Die Europäische Union: Ein Projekt der Eliten
Radikale EU-Kritik war bisher – nicht zuletzt in Österreich – beinahe ausschließlich ein rechtes Ding. Die FPÖ war zwar bis zu Beginn der österreichischen Beitrittsverhandlungen eine vehemente Befürworterin der „Europäischen Integration“, machte aber Anfang der 1990er-Jahre eine Kehrtwende und seither war ihre Anti-EU-Politik ein wichtiges Element im Werdegang zu einer Massenpartei. Linke EU-Kritik muss im Gegensatz dazu die internationale Solidarität der Werktätigen als Grundlage haben. Ankerpunkt dabei ist, dass dieses elitäre Projekt einer Emanzipation der Arbeiter_innen im Wege steht. Die Zeit wäre eigentlich reif für eine sozialistische Kampagne gegen die EU.
Eine andere Geschichte
Die politischen Entscheidungsträger in den USA haben schon vor Ausbruch des Kalten Krieges das Projekt der „Europäischen Integration“ vorangetrieben.
Die Schaffung eines stabilen und genügend großen Absatzmarktes für amerikanische Firmen und die Überwindung europäischer Antagonismen, die sie für die Weltkriege verantwortlich machten, waren die entscheidenden Motive für die US-Regierung.
Die europäischen Kapitalisten fanden sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in einer verfahrenen Situation. Gegenüber Deutschland herrschte berechtigtes Misstrauen, aber ohne Westdeutschland konnte kein entsprechend vitaler europäischer Markt entstehen. Es galt einen Absatzmarkt und Handelspartner für europäische und für US-Firmen aufzubauen und den europäischen Kapitalismus auf halbwegs stabile Bahnen zu bringen.
Frankreich kontrollierte nach dem Desaster von 1940 gegen Nazideutschland und dem Niedergang seines Imperiums zu Kriegsende noch die letzten Überbleibsel seines einstigen Kolonialreiches und war bemüht dem US-Imperialismus etwas entgegenzusetzen. Die Konzentration der europäischen Kräfte sollte das ermöglichen.
Angst vor Deutschland
So legte Frankreich den Grundstein für die europäische Integration und präsentierte 1950 den „Schuman-Plan“. Dieser sah vor die Kohle- und Stahlindustrie des Ruhrgebiets unter gemeinsame „supranationale“ Kontrolle zu stellen. Das sollte eine stabile Produktionsausweitung ohne Preisschwankungen ermöglichen, dafür mussten die Kapitalisten der einzelnen Nationen den Verlust von Kontrolle hinnehmen.
Der westdeutsche Kapitalismus sah darin in erster Linie riesige Vorteile, weil er seinen Konkurrenten die Angst vor Deutschlands Wiederaufstieg zur Weltmacht nehmen wollte. Der kürzlich verstorbene ehemalige deutsche Kanzler Helmut Schmidt formulierte es 1976/77 im „Marbella-Papier“ so: Die Bundesrepublik sei aufgrund ihrer relativen ökonomischen Stärke und „wegen des ökonomischen Zurückbleibens Italiens, Englands, aber auch … Frankreichs … wirtschaftlich zur zweiten Weltmacht des Westens aufgestiegen.“ Das könnte Erinnerungen sowohl an Auschwitz als auch an Wilhelm II und Bismarck wiedererwecken. Deshalb sei es für Deutschland nötig, soweit als möglich nicht national und unabhängig zu operieren, sondern im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft (EG) und der NATO-Allianz.
Schachzüge von Technokraten
Präsentiert wurde der Plan vom französischen Außenminister Robert Schuman, ausgearbeitet wurde er von einer kleinen elitären Truppe von Technokraten um den gewieften Hinterzimmer-Diplomaten Jean Monnet. Eigentlich war es völlig irrational eine wichtige Sparte der Industrie aus der nationalen Kontrolle herauszuschneiden, aber Monnet spekulierte darauf, dass die wichtigen Leitindustrien Kohle und Stahl eine Kettenreaktion auslösen würden – und behielt recht.
1951 gründeten Frankreich, Deutschland, Italien, die Niederlande, Belgien und Luxemburg die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), oft auch „Montanunion“ genannt. 1957 ging daraus die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) hervor. Die britischen Eliten standen dem Projekt gespalten gegenüber. Einerseits spornten sie die Europäische Integration an, weil sich diese Strategie stark mit der Langzeitperspektive der USA deckte. Gleichzeitig blieb Großbritannien außerhalb der EWG und agierte dank den übrig geblieben Kolonien des Empire als Herrscher der „Dritten Weltmacht“.
Erst nachdem das Suez-Debakel von 1956 diese Illusionen zerschmettert hatte, entschied sich das Königreich zähneknirschend um Mitgliedschaft anzusuchen.Allerdings blockierte der französische Präsident Charles de Gaulle, der Britannien als Washingtons fünfte Kolonne betrachtete, den Beitritt bis zu seinem Rücktritt 1969. De Gaulle behielt in dem Punkt allerdings recht, da Großbritannien tatsächlich seine enge Anbindung an die USA beibehielt. Unter dem Maastricht-Abkommen erhielt Großbritannien einige spezielle Ausnahmeregelungen und der Start des Euro 1999 ohne Großbritannien festigte die Abseits-Sonderstellung. Der Gipfel der Kränkung war aber die erfolgreiche Entwicklung von London zum Offshore-Finanzzentrum der Eurozone.
Möchtegern-Imperialismus
Imperialismus ist eines der bestimmenden Themen bei der Entstehung und Weiterentwicklung der EU gewesen, aber die EU hat sich niemals selbst zu einer funktionierenden imperialistischen Macht entwickelt. Die Europäische Integration hat in einer Zeit begonnen, in der die großen europäischen Mächte nicht mehr imstande waren, die Antagonismen, die zwischen 1870 und 1945 zu drei großen internationalen Kriegen geführt haben, weiterzuverfolgen. Die Verwüstung ihrer Ökonomien und Gesellschaften haben das für die nach 1945 vorhersehbare Zeit zunichte gemacht.
Eine Voraussetzung dafür, die Kohle-Stahl-Union überhaupt anzudenken, war die Zusicherung der USA sich für die Stabilität Europas verantwortlich zu machen und die Gründung der NATO als Instrument dieser Politik.
Der Ausgang des Zweiten Weltkriegs bedeutete eine gewaltige Schwächung der europäischen Großmächte Großbritannien, Deutschland und Frankreich. Sieger waren die zwei Großmächte, die an der Peripherie Europas entstanden sind, die USA und die UdSSR. Die Europäische Integration war damit immer auch eine Integration Westeuropas in die amerikanische Außenpolitik und die war in der Periode bis 1989 – bis zum Zusammenbruch der UdSSR – natürlich von der Gegnerschaft zur Sowjetunion geprägt. Das ist weniger romantisch und glorreich als die verbreitete liberale Darstellung, die Gründung der EU hätte mit den Kriegen in Europa aufgeräumt, dafür weitaus realistischer und plausibler.
Seit 1989 spricht man von unilateralem US-Imperialismus. In seinem Bestreben möglichst viel Territorium aus dem Einflussgebiet seines Konkurrenten Russland unter seine Kontrolle zu bekommen, diente die EU-Erweiterung wie die NATO als Instrument des US-Imperialismus. Allerdings gab Washington der NATO-Vergrößerung die Priorität. Jeder der ehemaligen sowjetischen Satellitenstaaten, der EU-Mitglied werden sollte, ist zuvor der NATO beigetreten: Polen, Ungarn und Tschechien traten 1999 der NATO bei, fünf Jahre später der EU; Bulgarien und Rumänien wurden 2004 NATO-Mitglieder, 2007 kamen sie zur EU; die Slowakei, Slowenien und die baltischen Staaten traten 2004, einen Monat bevor sie zur EU kamen, der NATO bei – nur um die Prioritäten Washingtons allen Träumern ganz zweifelsfrei vorzuführen. Kroatien, Mazedonien und Albanien stehen mittlerweile in der Warteschlange und werden dieselbe Reihenfolge einhalten müssen.
Impotenz des EU-Imperialismus
Der Zusammenschluss der europäischen Staaten sollte nach innen den Handel und die Produktion ankurbeln, nach außen sollte er Macht und Einfluss vergrößern. Tatsächlich hat sich die EU zu einer formidablen Handelsmacht entwickelt. Motor dafür war Deutschlands Exportwirtschaft. Und alleine das Geschäftsvolumen gab den EU-Institutionen genügend Druckmittel in die Hand um vielen Nachbarländern ihren Willen aufzuzwingen.
Aber um zu einer imperialistischen Macht zu werden, braucht es nicht nur das Scheckbuch, sondern auch die nötigen Waffen. Am deutlichsten hat sich die Funktionsuntüchtigkeit des EU-Imperialismus im Fall der Ukraine gezeigt. Weit davon entfernt den Frieden in Europa zu bewahren, hat die EU die Bedingungen für einen Krieg geschaffen. Zuerst hat es den ukrainischen Präsidenten Janukowytsch dazu gebracht, ein Annäherungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, das ein bestehendes Handelsabkommen zwischen Russland und der Ukraine aushebelte. Als Putin auf das, was er als Ausweitung der EU/NATO-Zone an die russischen Grenzen interpretierte, mit Drohungen reagierte und Janukowytsch den Deal mit der EU rückgängig machte, explodierten die Konflikte zwischen dem Westen und dem Südosten der Ukraine. Sobald der Ukrainekonflikt eskalierte, musste die USA eingreifen, denn die EU hat weder die militärischen Mittel noch den Willen seine eigenen Grenzen zu gestalten.
Wenn die EU allerdings als Instrument des US-Imperialismus verstanden wird, dann muss man auch einkalkulieren, in welchem Zustand sich dieser befindet. Die USA sind seit dem gescheiterten Irakkrieg derart geschwächt, dass sie weder in der Ukraine noch im Mittleren Osten fähig sind, die Entwicklungen mittels roher Gewalt zu entscheiden. Abenteuer, wie die Expansion an die russischen Grenzen, können schnell zur Katastrophe werden.
Katastrophe Euro
Seit zu Beginn der 1990er-Jahre die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) diskutiert wurde, gibt es Kritik von links, dass die Ungleichheiten innerhalb des Wirtschaftsraums sich ausweiten würden. Schwächere Wirtschaften verlieren ohne der Möglichkeit ihre Währungen abzuwerten und so die Preise ihrer Güter für den Export zu senken, eine wichtige Möglichkeit um dem Konkurrenzdruck durch die starken Wirtschaftsnationen auszuweichen. Die Architekten des Euro gingen davon aus, dass verstärkte Konkurrenz zu einer Annäherung der Wirtschaftsleistungen führen würde. So wird es an den Wirtschaftsuniversitäten gelehrt.
Die marxistischen Ökonomen behaupten das Gegenteil: mehr Konkurrenz vertieft die Vorteile der schon durchsetzungsfähigeren Nationen. Und so ist es auch gekommen. Nichts zeigt das drastischer als das Verhältnis Deutschlands zu den Staaten Südeuropas. Zur Einführung des Euro profitierte der deutsche Kapitalismus von den hohen Wechselkursen, die vom Europäischen Rat ab 1999 für die schwächeren Nationen festgelegt wurden.
Zwischen 1998 und 2010 hat Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Konkurrenten innerhalb der EU um weitere neun Prozent erhöht, und zwar nicht durch Steigerung der Produktivität, sondern durch Angriffe auf die Löhne der deutschen Arbeiter_innen. Das Hartz-IV-Programm bedeutete gewaltige Einschnitte in der Arbeitslosenversorgung und zwang Arbeiter_innen dazu niedrigere Löhne zu akzeptieren. Jetzt ist Deutschland in der Lage seine Version neoliberaler Politik den anderen europäischen Nationen aufzuzwingen.
Euro als Freund der Eliten
Der Euro erwies sich bisher zwar als zu schwach, um Nationalismus zu überwinden, aber aus Sicht der Eliten war er stark genug, um nationale Sozialsysteme zugrunde zu richten.
Vor allem ist er ein wirksames Instrument um neoliberale Politik durchzusetzen. Wenn Beitrittskandidaten die Vorzüge der gemeinsamen Währung genießen wollen, dann müssen sie immer erst eine Reihe von Bedingungen erfüllen; Reformen in der Verwaltung, der Gesetzgebung, dem Sozialsystem und vielem mehr.
Die EU entsendet zu diesem Zweck sogar Beamte, die als Aufseher in den Ministerien der Beitrittsländer den Stand der Anpassung kontrollieren. Diese Form des Imperialismus erscheint zwar weitaus freundlicher als der militärische, aber er kann auch sehr destruktiv sein. Ein Austritt aus der Eurozone und der EU, wie das antikapitalistische Parteienbündnis ANTARSYA in Griechenland propagiert, ist deshalb wirklich der richtige Vorschlag.