Wie Medien nach G20 Politik machen

Hamburg, beziehungsweise die Berichterstattung über die Proteste gegen den G20-Gipfel machen immer noch Schlagzeilen. Um dieses Thema hat sich eine unheilige Allianz zwischen Medien und dem repressiven Staatsapparat entwickelt.
18. Juli 2017 |

Die Polizei hatte in Hamburg einen sehr aktiven Pressedienst, der natürlich gegen die Proteste Stimmung gemacht hat. Aber die Demonstrant_innen und Anrainer_innen haben auch Medienarbeit gemacht. Sie haben viel mehr Bildmaterial produziert als die Polizei und dokumentierten mitten aus den Protesten, aus den Camps, aus Wohnungen und von den Straßen, was sich in Hamburg abgespielt hat. Dieses umfangreiche Material ist eine beeindruckende Gegendarstellung zur offiziellen Schreibweise über die Proteste!

Polizeijargon übernommen

Schon Monate vor den Protesten haben viele Medien den Polizeisprech übernommen: „Bis zu 8000 gewaltbereite Autonome werden in Hamburg erwartet.“ Die direkte Repression begann schon vor dem Gipfel mit Hausdurchsuchungen und Grenzkontrollen, und auch hier wurde kaum thematisiert, wie schlecht sich das mit demokratischen Grundwerten oder der angeblichen Reisefreiheit innerhalb der Europäischen Union verträgt, sondern mit der Bedrohlichkeit der „gewaltbereiten Autonomen“ gerechtfertigt – ganz so, wie die Polizei ihr Vorgehen nach außen kommuniziert hat.

In Hamburg gab es einen rechtlichen Streit um die Errichtung von Protestcamps. Das Verwaltungsgericht Hamburg hatte im Juni ein Verbot von Protestcamps durch die Hamburger Polizei aufgehoben, und der Entscheidung zum Trotz hat die Polizei die Errichtung eines solchen Lagers verhindert und dabei auch Knüppel und Pfefferspray eingesetzt. Zweifellos ein echter Skandal, über den es sich lohnen würde, kritisch zu berichten.

Berichte über Polizeigewalt

Ernsthafte Kritik am Vorgehen der Polizei war anfangs der Protestwoche tatsächlich allgegenwärtig – nur um am Wochenende völlig in Vergessenheit zu geraten. Zahlreiche Reporter_innen haben am Donnerstag beobachtet, wie Polizisten ganz plötzlich die friedlich verlaufende Auftaktkundgebung zu der angemeldeten und genehmigten Demonstration „Welcome to Hell“ angriffen und dabei Menschen verletzten, darunter auch Journalisten, die sich entsprechend zu erkennen gegeben haben.

Wer in Hamburg nicht selbst auf den Straßen war, hat sich die Nachrichten des Norddeutschen Rundfunks angesehen und folgende Meldungen lesen können: „Mehrere NDR-Reporter vor Ort berichten übereinstimmend, dass von den Demonstranten zunächst keine Gewalt ausgegangen sei.“ Auch Frank Schneider von der sonst so Polizei-treuen Bild berichtete: „Polizei geht bei Ausschreitungen der ‚Welcome to Hell‘ auch aggressiv gegen Journalisten vor, völlige Eskalation“ oder „Bayerische Einsatzkräfte drehen am Rande der Schanzen-Räumung komplett durch, greifen Unbeteiligte und Reporter gezielt an!“

Warum unsere Medien so spärlich darüber berichten wenn die Pressefreiheit bedroht ist, 32 Journalisten beim G20-Gipfel nachträglich die Akkreditierung entzogen wird und zahlreiche Journalisten verletzt wurden, das müssen sich die Medienvertreter selbst beantworten.

Verletzte Polizisten?

Sehr präsent waren dagegen die Meldungen über verletzte Polizisten. Viel interessanter für ein gutes Medium wäre allerdings eine Richtigstellung der Meldungen, wie marx21 das grafisch geleistet hat: Von den 479 als verletzt gemeldeten Beamten waren dem bayerischen Innenministerium zufolge 245 Beamte schon in den beiden Wochen vor den Demonstrationen krank oder verletzt gemeldet. Bleiben 234 verletzte Beamte, von denen 130 durch das eigene Tränengas verletzt wurden. Bleiben 103 verletzte Einsatzkräfte, zwei davon gelten offiziell als schwer verletzt, 17 haben sich über mehrere Tage dienstunfähig gemeldet.

95 Prozent der als verletzt gemeldeten Polizeibeamten konnten nach Behandlung vor Ort weiter arbeiten. Über sie schreibt das Innenministerium Brandenburg: „Die Verletzungen ergaben sich durch die Dauer des Einsatzes (u.a. Kreislaufprobleme), nicht nur durch Gewalteinwirkung von außen im Zusammenhang mit den Krawallen.“ Solche Recherche wäre doch mal was für die Zeit im Bild!

Cornern

Im Schanzenviertel, das heute wegen der Aufstände vom Freitag und Samstag bekannt ist, gab es zuvor eine bemerkenswert sympathische Protestform: es wurde massenhaft „gecornert“! Cornern nennt sich in Hamburg, wenn man sich sein Getränk mitbringt oder in einem der vielen kleinen Läden kauft und dann am Randstein oder an Häuserecken zusammensitzt und den Abend genießt. Man will dabei ganz bewusst den öffentlichen Raum ohne Konsumzwang erobern.

Aber auch das „hedonistische Cornern“ wurde von Polizeieinheiten bekämpft, zum Teil wurden die jungen Leute mit Wasserwerfern vertrieben, zum Teil mit Schlagstöcken. Nicht sehr erfolgreich, denn sogar völlig durchnässte Leute gingen wieder cornern nachdem die Polizei weiter gezogen war. Aber es war danach auch allen klar, die Polizei hat nicht vor friedliche Proteste zu gestatten, sie sucht die Eskalation und provoziert wo sie nur kann.

Friedlich war uninteressant

Davon hat man in österreichischen Medien so gut wie nichts gehört, hier beherrschten noch immer die Meldungen der Polizei über zu erwartende gewaltsame Proteste die Berichterstattung. Tags darauf am Mittwoch zog eine riesige Menge – um die 20.000 Menschen – unter dem Motto „Lieber tanz ich, als G20“ durch Hamburg. Der Protest verlief wieder absolut friedlich und die Teilnehmer_innen waren trotz der Erfahrungen beeindruckend selbstbewusst.

Die Veranstalter hatten wie beim Cornern ganz bewusst eine nicht-konfrontative Protestform gewählt, doch sie bekamen nur einen Bruchteil der medialen Aufmerksamkeit, die dem „Schwarzen Block“ vorbehalten war. Vom diesem wurde behauptet, Aktivist_innen hätten Molotowcocktails auf die Polizei geworfen. Das ist unwahr, wie sich inzwischen herausgestellt hat. Was als Molotowcocktail präsentiert wurde, dürfte laut Hamburger Morgenpost bloß ein Böller gewesen sein.

Nie wieder solchen Gipfel

Die Proteste am Freitagabend und Samstag im Schanzenviertel erinnerten an die Aufstände von Paris 2005 und von London 2011. An beiden Tagen haben tausende, vorwiegend jugendliche Demonstranten sich richtige Straßenschlachten mit der Polizei geliefert. Es flogen Steine, es wurden Barrikaden errichtet, Autos angezündet und Straßen verwüstet. Es war ein Aufstand und niemand hatte in Deutschland damit gerechnet.

Im Nachhinein ist es wenig verwunderlich, dass es so weit gekommen ist, aber ganz offensichtlich hat sich Polizeichef Hartmut Dudde mit der Strategie, die er an den Vortagen gefahren ist, komplett verspekuliert. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) war vom Ausgang ihres Abenteuers sichtlich geschockt und sagte gegenüber der Bildzeitung: „In einer deutschen Großstadt wird es nie wieder einen solchen Gipfel geben.“ Die Herrschenden hatten zwar mit Unruhen gerechnet, aber wohl auch damit, dass sie am Ende als Sieger dastehen würden.

Solidarisch bleiben

Jetzt stehen sie als die Verlierer da, und es sie werden ihre ganze Macht dafür einsetzen, das vergessen zu machen und die Schuld den „Randalierern“ zuzuschieben. Nur das waren nicht alleine die Protestierenden aus dem „Schwarzen Block“. Wir alle haben befürchtet, dass die schweren Auseinandersetzungen vom Freitag die Leute davon abhalten würden, zu der Großdemonstration am Samstag zu kommen.

Es kamen trotz der einseitigen Medienberichterstattung zwischen 100.000 und 200.000 Menschen und sie setzten damit ein deutliches Zeichen, dass sie der Verteufelung der gewaltsamen Proteste nicht auf den Leim gegangen sind. 100.000 bis 200.000, das wäre die wichtigste Meldung für Massenmedien gewesen, denn dieser Zuspruch spiegelt eine Haltung von Menschen wieder,  mit denen sich das durchschnittliche Publikum identifizieren kann. Die Meldung ist aber untergegangen.

Riot im Schanzenviertel: Woher kommt der Zorn der Jugend?

Riot im Schanzenviertel: Woher kommt der Zorn der Jugend?

Es ist für die Linke auch weiterhin überlebenswichtig der Propaganda der Herrschenden standzuhalten und sich mit den Protesten von Hamburg zu solidarisieren. Würden wir dem Gebot der Distanzierung vom „Schwarzen Block“ Folge leisten, und uns mit dem Staat solidarisieren, dann würde das die gesamte Linke schwächen und einen Teil von uns isolieren. Bleiben wir solidarisch, das ist unsere stärkste Waffe!

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.