Irland: Abwahl der Sparpolitik ist Ohrfeige für das Establishment
Die sozialistische AAA/PBP (Anti-Austerity Alliance/People Before Profit) hat bis jetzt fünf Sitze im Parlament gewonnen und nach weiteren Auszählungen könnten noch zwei dazu kommen – eine erstaunliche Leistung.* Gino Kenny (PBP), Abgeordneter für die Region Dublin Mid-West, sagte: „Wir werden das Parlament nutzen, um so viele Menschen wie möglich zu mobilisieren. Wenn es Streiks oder Aufstände gibt, werden wir dort sein. Wir werden das Parlament auch als Sprachrohr für die Anliegen der Menschen, die jetzt kämpfen, benutzen. Wir stehen in erster Linie mit den Menschen Schulter an Schulter, die sich gegen das System auflehnen.“
Richard Boyd Barrett, Mitglied der irischen SWP (Schwesternorganisation der Neuen Linkswende) und PBP wurde wieder gewählt. Er konnte sein Wahlergebnis deutlich steigern und gewann damit in seinem Wahlbezirk Dun Laoghaire. Richard meinte: „Wir haben eine entscheidende Rolle im Aufbau einer der größten Massenbewegungen gegen die Wassergebühren in der Geschichte Irlands gespielt. Das hat uns den Erfolg ermöglicht.“
Starkes politisches Bewusstsein
„Auch wenn unsere Stärke im Dáil Éireann (Unterhaus, Anm.) eine relativ klein ist, können wir doch für die Linke eine wichtige Themen auf die Tagesordnung bringen“, erzählt Richard. „Die Bevölkerung ist immer noch sehr wütend über die ungerechten Auswirkungen der Sparpolitik. Sie hat eine enormen Immobilienkrise hervorgerufen und für Chaos im Gesundheitssystem und niedrige Löhne gesorgt. Je mehr die Regierung über die wirtschaftliche Erholung gesprochen hat, desto mehr haben sich die Leute gefragt: Wo bleibt diese Erholung?“
„In der Bewegung gegen die Wassergebühren ging es immer um mehr als bloß um das Wasser. Sie trieb die Wut und den Zorn, der sich nach sechs Jahren harter Sparpolitik und Verrat durch die Labour Party angestaut hatte, auf die Spitze“, meint Richard weiter. „Das hohe politische Engagement der Arbeiterklasse ist unglaublich. Ich glaube nicht, dass dies in absehbarer Zeit aufhören wird. Das wird enormen Druck auf jede kommende Regierung ausüben. Unsere Aufgabe ist jetzt, die Bewegung weiter anzuheizen und nach vorne zu treiben.“
Keine wirtschaftliche Erholung
Die Wahlkampagne der aus dem Amt scheidenden Koalition aus Fine Gael (Volkspartei „Familie der Iren“) betonte die „wirtschaftliche Erholung“ und „Stabilität“. Doch ihre anfänglichen Hoffnungen die Wahl basierend auf der Sicherung des wirtschaftlichen Wohlstands zu gewinnen, lösten sich schnell in Luft auf. Eine Meinungsumfrage kurz vor der Wahl kam zu dem Ergebnis, dass mehr als die Hälfte der Menschen „keinen wirtschaftlichen Vorteil“ von der angeblichen Erholung gespürt hätten.
Irland hat den zweithöchsten Prozentsatz an gering bezahlten Jobs in der entwickelten Welt. Die „Nörgler“ – so bezeichnete Fine Gael-Chef Enda Kenny die Wähler_innen – bekamen ihre Revanche und verpassten ihm und seinem Koalitionspartner Labour eine blutige Nase. Labour stürzte von 20 Prozent auf 6,6 Prozent ab.
Etabliertes Parteiensystem bricht auf
Die Wähler_innen folgten der spanischen und portugiesischen Wählerschaft und lehnten die Regierung ab, die einen sogenannten Bankenrettungsplan der Europäischen Union (EU) und des Internationen Währungsfonds (IWF) umgesetzt hat. Seit 2010 haben die 300 reichsten Personen in Irland ihr Vermögen verdoppelt. Sie verfügen zusammen über 90 Milliarden Euro, ein Fünftel des gesamten Reichtums in Irland. Im Gegensatz dazu besitzt die Hälfte der irischen Bevölkerung weniger als fünf Prozent des Vermögens.
Vor drei Jahrzehnten teilten sich die drei großen Parteien 94% der Stimmen. Noch in der Wahl von 2007 bekamen Fine Gael, Fianna Fail and Labour zusammen 79%. Mittlerweile sind es nur noch knapp über 50%. Die letzten zwei Wahlen haben die parlamentarische Politik in Irland neu geschrieben. Fianna Fail („Soldaten des Schicksals“), die die längste Zeit die Regierungspartei in Irland war, wurde in der Wahl 2011 dezimiert, weil sie sie ein Sparpaket der EU durchsetzte.
Diesmal erholte sich Fianna Fail ein bisschen, teilweise weil sie in Opposition zur Regierung politisch etwas nach links gerutscht ist. Sie kämpfte mit dem Slogan „Irland für alle“ und stellte Fine Gael als Partei der Oberschicht dar. Die trifft zwar auf Fine Gael zu, jedoch auch auf Fianna Fail. Paul Murphy, gewählter Kandidat für AAA, bezeichnete die Wahl treffend als „politisches Erdbeben“.
*Update Dienstag, 1. März: Nach einer Neuauszählung der Stimmen im Wahlbezirk Dublin South-Central konnte die SWP-Aktivistin Bríd Smith den sechsten Sitz für die AAA/PBP gewinnen.
Der Artikel ist zuerst auf Socialist Worker erschienen. Übersetzung aus dem Englischen von Lisa Reicher.