Lukaschenkos Regime ist im Streit mit dem Westen, aber es ist kein Freund der Arbeiter
Obwohl die Länder des Ostblocks behaupteten, „sozialistisch“ zu sein, waren es in Wirklichkeit staatskapitalistische Gesellschaften, in denen die Menschen der Arbeiterklasse keine Kontrolle hatten. Die herrschende Klasse – die Staatsbürokratie – verhielt sich genauso wie die Bosse im freien Markt-Kapitalismus. Ihr Ziel war es, Profit anzuhäufen und internationale Rivalen zu überflügeln, und nicht, die Bedürfnisse der einfachen Leute zu befriedigen.
Revolutionen stürzten 1989 die Ostblockregime, und das stalinistische Russland zerfiel in 15 Republiken. Sie machten eine simple Wandlung vom Staatskapitalismus zum Kapitalismus der freien Marktwirtschaft durch. Kommunistische Politiker wurden zu „demokratischen“ Politikern, und die Manager staatlicher Unternehmen wurden zu Managern des privaten Sektors. Lukaschenko war zum Beispiel der Manager eines Agrar-Unternehmens. Gewöhnliche Menschen, die auf die Straße gegangen waren und Freiheit und soziale Gerechtigkeit forderten, zahlten den Preis der Politik des freien Marktes.
In Belarus lief das etwas anders ab als in anderen Republiken. In Belarus war die stalinistische Bürokratie besonders konservativ und hatte sich gegen jegliche Reformen gestemmt. Aber eine Reihe mächtiger Arbeiterproteste im April 1991 erschütterten die Kommunistische Partei in ihren Grundfesten. Eine Streikwelle in mehr als 80 staatseigenen Unternehmen in Minsk, von denen einige durch unabhängige Gewerkschaften organisiert wurden, spielten dabei eine wichtige Rolle.
Unabhängigkeit
Eine Kombination aus Zerwürfnissen an der Spitze und aus Protesten veranlasste das weißrussische Parlament, im August 1991 die Unabhängigkeit zu erklären. Doch nach der Unabhängigkeit kontrollierten Persönlichkeiten aus der alten herrschenden Bürokratie immer noch ein hohes Maß an Macht. Anders als in Russland und anderen Ostblockstaaten verfolgten die weißrussischen Machthaber keine groß angelegten marktwirtschaftlichen Reformen, da sie die Destabilisierung ihrer Herrschaft fürchteten.
1994 wurde Lukaschenko in den ersten und letzten freien Präsidentschaftswahlen des Landes zum Präsidenten gewählt. Er hat darauf gesetzt, rivalisierende Imperialismen – die USA, Russland und die Europäische Union – gegeneinander auszuspielen. Für seinen Verbleib im russischen Lager erhielt sein Regime riesige Subventionen zur Stützung der Wirtschaft.
In jüngerer Zeit hat Lukaschenko um Investitionen aus dem Westen und China, beides Konkurrenten Russlands, geworben, und im Gegenzug eine gewisse neoliberale Politik unterstützt. Teil davon war ein „Dekret gegen Sozialparasiten“ – eine Steuer für Arbeitslose –, das große Proteste auslöste und dazu beitrug, die Legitimität des Regimes auszuhöhlen.
Die Hinwendung zum Westen wurde vom russischen Präsidenten Wladimir Putin heftig bekämpft. Er zwang Belarus zu Verhandlungen über eine Staatsunion mit Russland – was Lukaschenko ablehnte.
Die Rivalität zwischen dem Westen und Russland um Belarus hat nichts mit Demokratie versus Diktatur zu tun. Es ist keine Überraschung, dass sich westliche Führer als Unterstützer des Freiheitskampfes ausgeben – mit dem Ziel, einen Konkurrenten zu schwächen.
Die Hoffnung liegt auf den Straßen, nicht beim Imperialismus in Ost und West.
Die Massenaktionen der letzten Woche haben an die Protestwelle erinnert, die in mehreren Teilen der Welt in den ersten Monaten dieses Jahres tobten, bevor Covid-19 zugeschlagen hat.
Der Artikel ist zuerst in der britischen Zeitung Socialist Worker erschienen. Übersetzung aus dem Englischen von Manfred Ecker