20.000 forderten auf Online-Demo: „Asyl und Gesundheit sind Menschenrechte!“
Die jährliche Demo am UN-Tag gegen Rassismus ist mittlerweile ein Pflichttermin für die antirassistische Bewegung geworden. Sie ist ein Kind der Solidaritäts-Welle von 2015, auf deren Höhepunkt alleine in Wien über 1,1 Millionen Menschen in der Flüchtlingshilfe involviert waren.
Um an diese großartige Bewegung von unten zu erinnern und um das Feuer neu zu entfachen, gehen wir Jahr für Jahr an diesem Datum stolz auf die Straße. Um Solidarität mit Flüchtlingen und den Opfern von rassistischer Gewalt sichtbar zu machen und um ihren Stimmen eine Plattform zu geben. Um Abschiebungen und rassistische Gesetze anzuprangern und um unseren Herrschenden zu zeigen: Eine andere Gesellschaft ist möglich. Und wir wissen, wie es geht!
Dieses Jahr stand ganz im Zeichen der Corona-Krise. Zum einen deshalb, weil die Großdemo aufgrund der Pandemie-Maßnahmen der Regierung nicht auf der Straße stattfinden konnte, sondern in Form eines Online-Streams abgehalten werden musste. Vor allem aber deswegen, weil Antirassist_innen mit Sorge feststellen müssen, dass die herrschenden Politiker in Europa, allen voran die österreichische Regierung, kein Interesse daran zeigen, die Gesundheit von jenen zu schützen, die unseren Schutz jetzt am dringendsten brauchen.
„Evakuiert die Lager!“ #WirHabenPlatz
Eine der ganz zentralen Forderungen des Online-Protests war die sofortige Schließung der griechischen Elendslager und aller anderen Lager an den europäischen Grenzen, wo flüchtende Menschen unter unmenschlichsten Bedingungen ihr Leben fristen müssen. Diese Menschen müssen sofort in Sicherheit gebracht werden!
„Angesichts der Ausbreitung des Corona-Virus ist die Situation auf den griechischen Inseln eine tickende Zeitbombe“, sagte Judith von der Seebrücke Wien in ihrem Redebeitrag. Sie erzählte, dass 20.000 Menschen im Camp Moria eingepfercht sind. 17.000 mehr als die zu zur Verfügung stehenden Kapazitäten. 8.000 davon sind Kinder. „Es mangelt an sauberem Wasser, Essen, Strom, sanitären Anlagen, ausreichend Lebensmittel, an allem.“ 20.000 Menschen müssten sich „acht Krankenschwestern, drei Ärzte, zwei Hebammen“ teilen.
Ronny Kokert vom Projekt Shinergy Freedom Fighters konnte sich selbst ein Bild im Camp Moria machen. Er beschrieb in seinem Beitrag den Anblick, der sich ihm geboten hat: „Bilder von einem Ort wo 20.000 Menschen unter unvorstellbaren Zuständen leben. Wo die Menschen frieren, hungern, ohne jede notdürftige medizinische Versorgung in notdürftigen Unterkünften, im Regen in der Kälte. Menschen die leiden, Menschen die sterben, mitten in Europa.“
„Einen Ausbruch von COVID-19 in den Lagern möchte sich niemand vorstellen. Bevor es dazu kommt, müssen die Lager evakuiert werden!“, sagte auch Faika El-Nagashi, Nationalratsabgeordnete der Grünen. „Wir sprechen viel über Solidarität dieser Tage und viel darüber, Menschenleben zu schützen“, und dennoch müssten seit Monaten „Menschen in den Flüchtlingscamps unter den widrigsten Bedingungen“ überleben: „Seit Monaten machen NGOs darauf aufmerksam und seit Monaten fordern wir immer wieder, dass diese unmenschlichen Camps aufgelöst werden und die dort lebenden Geflüchteten in der EU aufgeteilt werden.“
Auf den Punkt brachte es auch Brigitte Holzinger von SOS Balkanroute, die gemeinsam mit dem Rapper Kid Pex Hilfsgüter in die Lager an der bosnisch-kroatischen Grenze gebracht hat: „Es ist jetzt nicht einmal mehr eine Bitte, es ist wirklich eine Forderung: Holt die Leute so schnell wie möglich dort raus!“ Geschockt berichtete sie von den Zuständen: „Auch diese Menschen haben Angst. Sie haben auch Angst vor Corona. Ihnen ist die Situation sehr wohl bewusst, nur sie haben keine Möglichkeit sich irgendwo in Quarantäne zu begeben. Diese Menschen brauchen dringend angemessenen Schutz, Essen und angemessene hygienische Bedingungen.“
Auch Mireille Ngosso, Ärztin und stellvertretende Bezirksvorsteherin Wien-Innere Stadt (SPÖ), ist empört über diese humanitäre Katastrophe. Besonders schockiert habe sie die Nachricht von Ärzte ohne Grenzen: „Dass immer mehr Kinder in den Flüchtlingslagern versuchen, sich das Leben zu nehmen. Ärzte ohne Grenzen und wir fordern eine sofortige Evakuierung von den geflüchteten Menschen in den Lagern!“ Sie forderte: „Wir müssen auch in diesen Zeiten unsere Kräfte sammeln und die einzelnen Staaten, besonders Österreich, dazu bringen endlich zu handeln und das Sterben in all diesen Lagern nicht länger zu dulden.“
Solidarität kennt keine Grenzen! #LeaveNoOneBehind
„Es scheint so, als würde die ganze Welt näher zusammenrücken in Zeiten der Corona-Krise“, meinte Raoul Kopacka von #aufstehn. „Trotz der räumlichen Distanz schauen wir auf uns und unsere Nachbar_innen. Wir checken regelmäßig, wie es unseren Familien und Bekannten geht und wir würdigen die harte Arbeit von denen, die es überhaupt möglich machen, dass wir zuhause bleiben können, also die harte Arbeit der Supermarktverkäufer_in oder Ärztin. Doch dieses neue Gefühl des Zusammenhalts darf nicht an den nationalen Grenzen enden.“
Damit hat er völlig Recht. Gerade in Zeiten von Corona müssen wir uns darauf besinnen, dass echte Solidarität nicht unterscheidet zwischen Menschen, egal wo sie herkommen oder woran sie glauben.
Zehra von der Dokustelle Islamfeindlichkeit & antimuslimischer Rassismus stellte klar: „Wir haben Christchurch am 15. März 2019 nicht vergessen. Wir haben Hanau am 19. Februar nicht vergessen. Liebe Politikerinnen und liebe Politiker, liebe Medien: Es ist auch eure Verantwortung, das Problem beim Namen zu nennen. Antimuslimischer Rassismus existiert und wird weiterhin existieren, wenn Sie nicht aufhören diese Feindbilder zu schaffen. Sie sind mitverantwortlich für den Hass den Menschen Tag für Tag mit sich tragen und wir Muslime und Musliminnen das dann spüren und auf Grund dessen dann bedroht werden.“
Auch Herbert Langthaler von der Asylkoordination Österreich rief dazu auf, besonders jetzt Rassismus vehement entgegenzutreten: „Antirassismus in Zeiten des Virus bedeutet, keine Gruppe darf vergessen werden. Wir müssen strukturellen Rassismus, der Menschen zu anderen macht, überwinden. Nur wenn alle erreicht, wenn alle beschützt werden, können wir gemeinsam überleben.“
Christoph Riedl von der Diakonie Österreich kämpft gegen die geplante Abschaffung der unabhängigen Rechtsberatung für Asylwerber in Österreich: „Ab 1. Jänner 2021 wird Österreich das einzige Land in Europa sein, in dem die Rechtsvertretung im Asylverfahren durch den Staat erfolgt. Die Rechtsberaterinnen und Rechtsberater werden dann in einer Bundesagentur beschäftigt sein, in dem das Innenministerium das Sagen hat. Die schutzsuchenden Menschen werden damit ihres Menschenrechtes auf ein faires Verfahren beraubt und aufgrund von Entscheidungen, die nicht mehr korrigierbar sind, in Länder abgeschoben, wo Verfolgung oder Tod auf sie warten.“
Millionen von Menschen sind weltweit auf der Flucht. Vor Krieg, vor Verelendung und mittlerweile auch immer öfter aufgrund der Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels. Der langjährige Gewerkschafter Axel Magnus von den SozialdemokratInnen und GewerkschafterInnen gegen Notstandspolitik kritisierte die Spaltung in vermeintlich „gute und schlechte Flüchtlinge“: „Warum soll ein Mensch nicht fliehen, weil seine Lebensgrundlage durch Überschwemmungen oder Austrocknungen der Felder vernichtet wurde? All das ist die Folge des gleichen Systems. Unseres Systems. Dieses System hat einen Namen: Kapitalismus. Wenn wir nicht gegen dieses System kämpfen, wird Rassismus auf Dauer bestehen bleiben.“
Susanne Scholl von den Omas gegen Rechts verdeutlichte die historische Verantwortung, die jeder von uns trägt: „Europa ist verpflichtet diesen Menschen zu helfen und ihnen auch die Hilfe zukommen zu lassen, die wir jetzt für uns selbst in Anspruch nehmen. Es ist noch gar nicht so lange her, da mussten viele viele tausend Europäer um ihr Leben rennen. Meine Generation ist aufgewachsen mit dem Versprechen, dass es das nie wieder geben wird. Und jetzt sehen wir, wie es wieder passiert. Wie Menschen wieder entmenschlicht werden, damit wir uns nicht um sie kümmern müssen.“
Wir haben aber die Ressourcen, um diesen Menschen zu helfen! #WirhabenPlatz! Zum Beispiel auch in Tirol: Innsbruck hat bereits angekündigt, 200 Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. Zeliha Arslan, Gemeinderätin für die Grünen in Innsbruck, warnte ebenfalls vor Geschichtsvergessenheit: „Auch die Geschichte hat uns gelehrt, welche Folgen und Dimensionen es annehmen kann, wenn schutzsuchenden Menschen nicht geholfen wird. Das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht und damit nicht verhandelbar!“
Sophie von der Seenotrettung Sea-Eye gab sich kämpferisch: „Wir werden uns genauso wenig wie ihr unterkriegen lassen. Und auch in schwierigen Zeiten kann man nicht die Menschenrechte und die (Seenot-)Rettungsdienste ausschalten, weil es einem so in den Kram passt.“ Sie riet: „Schließt euch zusammen. Nur zusammen können wir diese Krise der Menschenrechte in Europa meistern.“
Ratschläge, die wir uns zu Herzen nehmen werden. Danke an alle Aktivist_innen, die den Online-Protest möglich gemacht haben und an die Tausenden, die sich solidarisch beteiligt haben!
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Um die Stimmung der Online-Demo ein bisschen einzufangen, dokumentieren wir hier einige von euren Kommentaren (Einzelpersonen wurden anonymisiert). Danke fürs mitmachen!
- T.B.: Danke an alle Helfenden, Unterstützer, danke für eure Menschlichkeit, euren Einsatz, eure Kraft und Beharrlichkeit. #wirhabenplatz
- C.L.: vielen Dank!! leave no one behind!
- G.H.: Bin in Solidarität dabei: Stärkung der Demokratie anstatt Abbau der Menschenrechte. Kein Mensch ist illegal – nirgends! Für sofortige Evakuierung der Flüchtlingslager – Platz gibt es genug, u.a. genügend leerstehendes Betongold – auch in Wien!
- N.L.: Wessen Gesundheit zählt? Jeder Mensch zählt!!! Aber manche brauchen grad dringend Hilfe!! #WirHabenPlatz #LeaveNoOneBehind
- B.S.: Egal ob wir drausen wären oder auch jetzt zu hause sind wer die solidaritet will und möchte und gegen rassismus dar steht kämpfen wir miteinander für die demokratie für die freiheit für die menschen die hilfe brauchen hoch die internationale solidarität
- A.P.: Die Einsamkeit daheim fand plötzlich eine grandiose wichtige beeindruckende Ablöse. Danke fürs organisieren.
- K.F.: Susanne Scholl: „Meine Generation ist mit dem Versprechen aufgewachsen, dass es das nie wieder geben wird“ Danke, an die, die versuchen das Versprechen einzuhalten ! <3
- S.K.: Solidarität mit ALLEN Menschen!
- R.I.: Inspite of this situation, we found an opportunity to unite!!!
- Europeans for Humanity: Danke für diese tolle Demo! Solidarität aus ganz Europa. ?✊ #EuropeansforHumanity #LeaveNoOneBehind #WirhabenPlatz #SaveThem
- Rote Falken Österreich: Danke, danke, danke für diese tolle Aktion <3 #WirHabenPlatz #LeaveNoOneBehind
Den Livestream und die einzelnen Redebeiträge könnt ihr hier nachschauen.