Paterson: Ein Film über die Poesie des Alltags

Mit „Paterson“ hat Jim Jarmusch wieder einmal einen Film wie ein raues Gedicht geschaffen – ein Gedicht, das aber in einem Arbeiterviertel spielt und das, mit viel Humor, davon erzählt, wie nichts passiert.
22. Dezember 2016 |

Ohne Gags und Pointen, dafür aber mit einer hinreißenden Situationskomik begleitet der Film den Busfahrer Paterson (Adam Driver) in der Kleinstadt Paterson in New Jersey. („Paterson“ nennt sich auch eine Gedichtsammlung von William Carlos Williams.) Das Ungewöhnliche: Der Buschauffeur schreibt Gedichte, eine Poesie der Arbeiter_innenklasse könnte man etwas pathetisch sagen. Sein Leben folgt einer Routine, ist selbst eingeteilt wie ein Gedicht.

Jim Jarmusch (Regie und Drehbuch) meinte in einem Interview: „Ich liebe Poeten, weil ich noch nie einen Poeten kennengelernt habe, der das nur für Geld machen würde.“ In seinen früheren Filmen „Dawn by Law“ (1986) diskutieren die Darsteller über den Dichter Robert Frost (1895–1938), „The Limits of Control“ (2009) beginnt sogar mit einem Zitat des französischen Lyrikers Arthur Rimbaud (1854-1891).

Gedichte eines Arbeiters

Zwischen Job, seiner rastlosen, künstlerisch begabten Frau (Golshifteh Farahani) und der stoischen Bulldogge Marvin spielt sich das Leben Patersons in Paterson ab. Eine von vielen versteckten Anspielungen ist wohl auch der Name des Hundes „Marvin“, hat doch Jarmusch, der immer wieder auf seine Ähnlichkeit mit der versoffenen Western-Legende Lee Marvin hingewiesen wurde, den Club „Söhne von Lee Marvin“ gegründet. Weitere Mitglieder sind Nick Cave und Tom Waits.

Wie ein Gedicht steht „Paterson“ einfach für sich selbst, versucht nie dem Publikum eine Botschaft, eine platte Intention aufzudrängen. Doch Schönheit und Identifikation können so entstehen. Als Widerständig könnte man es heutzutage allerdings schon interpretieren, dass überhaupt „normale Leute“ einen Film tragen können. Soweit man Jarmuschs Figuren als „normal“ bezeichnen kann.

Aufregende Besetzung

Fast schon phlegmatisch legt Adam Driver (es fühlt sich seltsam an, ein Gesicht aus „Star Wars – Das Erwachen der Macht“ in einem Jarmusch-Film zu sehen) seine Rolle an – ganz im Kontrast zu Golshifteh Farahani. Die iranische Ausnahmeschauspielerin mimt eine kreative, lebenslustige Frau, die nicht nur ständig die Wohnung umdekoriert, sondern Paterson auch überreden will, seine Gedichte, die nur in einem kleinen Notizbüchlein stehen, zu veröffentlichen. Paterson ist verunsichert über dieses Vertrauen in ihn.

Jarmusch hatte schon immer schon besonderes Händchen für Schauspieler, Golshifteh Farhani als quirlige Ehefrau des etwas biederen Paterson ist eine überraschende Entscheidung, funktioniert aber perfekt. Farahani, die den Iran 2012 verlassen hat, wurde in ihrer Heimat und international bekannt durch ihre Rolle in „Deracht-e Golabi“ („Der Birnbaum“ 1998), in dem Regisseur Dariush Mehrjui die iranische Bourgeoisie aufs Korn nahm. Vielen ist Farahani sicher noch von ihrer Rolle in „Huhn mit Pflaumen“ (2011) von Mariam Satrapi (Persepolis) in Erinnerung oder von ihrem großartigen Spiel im afghanisch-französischen Kriegsdrama „The Patience Stone“.

Regie „gegen das System“

Jim Jarmusch, der glaubwürdigste Punk unter den Filmemachern, drehte seine Filme immer schon gegen das „System“, gegen das Hollywood-System, gegen die Welle von Filmen für Teenager a lá ET und Star Wars, gegen die Entmündigung der Regisseure durch die Produktionsfirmen.

Regisseur Jim Jarmusch. Foto: Michael Schilling (Wikimedia Commons) / CC BY-SA 3.0

„Ich würde eher einen Film machen über einen Mann, der seinen Hund ausführt, als einen über den Kaiser von China.“ Konsequent verweigert sich Jarmusch den angeblich ehernen Gesetzen der Filmwirtschaft. So besetzt er seine Rollen immer mit Freunden und Freundinnen, wählt immer aus einem bestimmten Pool, in dem sich etwa Tilda Swinton, John Lurie, Tom Waits, Roberto Benigni oder Iggy Pop tummeln. Jarmusch schreibt nicht zuerst den Plot und überlegt dann, mit welchen Darsteller_innen er die Rollen besetzt, sondern baut seine Geschichten rund um die Schauspieler_innen.

Punk-Jazz-HipHop

Seinen Durchbruch hatte Jarmusch, nachdem ein deutscher Produzent seinen Kurzfilm „The New World“, den er mit geschenktem Celluloid von Wim Wenders und 7.000 Dollar gedreht hatte, entdeckte und ihm die Finanzierung einer Langfassung anbot. Es entstand „Stranger than Paradise“ (1984) und Jarmuschs Art, das Absurde im Alltäglichen zu finden, ging in die Filmgeschichte ein.

Auch in „Paterson“ muss man manchmal auf, im Hintergrund gesprochene Dinge achten. Weit über den Kreis der Fans des Independent-Films wurde Jamusch bekannt mit „Down by Law“. Der Jazzmusiker John Lurie und Sänger Tom Waits spielen in dieser schwarz-weiß-Komödie einen Zuhälter und einen DJ, die unschuldig in einer Zelle landen und dort auf den Falschspieler Roberto (Roberto Benigni) treffen, der sie gnadenlos niederredet, bis das Trio ausbricht. Nicht umsonst begründete dieser Film den Ruhm von Jarmusch. Lurie und Waits waren auch für den großartigen Soundtrack zuständig.

I, Daniel Blake

I, Daniel Blake

Musik spielt in Jarmuschs Filmen immer eine Hauptrolle. In „Ghost Dog“ (1999) ließ er RZA vom Wu Tang Clan die Musik besorgen und ihn auch gleich eine Rolle spielen. Darke Hip-Hop-Beats für eine Story, in der Forest Whitaker einen sympathischen Auftragskiller spielt und in der die Realität märchenhaft wird ohne unrealistisch zu werden – Jarmuschs Stärke – wie auch in „Paterson“. Kritiker haben geschrieben, „Paterson“ sei eine Liebeserklärung an das Leben, an die Liebe, an das Sein überhaupt. Es ist aber auch eine Liebeserklärung an das Skurrile im Normalen, das Spannende im Langweiligen, das Poetische, dort wo man es nicht erwartet – im Leben der „normalen“ Leute.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.