Erster Frauentag 1911: „Proletarierinnen marschieren voran!“

Millionen Menschen gingen Anfang 2017 in den Women’s Marches gegen US-Präsident Donald Trump und für die Rechte von Frauen auf die Straße. Die Geschichte der gewaltigsten Frauendemonstrationen hat ihren Ursprung in der Arbeiter_innenbewegung des 19. Jahrhunderts.
6. März 2017 |

„Frauen ziehen hinter roten Fahnen her! … Tausende, viele tausende sind es“, 20.000 Frauen und Männer, die das Frauenwahlrecht fordern, schrieb die sozialdemokratische Arbeiter-Zeitung über den ersten Frauentag in Wien. „Die Frauen werden wieder kommen! In noch größeren Scharen und sie werden die Tausende und Zehntausende verdoppeln … Die Frauen lernen kämpfen und Proletarierinnen sind es, die voranmarschieren.“

Der erste internationale Frauentag fand am 19. März 1911 in Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA statt. Initiiert wurde er von Clara Zetkin auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz am 27. August 1910 in Kopenhagen. Mehr als eine Million Frauen gingen auf die Straße, eine bis dahin beispiellose Massenbewegung.

Zentrale Forderungen waren Arbeitsschutzgesetze, Wahl- und Stimmrecht für Frauen, gleicher Lohn bei gleicher Arbeitsleistung, der Achtstundentag, ausreichender Mütter- und Kinderschutz und Straffreiheit von Abtreibungen. An den darauffolgenden Frauentagen marschierten Frauen auch gegen Imperialismus, insbesondere gegen den Ersten Weltkrieg.

Unterdrückung

Frauen wurden seit Beginn des Kapitalismus und der Industrialisierung doppelt ausgebeutet: in der Reproduktionsarbeit mit weniger Rechten und wie – ihre männlichen Kollegen – als Werktätige in der Fabrikarbeit. Die herrschenden Arbeitsbedingungen waren für Arbeiter_innen katastrophal: bis zu 15-Stunden-Arbeitstage bei einem Hungerlohn, sieben Tage die Woche.

In Wien herrschte eine drastische Wohnungsnot: Mieter_innen teilten sich mit „Bettgehern“ die Betten und wechselten sich stundenweise ab, um die horrenden Mietpreise zahlen zu können. 51 Prozent des ausgebeuteten österreichischen Industrieproletariats an der Wende zum 20. Jahrhundert waren Frauen. Während schon Männer von ihrem Lohn kaum leben konnten, verdienten Frauen in etwa die Hälfte.

Proletarische Wurzeln

Die historischen Ursprünge des internationalen Frauentages liegen in den USA. Bereits 1857 protestierten in New York Arbeiterinnen gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen und für bessere Löhne. Die Polizei zögerte nicht, in die Menge zu schießen. Am 20. Februar 1909 begingen Frauen im Norden einen ersten Frauentag für das allgemeine Wahlrecht. Im November streikten 20.000 New Yorker Näherinnen erfolgreich 13 Wochen lang. Eine Arbeiterin erzählte über den Streik: „Wir trugen billige Kleider, lebten in schäbigen Hütten, aßen billiges Essen. Es gab nichts, worauf man sich freuen konnte und nichts zu erwarten für den nächsten Tag!“

1893 organisierten Textilarbeiterinnen in Wien-Gumpendorf den „ersten Frauenstreik“ in Österreich. Dieser Streik war umso bemerkenswerter, da das damals gültige Vereinsgesetz Frauen, Ausländern und Minderjährigen jede Form von politischer Betätigung untersagte. Die 17-jährige Amalie Ryba (später Seidel) führte diesen berühmten „Streik der 700“ an. Forderungen waren der 10-Stunden-Arbeitstag und die Erhöhung des Mindestlohnes. Der Streik war erfolgreich, die Forderungen wurden umgesetzt.

Gleiche Rechte

Der folgende Frauentag 1911 war eine von Proletarierinnen geführte Bewegung. Die Arbeiter-Zeitung dokumentierte die Forderungen nach der „politischen Gleichberechtigung der Frauen mit den männlichen Staatsbürgern“: „Wir wie wir Seite an Seite mit unseren Vätern und Brüdern, unseren Gatten und Söhnen in Fabriken und Werkstätten, auf Bauten und in Bergwerken, in Verkaufsstätten und in Schreibstuben, im eigenen und im fremden Haushalt arbeiten, so wollen wir auch Hand in Hand mit ihnen kämpfen für die Befreiung der Arbeiterklasse aus den Fesseln der wirtschaftlichen Ausbeutung und der politischen Unterdrückung und so wie uns der Staat wie die Männer beim gleichen Strafgesetz unterwirft, so fordern wir von ihm auch die gleichen Rechte und die gleiche Möglichkeit, unsere wichtigsten Interessen zu vertreten.“

Der Zug auf der Wiener Ringstraße muss eindrucksvoll gewesen sein. „Die Frauen kommen!“, raunte man sich zu. Slogans waren „Heraus mit dem Frauenwahlrecht“ und die Frauen trugen Plakate mit Sprüchen wie „Den Frauen ihr Recht“ und „Das Frauenwahlrecht fordern alle Frauen und Mädchen. Alle Mütter. Alle Arbeiterinnen“.

Emanzipation

Zu den Massen sprachen der Führer der SDAP, Viktor Adler, und die Vorreiterin der sozialistischen Frauenbewegung in Österreich, Adelheid Popp. Sie hielt eine besonders kämpferische Rede in den Blumensälen (heutiges Gartenbaugebäude am Parkring): „Wir sind heute nicht mehr die Frauen von ehemals, wie Dichter sie im Liede besingen; nicht mehr die geschützten, von Männern erhaltenen und genährten Frauen. Die Arbeitenden Frauen von heute sind ihre eigenen Ernährerinnen, ihre eigenen Erhalterinnen.“

Popp weiter: „In dem Augenblick, wo sich die Frauen zu vielen Tausenden erheben, wo nicht nur diese Säle von Frauen erfüllt sind, sondern auch noch draußen auf der Straße Tausende von Frauen stehen, ist es nicht mehr notwendig, unter uns lange theoretisch zu erörtern, dass das Frauenwahlrecht eine Notwendigkeit geworden ist.“

Neben Wien gingen auch in Linz, Graz, Salzburg, Bregenz und anderen Orten tausende auf die Straße. Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des internationalen Frauentages gründete sich die Plattform 20.000 Frauen, die 2011 eine Großdemonstration mit 15.000 Menschen organisierte.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.