unseren Lebensstil“, ließ Frankreichs Präsident François Hollande die Säbel rasseln und kündigte einen Krieg an, in dem man „erbarmungslos sein“ werde.
Gespaltenes Frankreich
Aber dieser Krieg hat nicht erst mit den Terroranschlägen von Paris begonnen. Auch nicht mit den Anschlägen auf das Satiremagazin Charlie Hebdo. Dieser Krieg nahm seinen Anfang spätestens mit der jüngsten Welle militärischer Interventionen im Nahen Osten, ausgehend vom Golfkrieg 1990-1991.
„Wir können den Teufelskreis durchbrechen, wenn wir im Westen Massenbewegungen gegen die imperialistische Tyrannei aufbauen.“
Die Anschläge werfen ein Licht auf die tief gespaltene französische Gesellschaft. Die Kommentator_innen des Terrors vergaßen den Terror des Jahres 1961 zu erwähnen, als während des algerischen Unabhängigkeitskrieges die französische Polizei 200 Algerier_innen in Paris massakrierte, die gegen den Krieg demonstrierten. Die meisten wurden gefoltert, ermordet und ihre Körper in die Seine geworfen. Einer der Attentäter, Omar Ismail Mostafai, hatte algerische Wurzeln und auch die Brüder Said and Cherif Kouachi, die für das Massaker auf die Redaktion von Charlie Hebdo verantwortlich waren, waren algerischer Herkunft.
Viel hätte auch diskutiert werden können über die systematische Ausgrenzung von Muslim_innen in Frankreich. Aber ein gefälschter syrischer Pass eines Attentäters schien für die Presse offensichtlich interessanter zu sein.
War is coming home
Das liberale US-amerikanische Internet-Magazin Salon verlangte nach den entsetzlichen Anschlägen von Paris selbst in den Spiegel zu blicken und meinte, dass es nun „an der Zeit ist, unsere ‚Werte‘ mit unserer Geschichte abzugleichen“. Der „Krieg gegen den Terror“ nach dem 11. September hat laut der Vereinigung der Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) über 1,3 Millionen Todesopfer gefordert. Dieser unfassbare Schrecken hat tiefe Narben hinterlassen.
Die Wissenschaftlerin Lydia Wilson hat in der irakischen Stadt Kirkuk gefangen genommene Kämpfer des „Islamischen Staates“ (IS) interviewt und sie als „Kinder der Besatzung“ bezeichnet, die „nicht von der Idee eines islamischen Kalifats ohne Grenzen angetrieben werden; der ‚Islamische Staat‘ ist vielmehr die erste Gruppe seit der zurückgedrängten al-Qaida, die diesen gedemütigten und wütenden jungen Menschen eine Möglichkeit gibt, ihre Würde, Familie und ihren Stamm zu verteidigen.“
Zerstörtes Syrien
Die Motivation der IS-Kämpfer zu verstehen macht den Terror zu keinem legitimen antiimperialistischen Kampf. Die Ermordung von unschuldigen Zivilist_innen ist eine Katastrophe, egal ob vom „Islamischen Staat“ oder von Russland und dem Westen. Aber es wäre falsch anzunehmen, es würde sich um einen Kampf zwischen zwei gleich gefährlichen Gegnern handeln. Der IS ist das Produkt der Zerstörung, Besatzung und sektiererischen Spaltung des Irak und der Niederlage der arabischen Revolutionen.
Den „IS zu bekämpfen“ bleibt angesichts der völlig instabilen Situation im Irak und in Syrien eine wertlose Phrase: Wenn eine Seite eine Niederlage erleidet, kommen seine ausländischen Unterstützer zu Hilfe – das traf auf die marode syrische Opposition zu, als ihr Saudi-Arabien, Katar und die Türkei 2014 zu Hilfe eilten, während heuer Putin Diktator Assad unter die Arme griff. Aber auch der Westen und Russland sind nicht bereit, Bodentruppen in erheblichem Ausmaß zu schicken. Der marxistische Philosoph Alex Callinicos schrieb: „Hier im Westen können wir den IS nicht besiegen. Aber wir können den Teufelskreis durchbrechen, wenn wir Massenbewegungen aufbauen, die die imperialistische Tyrannei beenden.“ Die Verteidigung der „westlichen Werte“ sind diesem Ziel im Weg.