Internationale Eskalation statt Kooperation in der Coronakrise
Die US-Regierung verschärft den Handelskrieg gegen China, und sie verschlimmert mit immer schärferen Sanktionen die ohnehin unerträgliche Situation für die Menschen im Iran, wo das Gesundheitspersonal unvorstellbaren Risiken und Belastungen ausgesetzt ist.
Deutschland, Österreich, Niederlande und Finnland riskieren mit ihrer Weigerung, notwendige Hilfskredite gemeinsam zu schultern, ganz offen den Kollaps der Gesundheitssysteme der von der ersten Welle der Corona-Pandemie am schwersten getroffenen südlichen EU-Mitgliedsstaaten. Deshalb wird nicht nur die Existenzberechtigung der Europäischen Union infrage gestellt, die EU könnte auch im Vergleich zu den USA und China den größten Schaden durch die Krise erleben – wirtschaftlich und politisch.
Das wahre Gesicht der EU
Es erscheint legitim, die irrationalen Reaktionen der internationalen Gemeinschaft mit der Dummheit von Staatschefs wie Donald Trump, oder der Skrupellosigkeit eines Sebastian Kurz zu erklären, aber das ist viel zu kurz gegriffen. Vielmehr verkörpern diese Figuren einfach nur ein sehr krankes System. Kapitalismus ist so kaputt, dass er solche Führer gebiert. Und wer dachte, das System befände sich einfach nur auf einem Irrweg und könne durch existenzbedrohende Krisen auf den Weg der Vernunft zurückgezwungen werden, der muss jetzt furchtbar enttäuscht werden. Der als Gründervater der Union geltende Jean Monnet schrieb 1976 in seinen Memoiren: „Europa wird in Krisen geschmiedet, und es wird einst die Summe der Lösungen sein, die man für diese Krisen ersonnen hat.” Die EU befindet sich inmitten der schwersten Krise ihrer Geschichte und Monnets Prophezeiung hat sich im Praxistest als „einfach nur ein Traum“ entpuppt.
Schon in der großen Eurokrise 2012 – 2015 haben Deutschland und seine „Satelliten“ gezeigt, dass inner-europäische Solidarität nicht mehr als eine leere Worthülse ist. Griechenland bekam nur gegen äußerst schmerzhafte Auflagen Finanzhilfe und wurde praktisch mit dem Messer am Hals dazu gezwungen, seine öffentliche Versorgung zu zerstören und sich noch tiefer in Schuldknechtschaft der finanzstärkeren EU-Staaten zu begeben.
Auch Italien und Spanien bekamen jetzt ein solch unmoralisches Angebot. Neun EU-Staaten taten sich zusammen und wollten die gemeinsame Aufnahme von Anleihen zur Bewältigung der Coronakrise, getragen von allen Mitgliedsstaaten, so genannte „Corona-Bonds“. Ansonsten würden Anleihen den höher verschuldeten Staaten ungleich teurer kommen als den finanzstärkeren EU-Staaten. Schließlich, so die Argumentation, macht das Virus vor keinen Grenzen Halt. Aber die Regierungen von Deutschland und Konsorten haben am 23. April wiederholt solche Corona-Bonds „erfolgreich abgewehrt“, wie es in heimischen Medien heißt. Der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze schließt daraus, dass der Euro gegenüber dem Dollar verlieren wird: „Der Eindruck von außen ist: Nicht einmal im Angesicht einer solchen Herausforderung ziehen alle an einem Strang. Warum sollten langfristig denkende Investoren also ihre Geschäfte in Euro aufziehen? Die Pandemie legt die Konstruktionsfehler der Währungsunion schonungslos offen.“
Sparzwang als Waffe
Der Konstruktionsfehler ist allerdings schon im Fundament begraben. Um eine stabile Union zu errichten, hätten sich die technologisch am weitest fortgeschrittenen Staaten, allen voran Deutschland, anstrengen müssen, um die anderen Staaten gleichziehen zu lassen. Anders gesagt, die reichen Staaten hätten auf ihren Konkurrenzvorteil verzichten müssen. Das tun sie natürlich mitnichten. Die Kluft zwischen den Staaten wird durch die Mechanismen der Währungsunion stattdessen permanent größer.
Deutschland und seine Satellitenökonomien haben den Großteil der EU-Länder zu Importmärkten degradiert und sind ohne Rücksicht auf Verluste darum bemüht, dieses Spiel weiter zu treiben. Die empört vorgetragene Haltung, man wolle nicht Italiens verantwortungslose Schuldenpolitik mittragen ist reiner Zynismus. Adam Tooze: „Mit Ausnahme des Krisenjahrs 2009 erwirtschaftete der italienische Staat in den vergangenen 25 Jahren Überschüsse im Staatshaushalt, wenn man die Zinsausgaben abzieht.“ Die von den Gläubigern aufgezwungenen Sparmaßnahmen hatten natürlich ihren Preis: Der öffentliche Sektor, das Gesundheitssystem inbegriffen, ist kaputtgespart worden.
Verfeindete Brüder
Kapitalismus ist ein System, das vom Konkurrenzkampf um Profite angetrieben wird. Schwere Krisen werden von den einzelnen verfeindeten Brüdern, wie Marx die einzelnen Kapitalisten bezeichnet hat, ganz kaltherzig ausgenutzt, um den jeweils anderen umso härter zu schlagen. Merkel tut, was das deutsche Kapital von ihr erwartet und Trump, was die Logik des amerikanischen Kapitalismus von ihm verlangt, und Solidarität ist dabei sicherlich ein Fremdwort. Sie mögen sich verrechnen, aber ihr Kalkül ist: Jede Volkswirtschaft leidet, am Ende aber zählt, wer relativ zu den anderen Verlierern stärker daraus hervorgeht.
Am Beispiel Iran und Kuba
Der Iran wird wahrscheinlich einer der besonders hart getroffenen Verlierer dieser Krise sein. Die Wirtschaft des Landes war schon vor dem Ausbruch des Virus am Boden und hat breite Bevölkerungsschichten betroffen, nicht nur den militärisch-wirtschaftlichen Komplex rund um die Armee und die Revolutionsgarden. Unter Trump und seinem Außenminister Mike Pompeo wurden die Sanktionen jetzt mitten in der Corona-Krise noch weiter verschärft, wohl mit dem Kalkül, das überlastete medizinische System zum Zusammensturz zu bringen und so das Regime zu destabilisieren.
Firmen sind sehr zurückhaltend, wenn sie Bestellungen für medizinisches Material in den Iran bekommen, aus Angst ins Visier der US-Behörden zu geraten und so wurde es nicht nur sehr schwierig, sondern auch immer teurer für den Iran die nötigen Materialien zu bekommen. Das Personal in den Spitälern ist nach Berichten mehr als in anderen Ländern von Infektionen betroffen. Eine unbekannte aber im Vergleich zu anderen Ländern hohe Zahl von Krankenpfleger_innen und Ärztinnen dürfte schon dem Virus – und der Politik – zum Opfer gefallen sein.
Kuba sticht international mit seinen Hilfeleistungen hervor. Es hat mehr als 1.200 Mediziner_innen entsendet, um 18 Länder zu unterstützen, darunter auch Italien und Andorra. Trotzdem darf es nicht damit rechnen, dass die Wirtschaftssanktionen gegen das Land vorübergehend aufgehoben werden. Bisher gab es in Kuba erst 49 Todesfälle und 1285 bestätigte Fälle. Aber seine Wirtschaft wird, wie die so vieler Länder des Südens, besonders stark unter der Krise leiden. Vor der Pandemie schätzte die Economist Intelligence Unit, dass die kubanische Wirtschaft im Jahr 2020 um 0,7% schrumpfen würde; jetzt geht sie von einem Rückgang um 4,7% aus.
China bleibt Hauptfeind der USA
Während die internationale Wissenschaftsgemeinde China bei aller berechtigter Kritik dafür lobt, wie freizügig es Forschungserkenntnisse und Beobachtungen über Covid-19 teilt, greift die Regierung Trump China tagtäglich an. Das Gebot der Stunde, die internationale Kooperation zu intensivieren, um der Pandemie bestmöglich zu begegnen, wird von den USA bewusst torpediert. Aber es ist nicht gesagt, dass eine Präsidentin Hillary Clinton oder Obama völlig anders gehandelt hätten – im Stil vielleicht, an der Oberfläche – aber schon unter Obama wurde China zum strategischen Hauptfeind der USA auserkoren.
Die Sorge um den Aufstieg Chinas hat die Regierung Obama dazu gebracht, den Schwerpunkt der militärischen Präsenz vom Mittleren Osten in den Pazifik zu verlagern. China hat allerdings trotz aller Gegenmaßnahmen der USA seither seinen internationalen Einfluss, oder seine „soft power“, gesteigert. Unter Trump verlaufen Aspekte der US-Außenpolitik anders, aber nicht die generelle Linie. Trotzdem kann das völlige Versagen seines Kabinetts, sich besser auf die Pandemie vorzubereiten, dazu beitragen, dass die USA international an Einfluss verliert. Ein Land dessen Gesundheitssystem so inadäquat ist und so unfähig die eigene Bevölkerung zu behandeln, verliert natürlich an Autorität. Am Ende zählt im Kapitalismus zwar weniger die „soft power“ als die Kombination aus wirtschaftlicher und militärischer Dominanz, aber keine Supermacht währt ewig.
Eine Weggabelung
Für uns, die Normalbevölkerung, bringen diese Entwicklungen viel Schlechtes, aber auch Chancen mit sich. Je stärker die kapitalistische Logik während dieser Krise zum Tragen kommt, desto stärker werden wir leiden, desto mehr Tote werden wir zu beklagen haben und desto schlimmer werden die sozialen Folgen inklusive Hungersnöte ausfallen. Das bedeutet, wir dürfen die beschriebenen internationalen Konflikte und ihre nationalen Folgen nicht bloß beobachten und kommentieren. Wir müssen jede unserer Regierungen unter Druck setzen, so zu agieren, wie es das Menschenwohl verlangt. Man sieht ja ganz deutlich, dass dort wo die Opposition mutiger auftritt weniger Grundrechte beschnitten werden als etwa in Österreich.
Es macht also einen Unterschied, wie gut wir organisiert sind und wie stark wir auftreten. Und eine Krise dieser Dimension kann auch Möglichkeiten für die Linke eröffnen. Noch nie ist die Unzulänglichkeit des „freien Marktes“ in Krisenzeiten für die Bevölkerung zu sorgen, so offen zur Schau gestellt worden. Und selten zuvor ist deutlicher geworden, dass die einfachen Arbeiter_innen für das Funktionieren unserer Versorgung entscheidend sind, und nicht die Konzerne oder die Kapitalisten. Das kann zu einem echten Aufschwung von Klassenbewusstsein führen. Gepaart mit internationaler Solidarität und aktivem Antirassismus kann dieses Klassenbewusstsein auch zu einem neuen Aufschwung der sozialistischen Linken führen. Aber das hängt eben davon ab, wie wir auf die Krise reagieren.
Schließ dich uns an, wenn du unsere Politik teilst und kämpfe mit uns für eine bessere Welt.