Thriller über die NSU-Morde: „Aus dem Nichts“
Die Opfer der Nazis waren in der Mehrheit türkischstämmige, kurdische und griechische Ladenbesitzer. Alleine der Nagelbomben-Anschlag in Köln vor dem Frisiersalon von Özcan Yildirim forderte 22 zum Teil schwer Verletzte.
Der reale Hintergrund
Auf die rassistisch motivierten, extrem grausamen Morde folgte in Deutschland eine beispiellose Hetzkampagne gegen die traumatisierten Angehörigen der Opfer und die Ermordeten selbst. Denn trotz früher Hinweise auf rechtsextreme Täter versuchten Behörden und Medien die Morde in einen Zusammenhang mit Schutzgelderpressung und Mafia-Verbindungen im „türkischen Milieu“ zu bringen.
Das Leid der Betroffenen wurde durch jahrelange Verdächtigungen und Belästigungen seitens der Polizei vervielfacht. Die Medien bezeichneten die Mordserie als „Döner-Morde“, die Sonderkommission der Polizei nannte sich „Bosporus“. Höchst interessant ist auch die Verwicklung des Verfassungsschutzes in das Geschehen. So war etwa ein Mitarbeiter der hessischen Landesbehörde für Verfassungsschutz mit rechtsradikaler Gesinnung an einem der Tatorte zur Tatzeit (!) anwesend.
Die Wut der Hinterbliebenen
Fatih Akin („Gegen die Wand“) kreiert aus diesen realen Geschehnissen einen Film, der den Emotionen der „Hinterbliebenen“ nachgehen will: der Trauer, der Verzweiflung und der Wut. Doch er fügt ein entscheidendes Element hinzu (das in der Realität nicht stattfand), nämlich Rache. Die stark und gleichzeitig zerbrechlich von Diane Kruger („Inglorious Basterds“) dargestellte Witwe eines türkisch/kurdischen Opfers führt uns durch die Traumatisierung der Angehörigen. Die recht rasch als Täter identifizierten Neonazis werden freigesprochen und die Witwe scheint selbst für Rache oder Gerechtigkeit sorgen zu wollen. Ob sie wirklich bis zum bitteren Ende damit geht, sorgt aber für die Spannung im dritten Akt des Films.
Hohe Schauspielkunst
Diane Kruger ist der Besetzungs-Coup von Regisseur Fatih Akin, eine schauspielerische Trumpfkarte, die auch prompt den Preis für die beste Schauspielerin bei den Filmfestspielen in Cannes erhielt. Eigentlich unglaublich, dass sie bisher keine Angebote aus Deutschland bekommen hat, spielte die Deutsche doch seit 2002 in zahlreichen Hollywood-Großproduktionen. In den farbgewaltigen Bildern von Kameramann Rainer Klausmann, die ihre Gefühle immer widerspiegeln, spielt sie ihre Rolle derart gut, dass von „Schauspiel“ eigentlich nichts mehr zu bemerken ist.
Die Hauptrolle „deutsch“?
Gleichzeitig ist es gerade die von Kruger verkörperte Hauptrolle der Katja, die auch zu kritischen Fragen an den Regisseur geführt haben. Warum muss in einem Drama, in dem es um migrantische Opfer, migrantische Verletzte, migrantische Angehörige geht, eine blonde „Einheimische“ die Protagonistin sein? Eine, die es in den realen Geschehnissen nie gegeben hat? Fatih Akin antwortet frei heraus, dass dadurch die Identifikation für das deutsche Publikum leichter würde. Es wäre aber auch möglich, dass er sich die Gelegenheit, mit jemandem wie Diane Kruger zu arbeiten, einfach nicht entgehen lassen wollte.
Wahrheit und Fiktion
Wie auch immer, darf man sich von Akins Film einen spannenden Thriller erwarten, der einige Details der wahren Ereignisse verarbeitet, aber eben keine analytische Aufarbeitung der Ereignisse (Das versucht übrigens ganz passabel die Doku „6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage“ von Sobo Swobodnik). Fatih Akin geht es um Spannung und Emotionalität.
Was zum Beispiel die Wut über die Verdächtigungen gegenüber den Hinterbliebenen betrifft, korreliert der Film zwar mit der Realität, doch im Allgemeinen erzählt Akin eine Geschichte, die von den NSU-Morden eben inspiriert ist, nicht eine Nacherzählung der wahren Ereignisse. Es handelt sich um so etwas wie den künstlerischen Kommentar des Filmemachers mit Migrationserfahrung zu den Ereignissen rund um die rechten Terroranschläge. Ganz im Gegensatz zur Realität, hat Katjas kurdischer Ehemann im Film eine Vergangenheit als Dealer und ebenso im Gegensatz zur realen Geschichte wird relativ schnell ein Neonazi-Pärchen verhaftet.
Terror von Rechts
Während die einen gerade die Tatsache loben, dass Akins Film nicht versucht, akribisch wie eine Doku zu sein, werfen ihm andere vor, den politischen Gehalt der Geschichte zu verwässern. Vom rein filmischen Standpunkt sind zwar einige Vorhersehbarkeiten in der Story zu kritisieren, ansonsten handelt es sich aber um einen gelungenen Polit-Thriller. Von politischer Seite betrachtet, thematisiert er hervorragend die Gefahr, die von rechtsradikalen Gewalttätern ausgeht, die ja im Gegensatz zu islamistisch motivierten Terrorakten in der medialen Berichterstattung selten längerfristige Spuren hinterlassen.