Eine terroristische Vereinigung: Von Christchurch zu FPÖ-Innenminister Kickl
Es war ein „mieser Tag“, trauerte der Co-Chef der „Identitären Bewegung“ (IB) Martin Sellner am Montag auf Youtube. Die Polizei durchsuchte dessen Wohnung, beschlagnahmte Laptop und Handy, weil der Verdacht besteht, Sellner habe eine „unverhältnismäßig hohe Spende“ des neuseeländischen Nazi-Terroristen, Brenton Tarrant, erhalten (wie er in der Zwischenzeit selbst zugeben musste). Sellner habe dem Terroristen, der am 15. März in zwei Moscheen in Christchurch 50 Musliminnen und Muslime kaltblütig erschossen hat, sogar eine Dankes-Email zurückgeschickt (wie allen Spendern, betonte er freilich). Gegen Sellner wird nun wegen „Gründung und Mitgliedschaft einer terroristischen Vereinigung“ ermittelt.
Lange vor Tarrant und dem norwegischen Attentäter Anders Behring Breivik – der 2011 aus den gleichen Motiven wie Tarrant in Norwegen 77 Menschen ermordete – forderte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, man müsse sich den „Kampfanzug“ gegen den „Islamismus“ anziehen. In einem rassistischen Comic, der die Wiener Türkenbelagerung nachstellte, trug Strache einem blonden Jungen auf, dem „Mustafa“ mit einer Steinschleuder eine „aufzubrennen“, was wie ein direkter Aufruf zu Gewalt gelesen werden kann. 2017 legte Strache einen Kranz in „Gedenken an die Befreiung Wiens vor der Türkenbelagerung“ in Schwechat ab. Dahinter steht ein System.
Systematische Gewaltperspektive
Der deutsche Rechtsextremismusexperte Hajo Funke sieht hinter den Ideen des Attentäters ein „konsistentes Programm mit der Perspektive von Gewalttaten zur ‚Rettung der weißen Rasse‘ gegen den Untergang, der besorgt würde, von Muslimen, die einwandern“. Dieses Programm wird, so Funke, von rechtsextremen Parteien gezielt befeuert. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) stellte nach eingehender Analyse in Tarrants Manifest „besonders ausgiebige rhetorische und ideologische Überschneidungen“ mit „neurechten“ Gruppierungen wie eben den Identitären fest.
Tarrant bezog sich auf die historische Türkenbelagerung (wie schon Breivik vor ihm, der Tarrant als Vorbild galt). Auf ein Magazin der Mordwaffe schrieb er unter anderem „Wien 1683“, eine Anspielung auf die zweite Türkenbelagerung Wiens, auf die sich auch Strache bezog. Tarrant mordete im Namen der „Verteidigung Europas“ gegen angeblich muslimische „Eroberer“ oder „Invasoren“. Sein Manifest, in dem er das Massaker vorab rechtfertigte, trug den Titel „Der Große Austausch“.
Wie bei den Nazis
Hinter dieser „Entwicklung“ stünde ein ganz bestimmter Plan, behauptet die Verschwörungstheorie in ihrem Kern. Bei Sellner hört sich das so an: „Der Große Austausch ist kein ‚Zufall‘, keine neutrale ‚Naturkatastrophe‘, die über uns hereinbricht. Er ist gewollt, zugelassen und geplant.“ Sellner schrieb auch das Nachwort von Renaud Camus’ Sammelband Revolte gegen den großen Austausch (2016). Darin meint Sellner, eine nicht näher definierte Elite betreibe einen „Bevölkerungsaustausch“ und siedle gezielt Migrant_innen in Europa an.
In einer Passage, die erschreckend an die „Volkskörper“-Metapher der Nazis erinnert, führt Sellner aus: „Europa ergeht es im ‚Refugees welcome‘-Wahn wie einem ans Bett gefesselten Menschen, der zum Zwecke seiner Vivisektion mit Injektionen ruhiggestellt wurde. […] Langsam fließt ein betäubendes und schwächendes Gift in seine Blutbahn. Seine Widerstandskraft schwindet zusehends.“ Solche abscheulich rassistische Propaganda hat der Christchurch-Attentäter mit einer Spende von rund 1.500 Euro an Sellner belohnt.
Nach – wir wiederholen: nach! – dem Massaker demonstrierte die IB in Wien feierlich mit bengalischen Feuern und einem großen Banner „Gegen den Großen Austausch“. Das ist nichts anderes als eine ungeschminkte nachträgliche Würdigung des rassistischen Massakers.
FPÖ und „Identitäre Bewegung“
Die Mär vom großen Austausch wurde von der FPÖ-Spitze mit entwickelt und wird bis heute angeheizt. Dort heißt es im Nazi-Vokabular „Umvolkung“, oder eben „Bevölkerungsaustausch“ und „Ethnomorphose“. Strache verbreitete lange vor Tarrant die Vorstellung, wonach sich SPÖ, ÖVP und Grüne zum Zwecke des „organisierten und schleichenden Bevölkerungsaustauschs“ verschworen hätten.
Wegen der „rot-schwarzen Massenmigration“ würden „wir in absehbarer Zukunft zur Minderheit im eigenen Land“, so Strache. Im Grundsatzpapier Europa am Scheideweg (2014) schrieb Strache, man müsse „entschieden“ die „europäischen Werte“ gegen die „Islamisierung“ verteidigen, um – wieder ein Schlagwort des Nationalsozialismus – „unsere Leitkultur“ zu erhalten.
Der ehemalige Wehrsportler und nunmehrige Vizekanzler Strache hofierte die deutsche Pegida-Aktivistin Tatjana Festerling am Burschenschafterball. Festerling forderte unter anderem, dass man an Europas Grenzen „alle Waffen-Abwehrsysteme, die notwendig sind“, installieren müsse, um ein „weißes Rest-Europa im Osten“ gegen „gewalttätige Islam-Invasoren und kommunistische Globalisten“ zu verteidigen.
Fotos zeigen Strache 2015 gar öffentlich mit der Führung der Identitären. Nachdem letztere eine Theatervorstellung von Flüchtlingen im Audimax der Universität Wien stürmten und Blut verspritzten, nahm Strache die IB verharmlosend als „parteiunabhängige nicht linke Bürgerbewegung“ in Schutz.
„Verteidiger Europas“
Nur eine Woche vor dem Massaker in Christchurch fantasierte FPÖ-Klubchef Johann Gudenus erneut von einer vermeintlichen „Islamisierung Wiens“. In seinem politischen Manifest käut Tarrant eben diese Ideen von FPÖ und IB wider. Er habe aus Rache gegen die muslimischen „Eroberer“ in Europa gehandelt. Diese hätten Millionen Europäer von ihrem Land vertrieben. Er sprach davon, dass es sich um eine explizit „anti-islamischen“ Angriff handelte. Die islamischen Nationen hätten eine „hohe Geburtenrate“ und würden so „unsere Bevölkerung austauschen“.
2016 hielt FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl am Kongress „Verteidiger Europas“ in Linz, laut dem Redenschreiber von Strache ein „Kongress der ganz normalen Leute“, die Hauptrede. Führend vertreten auf diesem Kongress waren die IB sowie die Neonazi-Organisation Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik (AfP). Kickl sprach unter Bezugnahme auf die Anwesenden von „von unserer ideologischen Einstellung“, die es gegen die Linken und „Mainstream-Medien“ zu verteidigen gelte.
Es darf aber nicht unerwähnt bleiben, dass auch Politiker wie Sebastian Kurz Muslime diskriminieren und Kickl in der Gesetzgebung Recht geben. Zu Recht fordert Hajo Funke: „Man muss mit dem Islamhass aufhören – in der Öffentlichkeit und in der Politik.“
Kickl, Strache, die FPÖ und die „Identitäre Bewegung“ düngen mit ihrer verbalen Gewalt den Acker, auf dem die Saat der tatsächlichen körperlichen Gewalt aufgeht. Die Strategie der FPÖ in der Regierung zielt darauf ab, das Klima langfristig so zu verrohen, dass Gewalt gegen Flüchtlinge, Muslime, Jüdinnen und Juden und andere Gruppen, wieder massenhaft akzeptiert wird.
Eben in dieser Strategie liegt der gefährliche Unterschied zum ungeduldigen, nicht minder schrecklichen, Handeln eines Brenton Tarrant. Die terroristische Vereinigung erstreckt sich, unabhängig von ihrer unterschiedlichen Strategie, bis in die österreichische Bundesregierung.