Melisa Erkurt: „Generation haram“
In sogenannten „Brennpunktschulen“ in Wien ist der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund hoch, die meisten kommen aus bildungsfernen Elternhäusern. Susanne Wiesingers Kulturkampf im Klassenzimmer ist das negative Gegenstück zu Melisa Erkurts Buch. Sie zeigt mit dem Finger auf muslimische Familien und projiziert reale Probleme wie Ressourcenmängel auf Kinder, die einer diskriminierten Minderheit angehören. Das Buch wurde von allen Medien hochgespielt, die Autorin mit einer Ombudsstelle von Bildungsminister Heinz Faßmann geadelt. Dieser forderte als Reaktion eine „breite Diskussion“ über ein Kopftuchverbot.
Melisa Erkurt nimmt eine andere, mitfühlende Position ein, auch dank ihrer Erfahrungen als Schulkind und Lehrende. Sie flüchtete als kleines Mädchen mit ihrer Mutter aus Bosnien nach Österreich. Ihr widerfuhr das seltene Glück, dass sie an gute Pädagoginnen geraten ist, die sie gestärkt haben. So konnte Erkurt manche Hürden schaffen, die für muslimische Kinder im österreichischen Schulsystem oft unüberwindbar sind. Bereits in der Volkschule wird aussortiert. Jene mit Migrationsbiografie und aus unteren sozialen Schichten schaffen kaum den Bildungsaufstieg. Erkurt beschreibt diese demütigende soziale Selektion und benennt klar islamfeindlichen Rassismus als Ursache.
Die Autorin stellt fest: Schule funktioniert dort, wo die bürgerlichen Kinder sind. Die Lehrerausbildung richtet sich nur auf Kinder aus, deren Eltern daheim helfen können, nicht aber auf multikulturelle Klassen mit Kindern ohne Ressourcen zu Hause. Als Lehrerin wurde auch Melisa Erkurt „nicht ausgebildet um Hülyas und Fatimas und Alis zu unterrichten, sondern nur Lenas und Markus.“ Kinder mit wenig Deutschkenntnissen bleiben in unsinnigen Deutschsonderklassen untereinander und ihre Eltern werden dämonisiert.
Bildung sollte nicht aus dem Bildungssystem in die Familien ausgelagert werden. Die Einführung guter Ganztagsschulen und richtig ausgebildetes Personal sind alternativlos. Trotzdem hängen Zukunftschancen auch von Wohnpolitik ab. Erkurt vermutet, dass ohne echte Durchmischung die Bobo-Eltern ihre Kinder weiterhin an Schulen in guten Bezirken schicken und unter sich bleiben werden. In der Politik und den Medien ist es leichter, über Problemkinder und Parallelgesellschaften zu reden als über Kinder mit Problemen und an den Rand der Gesellschaft Gedrängte. Melisa Erkurts leicht lesbares Buch schafft Gegenöffentlichkeit.