Ulrike Meinhof

Am 14. Mai 1970, also vor 50 Jahren, wird Andreas Baader nach seiner Inhaftierung unter anderem von der Journalistin Ulrike Meinhof bei einer spektakulären Aktion befreit. Dies gilt als Geburtsstunde der Roten Armee Fraktion (RAF). Zu dem Anlass lohnt es sich, sich mit Meinhofs Leben auseinanderzusetzen. Wieso wandte sich die SDS-Aktivistin von der Massenbewegung ab und ging in den Untergrund?
8. Juni 2020 |

Eigentlich hätte Ulrike Meinhof sich ihr Leben einfacher machen können. Manfred Kappluck, später wichtiger Funktionär der neu gegründeten DKP, meinte über sie: „Die hat eine große politische Karriere vor sich. Eine ganz große Karriere.“ Die Fotografin Inge Feltrinelli erinnerte sich: „Sie war eine große Utopistin und hatte einen glänzenden Verstand. […] Hätte Augstein (Gründer von Der Spiegel, Anm.) ihr damals eine Kolumne im Spiegel gegeben, dann wäre sie statt Terroristin vielleicht die deutsche Simone de Beauvoir geworden.“

Die 1934 in Oldenburg geborene Meinhof schreibt bereits als Schülerin gerne und brennt für gesellschaftliche Themen. Auf der Universität Münster engagiert sie sich im Anti-Atomtod-Ausschuss als Sprecherin, tritt dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und dem Allgemeinen Studentenausschuss (AStA) bei. Sie verfasst für Studierendenzeitungen Artikel zur Atomwaffenfrage und organisiert Protestaktionen. 1959 beginnt ihre Arbeit für die Zeitschrift konkret, deren Chefredakteurin sie später wird. Schnell ist sie eine laute Stimme der Linken. Mit zwei Kindern und verheiratet mit Klaus Rainer Röhl, dem Herausgeber der konkret, ist sie eigentlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Doch Mitte der 60er Jahre ändert sich die Stimmung heftig. Immer mehr Studierende tragen ihren Protest auf die Straße, der Staat reagiert mit Gewalt. Die Presse hetzt gegen die Demonstrierenden. Nach der Erschießung Benno Ohnesorgs und dem Attentat auf das Gesicht der Studentenbewegung, Rudi Dutschke, wird auch Meinhofs Ton rauer: „Protest ist, wenn ich sage, das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das, was mir nicht passt, nicht länger geschieht“. 1968 steht nicht nur für den Höhepunkt der Proteste, sondern ist auch das Jahr, in dem die Journalistin Meinhof Andreas Baader und Gudrun Ensslin kennenlernt. Die drei werden später die Köpfe der Ersten Generation der RAF

Untergrund

Mai 1970: Noch wissen die Angestellten des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen nicht, was auf sie zukommt. Baader, zu dem Zeitpunkt inhaftiert, wird für ein vermeintliches Buchprojekt Ausgang ins Institut gewährt. Dahinter steckt der Plan, ihn zu befreien. Meinhof, Ensslin und weitere Kompliz_innen schaffen es mit Gewalt, Baader erfolgreich rauszuholen und zu fliehen. Dies war die Geburtsstunde der RAF. Meinhof setzt sich mit der Gruppe nach Jordanien ab, wo sie von palästinensischen Guerillas für den bewaffneten Kampf ausgebildet werden. Ins Visier genommen werden unter anderem der Springer-Verlag und das US-Hauptquartier. Der deutsche Staat reagiert mit Repression und Gewalt.

Um RAF-Mitglieder aufzuspüren, entwickelt das BKA die Rasterfahndung, bei der Computer private und öffentliche Datenbanken nach bestimmten Merkmalen absuchen. Ein Verfahren, das zu Recht von Datenschützern aus Sorge um einen Überwachungsstaat kritisiert wurde. Im Juni 1972 wird Meinhof verhaftet und zwei Jahre später zu einer achtjährigen Freiheitsstrafe für die Beteiligung an der Baader-Befreiung verurteilt. 1975 wird sie im Stammheim-Prozess wegen vierfachen Mordes und vielfachen Mordversuches angeklagt. Ein Beamter der JVA Stuttgart findet sie im Mai 1976 tot in ihrer Zelle. Sie soll sich erhängt haben.

Abwendung vom Klassenkampf

Ein Problem, das für die RAF symptomatisch ist, ist ihre Abwendung vom Klassenkampf als Mittel, um die herrschenden Verhältnisse zu stürzen, da es in den 1970er-Jahren nicht zu dem erwünschten Erstarken proletarischer Kämpfe kam. In einem Spiegel-Interview von 1975 erklären die in Stammheim inhaftierten Mitglieder: „Es ist nichts da, woran wir anknüpfen, worauf wir uns historisch stützen, was wir organisatorisch oder im Bewusstsein des Proletariats voraussetzen könnten, nicht einmal demokratische, republikanische Traditionen […]. Eine Demokratie, die nicht erkämpft, dem Volk nur auf gestülpt wurde, hat keine Massenbasis, kann nicht verteidigt werden, wird es nicht.“

Die RAF sah die Arbeiter_innenklasse vollständig in das kapitalistische System integriert. Stattdessen wandten sie sich Heimjugendlichen und prekär Beschäftigten als vermeintlichem revolutionären Subjekt zu. Dabei übersieht man aber die potenzielle Macht der Arbeiter_innen als Klasse durch ihre Stellung im Produktionsprozess. Revolutionäres Bewusstsein entsteht, wenn praktische Kampferfahrungen von den Arbeiter_innen verallgemeinert werden können. Eine revolutionäre Avantgarde hat die Aufgabe, diese theoretischen Kenntnisse zu vermitteln. Doch statt den Klassenkampf ökonomisch, politisch und ideologisch zu führen, konzentrierte sich die RAF nur auf den bewaffneten Kampf, dem „Primat der Praxis“. In „Konzept Stadtguerilla“ wird die Antwort, ob bewaffneter Widerstand richtig ist, davon abhängig gemacht, ob er möglich ist. Und „ob es möglich ist, ist nur praktisch zu ermitteln.“ Doch Gewalt, wenn sie nicht von den kämpfenden Arbeiter_innen selbst als Mittel gewählt wird, kann abstoßend auf die Massen wirken.