Keine „Rückkehr zur Normalität“ mit mörderischen Grenzen

Bundeskanzler Werner Faymann kündigte an, die Grenzen schrittweise wieder dicht zu machen und zur „Normalität“ zurückzukehren. Die Regierenden versuchen wieder aus der Ecke zu kommen, in die sie die rebellierenden Flüchtlinge und Helfer_innen gedrängt haben.
9. September 2015 |

Unsere Bewegung wurde international dafür gefeiert, dass wir ein rassistisches Asylsystem in Europa niedergerungen haben, das für tausende Tote verantwortlich ist. Tausende Flüchtlinge überquerten am Wochenende die österreichisch-ungarische Grenze und wurden herzlich und hilfsbereit empfangen. Wenn Bundeskanzler Werner Faymann jetzt die „Normalität“ wiederherstellen will, kann das nichts anderes bedeuten, als zu den Zuständen mit 71 toten Flüchtlingen auf der A4, tausenden Toten im Massengrab Mittelmeer und obdachlosen Flüchtlingen und Zeltstädten zurückzukehren. Dafür wurden wir international nicht gefeiert. Dorthin wollen wir nicht zurück.

Unser Gegner versucht wieder aus der Ecke zu kommen. Die „Bewegung der Solidarischen“ hat der Regierung einen mächtigen linken Haken versetzt. Faymann wich der Konfrontation mit den tausenden freiwilligen Helfer_innen und rebellierenden Flüchtlingen aus. Er musste die Grenzen öffnen. Die einen ließen es sich nicht verbieten, zu helfen. Die anderen es sich nicht, über die Grenzen zu kommen. Am Tag nach der Jubelstimmung holt die Regierung – zaghaft aber klar – zum Gegenschlag aus.

Prognosen

Die Aussicht auf weitere Schutzbedürftige, die in die EU wollen, drängte die Regierungen in Österreich, Ungarn und Deutschland, ihren außerordentlichen „Notmaßnahmen“ – der Öffnung der Grenzen und dem Aussetzen der Kontrollen und Registrierungen – schnell wieder einen Riegel vorzuschieben. Die UNHCR vermeldete am Montag, dass über 7.000 Flüchtlinge die mazedonisch-griechische Grenze überquert hätten. Ein Rekordwert. Weitere 30.000 Menschen wollen von den griechischen Inseln weiter nach Kontinentaleuropa.

Auch wenn die meisten Flüchtlinge gar nicht nach Europa kommen, fürchten die europäischen Eliten, dass sich nach der Öffnung der Grenzen Hoffnung unter vielen Flüchtlingen geweckt wurde. Alleine am Wochenende haben 730 Menschen um Asyl in Österreich angesucht. „Wir dürfen mit keiner Entspannung rechnen“, zeigte sich Innenministerin Johanna Mikl-Leitner im Ö1-Interview alarmiert. „Die Migrationsströme gehen weiter.“

Seit Montag 17 Uhr können Flüchtlinge, die über die burgenländisch-ungarische Grenze kommen, wieder registriert und nach Ungarn zurückgeschoben werden (auch wenn die Anordnung derzeit noch nicht ausgeführt wird).

„Anti-Terror“- und „Anti-Schlepper“-Keule

Faymanns „Normalität“ bedeuten todbringende Einwanderungsgesetze und die brutale Abwehrpolitik der Europäischen Union (EU). Bereits im Sommer patrouillierten österreichische Polizisten mit Wärmebildkameras am neuen ungarischen Grenzzaun zu Serbien. Die ungarische Regierung will jetzt „illegale Einwanderer“ bis zu drei Jahre in Gefängnisse stecken. Bayern plant mindestens dreimonatige Haftstrafen für „Menschenschmuggler“. Am Montag hat die österreichische Polizei ihre Schwerpunktkontrollen gegen „Schlepper“ wieder aufgenommen, während im Mittelmeer Kriegsschiffe kleine Fischerboote angreifen. Auch solidarische Menschen werden von der schärferen Strafandrohung betroffen sein.

Nein, wir wollen nicht zurück zu Faymanns „Normalität“. Wir wollen eine Rebellion gegen dieses tödliche System der „Festung Europa“ und offene Grenzen.

Die Regierung dockt auch an die „ganz normale“ Islamfeindlichkeit an. Außenminister Sebastian Kurz warnte beim „Europäischen Forum Alpbach“ vor „einsickernden IS-Terroristen“ über die Balkanroute und der „massiven Gefahr“, wenn die Grenzen offen blieben. Der bayrische Finanzminister betrachtet es dabei als „große Herausforderung“, wenn „möglicherweise bis zu einer Million Neubürger muslimischen Glaubens zu uns kommen“.

Die „Rückkehr zur Normalität“ ist willkommenes Fressen für die rechten Parteien in Europa. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, dessen Partei in den letzten Umfragen 30 Prozent erhielt, wetterte beim Wahlkampfauftakt am Wiener Viktor-Adler-Markt gegen eine „moderne Völkerwanderung“ und forderte: „Grenzen sichern, Festung Europa, nationalstaatliche Grenzkontrollen, Aufstockung der Exekutive, Einsatz des Bundesheeres an unseren Grenzen.“

Was ist das Leben eines Flüchtlings wert?

Die „Rückkehr zur Normalität“ hat aber noch eine andere Seite – Regierungen erwägen, ob wir uns überhaupt „leisten können“, so viele Flüchtlinge zu versorgen. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble verlangte, die Bewältigung der Flüchtlingskrise müsse „ohne neue Schulden“ machbar sein. Der „ausgeglichene Haushalt“ dürfe nicht gefährdet werden, unterstützte ihn die deutsche SPD-Bundestagsfraktion.

Der österreichische Finanzminister Hans Jörg Schelling kündigte bereits an, die aktuellen Budgetzahlen werden nicht halten, da die Zahl der Flüchtlinge weiter hoch bleiben würde. In Österreich werden 500 Millionen zusätzlich für die Versorgung von Flüchtlingen erwartet. So wahnsinnig das klingt: Die Regierungen haben Sorge, dass ihre harten Spar-Images beschädigt werden, wenn sie jetzt mehr Geld für Flüchtlinge locker machen. Bankenretten ist gut, Menschenretten schlecht.

Statement der „Neuen Linkswende“: Rebellion gegen die Festung Europa!

Statement der „Neuen Linkswende“: Rebellion gegen die Festung Europa!

Noch immer müssen 2.500 Flüchtlinge in Traiskirchen in Zelten schlafen, 150 unter freiem Himmel. Katastrophale Zustände herrschen im ungarischen Lager Röszke an der Grenze zu Serbien, wo hunderte Flüchtlinge im Freien übernachten mussten und es an Hilfsgütern mangelt.

Nein, wir wollen nicht zurück zu Faymanns „Normalität“. Wir wollen eine Rebellion gegen dieses tödliche System der „Festung Europa“ und offene Grenzen.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.