Asyl in Not: „Wir werden die Notstandsgesetze zu Fall bringen“

Die österreichische Regierung hat sich an die Spitze der Flüchtlingsgegner in Europa gestellt. Neue Linkswende hat mit dem Menschenrechtsaktivisten und Obmann von Asyl in Not, Michael Genner, über die Zahlentrickserei der Regierung bei den Asylanträgen, verstärkte Abschiebungen und die Notstands-Schnellverfahren gesprochen.
7. Juni 2016 |

Neue Linkswende: Laut Innenminister Wolfgang Sobotka sei bereits die Hälfte der „Obergrenze“ erreicht, es seien 2016 bis dato schon 18.950 Asylanträge eingetroffen (Stichtag 29. Mai). Jetzt könnten noch einmal 6.200 Dublin-Fälle dazukommen, die nach einem halben Jahr in Österreich behandelt werden müssen. Wie geht das?

Michael Genner: Bisher wurden im Jahr 2016 aber erst 12.260 gültige Anträge auf Asyl gestellt. Das Innenministerium hat 6.689 Anträge aus dem Vorjahr mit einberechnet, die erst dieses Jahr zum Verfahren zugelassen werden. Dazu können weitere 6.200 Dublin-Fälle kommen, also Anträge von Flüchtlingen, die Österreich nach der Dublin-Verordnung abschieben wollte, aber wahrscheinlich nicht kann.

Die „Dublin-Verordnung“ verlangt, dass jenes Land für die Registrierung und die Verfahren zu ständig ist, wo ein Flüchtling zum ersten Mal europäischen Boden betritt.

Es gibt verschiedene Fristen im Rahmen der Dublin-Verordnung. Wenn ein Staat zugesagt hat, einen Asylwerber zurückzunehmen, dann beginnt vom Datum der Zustimmungserklärung eine Frist von sechs Monaten zu laufen. Wenn die Überstellung in dieser Zeit nicht durchgeführt wird, dann wird der Staat zuständig, wo sich der Asylwerber jetzt gerade aufhält.

Ein Beispiel: Wir haben den Herrn Müller aus Syrien, der durch Ungarn durchgereist ist. Österreich fragt bei Ungarn an, ob sie ihn zurücknehmen. Ungarn antwortet mit Ja. Ab diesem Datum laufen die sechs Monate. Wenn es Österreich es nicht schafft, ihn in dieser Frist zurückzuschieben, etwa weil das Verfahren hier zu lange dauert, dann ist Österreich zuständig. Die Zustimmungserklärung alleine reicht nämlich noch nicht für eine Abschiebung aus – zuerst muss ein Interview gemacht und ein Bescheid erlassen werden, gegen den wiederum eine Beschwerde eingebracht werden kann; Stellungnahmen können abgegeben werden, ärztliche Gutachten, Länderberichte zu Ungarn, und so weiter.

Bei allen, die im vergangenen Herbst nicht nach Deutschland weitergezogen, sondern in Österreich registriert worden sind, wurden Dublin-Verfahren eröffnet. Wir haben in einer Reihe von Fällen durch gut recherchierte Stellungnahmen über die Missstände in Ungarn in Verbindung mit den persönlichen Bindungen an Familienangehörige in Österreich erreicht, dass sie immer noch da sind .

Die Frist von sechs Monaten gilt übrigens nur dann, wenn der Asylwerber nicht untergetaucht ist und wenn keine aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde. Im letzten Fall würde die Frist neu zu laufen beginnen.

In diesem Zahlenhickhack rechnet das Innenministerium auch knapp 3.800 Menschen heraus, bei denen noch Altersfeststellungen gemacht werden bzw. die bereits in andere Länder überstellt werden könnten. Was ist damit gemeint?

Insbesondere bei minderjährigen Afghanen werden Altersfeststellungen mittels Handwurzelröntgen gemacht, um beweisen zu können, dass sie schon über 18 Jahre alt sind. Wenn sie minderjährig sind, ist Österreich zuständig.

Das andere sind Menschen, die man bereits abschieben könnte, sie aber nicht erwischt. Die andere wichtige Dublin-Frist ist 18 Monate. Angenommen, jemand hat einen negativen Bescheid bekommen, aber taucht unter, dann beginnt diese Frist zu laufen und danach wäre Österreich zuständig.

Jetzt will die Regierung offenbar alles tun, um die Obergrenze nicht zu erreichen. Heuer wurden bereits bis Mitte Mai 2.785 Abschiebungen durchgeführt (eine Steigerung von 30 Prozent zum Vorjahr). Sobotka fordert, dass jetzt sofort 4.400 Menschen nach Ungarn und 4.800 nach Griechenland „rückgeführt“ werden.

Das wäre absoluter Amtsmissbrauch. Nach Judikatur der Höchstgerichte sind Griechenland und Ungarn nicht sicher. Wir konnten einige Fälle gewinnen, weil wir das Verfahren in die Länge ziehen konnten, aber in anderen Fällen hat das Bundesverwaltungsgericht ganz klar entschieden, dass Ungarn nicht sicher ist und man nicht dahin abschieben darf.

Aber der ungarische Justizminister hat unserem Innenminister doch beglaubigt, dass Ungarn ein sicheres Drittland ist…

Ja! (lacht.) Beim nächsten Mal wird Herr Sobotka dann den Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi befragen, der im versichert, dass der „Islamische Staat“ eine lupenreine Demokratie ist und niemanden verfolgt…

Spürt ihr diese härtere Gangart bei den Abschiebungen?

Zurzeit noch nicht. Wir haben einige Verfahren anhängig. Wenn ein Verfahren rechtskräftig negativ ausgeht oder wenn die aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt wird, informieren wir unsere Klienten ganz objektiv über die rechtliche Lage – dass sie jetzt nur mehr dableiben können, wenn sie 18 Monate untergetaucht sind oder wenn sie sich dazu entschließen, die Europäische Union (EU) zu verlassen, drei Monate in einem Nicht-EU-Staat auszuharren und dann wiederzukommen.

Unter Verweis auf „vermehrte Übergriffe“ durch Asylwerber und Asylberechtigte will Sobotka durchsetzen, dass Menschen bereits nach einer erstinstanzlichen Verurteilung bis zur rechtskräftigen Entscheidung in Schubhaft genommen werden können. Was bedeutet das?

In Schubhaft darf man jemanden nur nehmen, wenn er abgeschoben werden kann. Ein Aufenthaltsverbot muss durch ein besonders schweres Delikt begründet werden. Ein Ladendiebstahl genügt da normalerweise nicht. Wohl aber, wenn jemand illegal da ist, dann kann man ihn auch ohne Delikt abschieben.

Was würden die Schnellverfahren bedeuten, wenn die Regierung den Notstand verordnet?

Damit haben wir noch keine Erfahrungswerte. Aber angenommen im November wäre diese Höchstgrenze von 37.500 erreicht, dann wäre die Regierung ermächtigt, einen Notstand zu verordnen. Dann würden sie die Menschen – sofern sie sie erwischen – schon an der Grenze aufgreifen, kurzfristig inhaftieren zurückweisen nach Ungarn, Slowenien und Italien.

In Ungarn besteht die Gefahr, dass sie dann sofort verhaftet werden. In so einem Fall würden wir versuchen, mithilfe ungarischer NGOs Vollmachten zu erhalten und gegen diese, unseres Erachtens rechtswidrige, verfahrensfreie Zurückweisung Beschwerden an das jeweilige Landesverwaltungsgericht einbringen. Wenn diese negativ ausgehen, könnten wir über Anwälte an den Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof weitergehen, um dieses Gesetz zu Fall zu bringen.

Das erinnert an die Zeit Anfang 2006, als das „Prokop-Gesetz“ (benannt nach der damaligen Innenministerin Liese Prokop, Anm.) in Kraft getreten ist, das damals die Schubhaft am Beginn des Verfahrens zuwege gebracht hat (Haft ohne Urteil). Auch damals haben wir flächendeckende Beschwerden an die Verwaltungssenate gemacht, die wir zuerst alle verloren haben, aber in der nächsten Instanz am Verwaltungsgerichtshof gewonnen haben.

Anderthalb Jahre nach Inkrafttreten wurde dann festgestellt, dass das Gesetz rechtswidrig ist. Ähnlich wird es, so hoffe ich, auch dieses Mal ausgehen, aber auch wieder nach so einer langen Zeit.

Aber bis dahin, könnten die Herrschenden ihr politisches Ziel erreicht haben, nämlich mit diesen rechtswidrigen Maßnahmen die Asylanträge in Österreich zu stoppen.

Innenminister Sobotka geht jetzt noch weiter, wenn er meint, er wolle den Notstand schon vorher verhängen, um gar nicht erst die Obergrenze zu erreichen…

Beeindruckendes Zeichen der Solidarität nach Brandanschlag in Altenfelden

Beeindruckendes Zeichen der Solidarität nach Brandanschlag in Altenfelden

Das entspricht nicht einmal den ohnehin krassen bisherigen Beschlüssen der Regierung. Man merkt, wie sie sich darüber ärgern, dass sie die Präsidentschaftswahl verloren haben. Sie schäumen, daraus resultieren dann Brandanschläge wie auf das Asylheim in Altenfelden, aber es entstehen auch völlig kuriose und abstruse Wortmeldungen einzelner ÖVP-Politiker.

Das Interview führte David Albrich.
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.