Keine Obergrenzen für Flüchtlinge, sondern für politische Dummheit
Der Asylgipfel zeugt von der völligen Unfähigkeit der Regierung. In einer jüngsten Profil-Umfrage lehnt eine gewaltige Mehrheit von 83 Prozent die Flüchtlingspolitik der großen Koalition ab. Es scheint, als habe die Regierung schon wieder vergessen, was Ende August in Parndorf geschah.
Mit dem Beschluss einer Obergrenze von 37.500 Flüchtlingen für das Jahr 2016, bei dem niemand so genau weiß, wie das eigentlich funktionieren sollte, machte man sich international zum Gespött. Man habe man sich am schwedischen Modell orientiert, erklärte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, während die schwedische Regierung der österreichischen ausrichten ließ, der Obergrenzen-Plan sei „nicht durchführbar“. „Keiner weiß, wie das gehen soll“, lachte die ZDF-„Heute-Show“ über Kanzler Faymann: „Werner ist nicht sehr klug.“
Obergrenze: Kein Zeichen der Stärke
In der ÖVP setzte sich offensichtlich der rassistische Flügel, der Zuwanderung aus ideologischen Gründen ablehnt, gegen jenen Teil des Kapitals durch, der Flüchtlinge als Fachkräfte benötigt. ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner handelte gegen die Bedürfnisse der Industriellenvereinigung. Anders in Deutschland. Bis jetzt verteidigt Kanzlerin Angela Merkel standhaft die Interessen der deutschen Industrie nach erleichterter Zuwanderung gegen die Rufe der bayrischen CSU nach einer Abkehr von der Willkommenskultur.
Politikwissenschafter Anton Pelinka attestierte der österreichischen Regierung ein „schweres Professionalitätsdefizit“ – und das ist noch milde ausgedrückt. Kaum habe man die Einigung verkündet, schon wäre man sich „über die Bedeutung und den Inhalt der sogenannten Einigung nicht einig“. Die ÖVP sprach von verbindlichen „Obergrenzen“, die SPÖ nur von „Richtwerten“ – einig ist man sich einzig darin, dass es weniger Flüchtlinge werden müssen. Aber niemand will den Satz zu Ende denken, was denn passieren müsste, wenn der 37.501. Flüchtling an der Grenze um Asyl ansuchen wird.
Schießbefehl nötig
Beide Regierungsparteien wissen, dass eine völlig neue Qualität militärischer Gewalt an den Grenzen nötig wäre, um Menschen abzuschrecken, die Bürgerkrieg und Terror erlebt haben. Mit Zäunen ist da nichts mehr zu machen. Sie müsste schon wie der türkische Premier Erdoğan mit scharfer Munition vorgehen, aber dafür ist die Solidaritätsbewegung in Österreich viel zu stark geworden. Sowohl rote Basisorganisationen, wie die Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter, als auch katholische Netzwerke haben sich eindeutig positioniert. Der Druck der Bewegung steht zwischen dem, was die Regierung tun kann, und dem, was sie tun müsste.
Nur die FPÖ führt verbal zu Ende, was SPÖ und ÖVP begonnen haben: „Es geht nicht nur um Grenzzäune“, sagte der freiheitliche Parteichef Heinz-Christian Strache am FPÖ-Neujahrtreffen in Wels: „Ich gehe für Österreich den Weg, den der ungarische Präsident für sein Land gegangen ist. Ich werde unsere Grenzen mit allen Mitteln vor illegaler Zuwanderung schützen und verteidigen.“ Das Gerede über Obergrenzen liefert nicht nur keine Lösungen, sondern stärkt auch die FPÖ.
Festung Europa ist gestürmt
Genauso wenig wie Obergrenzen funktionieren die geplanten „Hotspots“, also die Massenauffanglager an den EU-Außengrenzen – der Dreh- und Angelpunkt der EU-Flüchtlingsstrategie. Nur drei von elf Lagern wurden bisher errichtet. Von den gerade einmal 160.000 Asylwerber_innen, die über die nächsten zwei Jahre auf die EU-Staaten verteilt werden sollen, sind bisher sage und schreibe 322 Menschen zugeteilt worden. Ein hochrangiger EU-Politiker gab gegenüber der Süddeutschen Zeitung zu, dass dieses System niemals funktionieren wird, aber manchmal müsse man eben „tote Pferde weiterreiten“.
Die Vorgabe, 160.000 Flüchtlinge so zu „managen“, ist lächerlich. 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Über eine Million Menschen haben 2015 in Europa Schutz gesucht. Bis Ende 2017 erwartet die EU-Kommission drei Millionen Flüchtlinge. Tausende Aktivist_innen in Lesbos und anderswo halten die Tore der „Festung Europa“, die im Sommer gestürmt wurde, weiterhin offen.
Dynamik: Offensiv bleiben
Eine relative Mehrheit von 41 Prozent vertritt nach der Profil-Umfrage den Standpunkt von FPÖ und ÖVP, während nur mehr 13 Prozent die Willkommenskultur der SPÖ befürworten. Widerspricht das nicht der Behauptung, dass der solidarische Teil der Bewegung die reaktionären Absichten der Regierung in Schach hält?
Der aufopfernde Einsatz der Zivilbevölkerung ist der aktivere Teil auf der Straße, in Flüchtlingsheimen und an den Grenzen. 23 Prozent der Bevölkerung waren 2015 direkt in der Flüchtlingshilfe tätig. Die Solidarischen sind viel offensiver als der reaktionäre Pol und dominieren so die gesellschaftliche Dynamik.
Österreich bleibt scharf polarisiert – entweder man ist für oder gegen Flüchtlinge. Um die geplanten Verschärfungen des Asylrechts zu bekämpfen und der FPÖ das Wasser abzugraben, muss die Bewegung weiter laut und sichtbar bleiben und die nächsten Proteste aufbauen.
Am 19. März finden im Rahmen des internationalen Tages gegen Rassismus in ganz Europa Solidaritätsdemonstrationen für Flüchtlinge statt. Die Plattform für eine menschliche Asylpolitik eine Großdemonstration in Wien.