Gesunde Menschen, gesunder Planet

Die jetzige Form der Nahrungsmittelproduktion ist einer der größten Faktoren der Klimazerstörung. Um den weltweiten Hunger, gesundheitsschädigende Nahrung und die Zerstörung des Planeten zu beenden, ist eine radikale Umwälzung der gesamten Lebensmittelproduktion notwendig. Die EAT-Lancet Kommission hat die notwendigen Schritte erforscht und zusammengefasst.
16. April 2019 |

Dank wissenschaftlicher und technischer Fortschritte könnten wir längst alle Menschen der Welt mit gesunder und ausreichender Nahrung versorgen. Stattdessen hungern über 820 Millionen Menschen auf der Erde, die Nahrungsmittelindustrie zerstört mit ihren Methoden die Umwelt und ist so maßgeblich für die Klimakrise mitverantwortlich. In der britischen Zeitschrift für Medizin, The Lancet, veröffentlichte eine internationale Kommission eine Studie mit dem Titel „Food in the Anthropocene“. Thema der Forschung: Wie können wir die Lebensmittelindustrie so ändern, dass allen Menschen eine gesunde Ernährung gesichert wird und gleichzeitig die Produktionsbedingungen so geändert werden, dass die Umwelt keinen Schaden nimmt.

System Erde

Die Studie entstand aus der Zusammenarbeit von 19 Forscher_innen und 18 Koautor_innen aus 16 Ländern, aus den verschiedensten Bereichen, betreffend Gesundheit, Landwirtschaft, ­Politikwissenschaft und Nachhaltigkeit. Sie stützen sich dabei auf die Erdsystemforschung, das heißt, es wird die Summe physikalischer, chemischer, biologischer und sozialer Komponenten, Prozesse und Wechselwirkungen beachtet, die den Zustand und die Veränderungen des Planeten Erde beeinflussen. In diesem Rahmen werden vorwiegend globale Umweltveränderungen beobachtet, analysiert und vorhergesagt, die die Interaktion zwischen Land, Atmosphäre, Wasser, Eis, Biosphäre, Gesellschaften, Technologien und Wirtschaft umfassen.

Der Klimawandel ist dabei nur eines der aus den Fugen geratenen Erdsysteme. Relevant sind auch Faktoren wie die Versauerung der Ozeane, Landnutzung oder die Nutzung fossiler Brennstoffe. Die Wissenschaftler_innen erforschen die wechselseitigen Beziehungen der verschiedenen Erdsysteme und die Auswirkungen ihrer Veränderung auf das Gesamtsystem Erde beziehungsweise den verstärkenden Effekt auf die Erderwärmung. Im Anthropozän, also dem jetzigen Zeitalter, ist der Mensch maßgeblich für Veränderungen des Systems Erde verantwortlich, das heißt es, liegt an uns, die negativen Prozesse aufzuhalten.

Krankmachende Nahrung

Ungesunde und mangelhafte Ernährung stellt ein größeres Gesundheitsrisiko dar als Alkohol, ungeschützter Sex, Tabak- und Drogenkonsum zusammengenommen und gehört so weltweit zu den größten Auslösern für Krankheiten. Dass sich viele zu ungesund ernähren, liegt aber nicht daran, dass sie zu dumm sind, sondern es ist ein gewolltes Resultat der Strategien der Lebensmittelindustrie. Beispielsweise wird durch das Zuführen von Unmengen an Zucker strukturell eine Abhängigkeit der Menschen geschaffen.

Dahinter stecken die Profitinteressen der Zuckerproduzenten, die wiederum die Politik beeinflussen und so verhindern, dass die Inhaltsstoffe für die Konsument_innen klar erkennbar sind. Dass zu viel Zucker krank macht, davon profitiert die Pharmaindustrie – Medikamente gegen Diabetes stehen in Deutschland auf Platz drei der umsatzstärksten Arzneimittel. Gleichzeitig propagiert die Pharmalobby ein stetiges Senken der Messwerte, sodass immer mehr Menschen ins Krankheits- und somit Behandlungsschema passen.

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren 2014 mehr als 600 Millionen Menschen weltweit fettleibig, vor allem in den Industrienationen. Gleichzeitig leiden mehr als zwei Milliarden Menschen an Unterernährung, während global rund ein Drittel aller Lebensmittel weggeschmissen werden.

Aufgrund der Auswirkungen des Klimawandels und militärischer Konflikte steigt der Hunger weltweit seit 2015 an © Wikimedia Commons, Summer … hier!


Nachhaltige Landwirtschaft

Die Lebensmittelpro­duktion (mit all ihren Faktoren, wie etwa Energiegewinnung für Transportmittel) ist einer der größten Verursacher der Klimakrise – und das auf vielen Ebenen. Sie ist mitverantwortlich für den Rückgang der Artenvielfalt, Wasserknappheit, Störung des Mineralstoffhaushalts, Erhöhung der Treibhausgase in der Atmosphäre usw. Die Forscher_innen kommen zu einem klaren Schluss: Die nachhaltige Herstellung von (gesunder) Nahrung ist abhängig von einem funktionierenden Ökosystem, was wiederum bedeutet, dass jede Umweltzerstörung sofort eingestellt werden muss.

Um dieses Ziel zu erreichen, erstellte die EAT-Lancet Kommission einen Rahmen aus verschiedenen Grenzen und Maßnahmen, deren vollständige Einhaltung aufgrund des komplexen Erdsystems unumgänglich ist. Nur dann können sowohl eine gesunde Ernährung als auch der Erhalt der Erde erreicht und die Ernährung von 10 Milliarden Menschen, die bis zum Jahr 2050 erwartet werden, bewerkstelligt werden.

Ohne Zwang wird das nicht gehen. Bis 2050 muss laut der Studie der globale Konsum von beispielsweise rotem Fleisch (z.B. Rindfleisch ist sehr energieaufwändig, Fisch und Huhn hingegen sind hinsichtlich des Energieaufwands sehr ergiebig) und Zucker um 50% reduziert werden und gleichzeitig auf eine größtenteils pflanzenbasierte Ernährung umgestiegen werden. Weitere essentielle Forderungen sind die Reduktion von chemischen Stoffen in der Landwirtschaft um 75% und das Senken der Lebensmittelverschwendung.

Radikale Maßnahmen

In dem Ausmaß, wie von der Kommission zusammengefasst, hat die Menschheit bis jetzt nicht angestrebt, das System der Nahrungsversorgung zu verändern. Politisch ist das ein praktisch unerforschtes Gebiet mit Aufgaben, die nicht so ohne weiteres umsetzbar erscheinen. Doch wir können von anderen Beispielen gesellschaftlicher Reaktionen auf globale Herausforderungen lernen.

Einzelne Akteure werden nicht in der Lage sein, die Entwicklung einer gesunden und nachhaltigen Lebensmittelproduktion zu bewerkstelligen. Dazu braucht es einen kompletten Systemwandel – das heißt, dass in Zusammenarbeit mit der Wissenschaft alle politischen Hebel in Bewegung gesetzt werden müssen. Vorschriften auf freiwilliger Basis, wie es im Moment gehandhabt wird, werden die gefährlichen Entwicklungen sowohl hinsichtlich Gesundheit als auch Umweltverträglichkeit nicht aufhalten können.

Die Jugend hat’s verstanden. Seit Monaten streiken sie jeden Freitag für Klimagerechtigkeit, hier auf dem Wiener Heldenplatz © Linkswende jetzt


Es braucht eine internationale Zusammenarbeit, um Anbau und Verteilung zu koordinieren. Außerdem muss eine ausgewogene Ernährung für alle Menschen leistbar sein. Dazu ist es nötig, dass Unternehmen ungesundes oder nicht nachhaltiges Essen klar kennzeichnen müssen und es nicht irreführend bewerben dürfen. Wichtig ist auch, dass die Menschen Informationen über die Herstellung und die Inhaltsstoffe der Nahrung bekommen, z.B. in Schulen.

Die Nahrungsmittelproduktion darf nicht länger in den Händen einiger weniger global agierender Konzerne liegen, die auf Kosten der Qualität große Mengen herstellen, um möglichst viel Profit abzuschöpfen. Vielmehr muss dies auf die lokalen Bedürfnisse und Möglichkeiten abgestimmt werden. Langfristig muss auf ökologische Landwirtschaft umgestiegen werden, um den natürlichen Kreislauf der Erde nicht weiter zu beeinträchtigen. Um die Einhaltung zu garantieren, müssen Verstöße auch sanktioniert werden können.

Ökosozialismus

Die Erkenntnisse und Forderungen dieser Forschung sind unumgänglich und ohne Zweifel radikal – und genau das ist notwendig, um die Zerstörung des Planeten aufzuhalten. Um das Ziel des Pariser Klimaabkommens, die Erderwärmung auf 1,5 °C im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu beschränken, einzuhalten, braucht es ein sofortiges Handeln und eine radikale Umwälzung der gesamten Wirtschaftsweise: Statt an Profit muss sich die Produktion an den Bedürfnissen von Mensch und Umwelt orientieren.

Zwar sind die Autor_innen der Studie keine Sozialist_innen, ihre Ergebnisse sind aber eine gute Grundlage für den Ökosozialismus. Sie haben richtig erkannt, dass die Menschen vor Ort selbst am besten wissen, was sie brauchen und was sie wie produzieren sollten, um sich selbst und ihren Lebensraum zu schützen. Außerdem berücksichtigen sie das Gesamtsystem und beziehen beispielsweise soziale Verhältnisse mit ein.

Warum wir alle Ökosozialisten werden müssen!

Warum wir alle Ökosozialisten werden müssen!

So nehmen sie absurden Argumenten, wie etwa die Überbevölkerung wäre das Problem, den Wind aus den Segeln. Denn erstens könnten wir schon jetzt alle Menschen auf der Erde ernähren und zweitens kann dem Wachstum der Bevölkerung entgegengewirkt werden, wenn alle Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung, Verhütungsmitteln etc. bekommen. Außerdem bedeuten etwa Kriege oder andere Krisensituationen für die ärmeren Schichten Unsicherheit in der Nahrungsversorgung. Sie sind auch am meisten von den Auswirkungen des Klimawandels, wie Überschwemmungen und Dürren, betroffen.

Um allen Menschen gesunde Ernährung zu ermöglichen und den Planeten vor der Katastrophe zu bewahren, braucht es einen radikalen Umsturz des gesamten Systems – und das am besten sofort.

Veranstaltungstipp
Es diskutieren Lena Schilling, Mitorganisatorin der Schülerstreiks und Marilen Lorenz beim Kongress Marx is Muss. Infos auf marxismuss.at
Wann? Sonntag, 12. Mai um 15:15 Uhr
Wo? Amerlinghaus, Stiftgasse 8, 1070 Wien