„Keine populistische Symbolpolitik auf dem Rücken einer Minderheit!“
Neue Linkswende: Die Dokustelle ist an den fantastischen #MuslimBanAustria-Protesten für das Selbstbestimmungsrecht von Frauen beteiligt. Hat dich die internationale Protestwelle überrascht?
Elif Öztürk: Die islamfeindliche Stimmung hat sich in den USA seit 9/11 permanent gesteigert. Trump stellt somit einen Gipfel dar. Der Druck seiner rassistischen Politik und Rhetorik war so stark, dass sich dementsprechend ein starker Widerstand formiert hat. Somit steht #NoMuslimBan international für großartige Proteste gegen Islamfeindlichkeit. Da der Rechtsruck und die Islamfeindlichkeit auch in Europa immer stärker werden, ist die Übernahme dieses Labels nicht überraschend.
Nach den anhaltenden rassistischen Vorstößen von den ÖVP-Ministern Kurz und Sobotka und den knieweichen Reaktionen aus SPÖ-Kreisen ist ein Dauerbombardement auf die muslimische Bevölkerung zu erwarten. Ist die muslimische Community vorbereitet?
Auf diese aktuellen Diskurse sind nicht nur Muslim*innen, sondern die Gesamtgesellschaft unvorbereitet. Die muslimische Community hat sich klar gegen die staatlich aufgesetzten und diskriminierenden Regelungen gewehrt. Nun liegt es am Staat Österreich, nicht eine populistische Symbolpolitik auf dem Rücken einer Minderheit zu betreiben.
Glaubst du, wir können die islamfeindlichen Attacken aufhalten und wenn ja, was wäre dafür nötig?
Klar! Wir als die solidarische Zivilgesellschaft – Hand in Hand – können viel bewegen und ein klares Zeichen gegen Vorurteile und Hass setzen.
Zum einen wäre ein realitätsnaher Narrativ „der“ Muslim*innen zu etablieren, die keine homogene Gruppe sind. Diese Individualität der österreichischen Muslim*innen sichtbar zu machen und sie als Teil Österreichs zu betonen, sind dabei wichtige Schritte. Wie man das bewirken kann? Indem Muslim*innen sichtbar in der Gesellschaft vertreten sind, unter anderem auf Werbeplakaten, in der Gastronomie, Dienstleistungen, Schulen und auch in Gerichtssälen. Wenn aber nun der Staat den strukturellen Rassismus nicht nur fördert, sondern fordert, dann ist genau das kontraproduktiv für unsere offene Gesellschaft!
Ihr dokumentiert islamfeindliche Übergriffe und habt jetzt den Jahresbericht 2016 präsentiert. Was fällt besonders auf?
Zusätzlich zu den strafrechtlich verfolgten Delikten nehmen wir auch zivilrechtliche Fälle mit auf. Auffällig ist, dass vom antimuslimischen Rassismus fast nur Frauen (98%) betroffenen sind. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, wie Frankreich oder Deutschland, ist in Österreich die Anzahl der Hassdelikte nicht hoch. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns zufrieden zurücklehnen dürfen. Denn der hate speech folgt hate crime. Umso besorgniserregender ist es, dass verbale Attacken und Verhetzung in der Öffentlichkeit – vor allem im Netz – angestiegen sind. Daran kann man erkennen, dass die Hemmschwelle abnimmt und die Attacken in der Gesellschaft mit aktuellen medialen und politischen Diskursen verknüpft sind.
So erreichte im September, als politisch (damals noch von rechten Parteien) und medial viel über das Kopftuch- und Burkiniverbot debattiert wurde, die Islamfeindlichkeit einen Höchstwert. Und verbale Attacken erreichten in der Vorpräsidentschaftswahlzeit ihren Höhepunkt. Übrigens ereignete sich die Hälfte der islamfeindlichen Attacken im flüchtigen Miteinander, in der (Halb-)Öffentlichkeit. Außerdem wurden drei der insgesamt vier angegriffenen Moscheen während Ramadan attackiert.
Ich finde es sehr inspirierend, dass Musliminnen führend und selbstbewusst im Widerstand auftreten. Der gegenteilige Effekt wird von den Angreifern aus der Politik erwartet. Warum ziehen sich muslimische Frauen jetzt nicht zurück, sondern stehen für ihre Rechte auf?
Auch Muslim*innen sind in Österreich beheimatet: Infolgedessen käme ein Zurückziehen nicht in Frage. Vor allem, wohin zurückziehen? Mit ihrem selbstbewussten Widerstand machen sie auf eine Schieflage aufmerksam, gegen die wir solidarisch und gemeinsam vorgehen. Nicht nur bei der #MuslimBanAustria-Demo am 4. Februar, sondern auch bei vielen weiteren Veranstaltungen und Aktionen ist erkennbar, dass die Solidarität bereits gelebt wird!
Das Interview führte Karin Wilflingseder. Der Jahresbericht Antimuslimischer Rassismus 2016 kann hier abgerufen werden.
Der Kampf gegen antimuslimischen Rassismus ist ein Schwerpunkt am antikapitalistischen Kongress Marx is Muss von 5. bis 7. Mai im Wiener Amerlinghaus. Carla Amina Baghajati (Frauenbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft, IGGÖ) spricht mit Karin Wilflingseder am Samstag, 6. Mai um 13:15 Uhr zu „Schwestern im Kampf gegen islamfeindlichen Rassismus“. Das gesamte Programm findest du hier.