Austreten oder Nicht-Austreten, das ist heut die Frage
Wagen wir eine realistische Prophezeiung: Die SPÖ wird sich in den kommenden Monaten und Jahren weiter nach rechts bewegen. Für die Partei wird es weiter bergab gehen. Rot-Blau im Burgenland bedeutet nichts Geringeres als eine Annäherung an die FPÖ. Die Parteiführung erteilte sogleich die Freigabe für weitere rot-blaue „Experimente“ in anderen Bundesländern.
Austritt wohin?
Viele gute linke SPÖ-Mitglieder müssen derzeit über die Frage grübeln: Halte ich es noch aus in der Partei? Ist es der richtige Zeitpunkt für einen Austritt? An diese Fragen sollte man sich möglichst politisch annähern, da verständlicherweise sehr starke Emotionen im Spiel sind. Gerade die Linken waren in der SPÖ immer mit besonders viel Engagement und Herzblut bei der Sache beziehungsweise Partei.
Niemand in der SPÖ sollte mehr die Illusion haben, man könne den Kurs der Partei korrigieren oder gar die Mehrheit zurückgewinnen.
Wenn an einen Austritt die Hoffnung geknüpft ist, dass eine spürbare Minderheit der Mitglieder mitkommt und man gemeinsam eine neue Linkspartei gründen kann, dann muss ernsthaft untersucht werden, ob die Zeit dafür reif ist. Um eine Alternative zur SPÖ aufzubauen, dürfen die Verbindungen zur Basis in den Betrieben nicht verloren gehen, das heißt, es müssen genügend Betriebsrät_innen mit austreten und bei der Gründung einer neuen Linkspartei mitmachen.
Die Verwurzelung in der Arbeiter_innenklasse über die Betriebsrät_innen ist die entscheidende Qualität einer jeden Arbeiter_innenpartei.
Eine aktive Partei
Eine neue Linkspartei muss dem Wunsch der Arbeiter_innen nach einem radikalen Kurswechsel in der Politik Rechnung tragen. Sie müsste in erster Linie einen Bruch mit der neoliberalen Politik der letzten Jahrzehnte vollziehen und den Kampf gegen die Sparpolitik aufnehmen – und zwar getragen von den Lohnabhängigen und nicht auf Debatten im Parlament beschränkt.
Eine solche Partei könnte sich die Unterstützung von breiten Schichten der Bevölkerung erarbeiten und den etablierten Parteien wirkliche Konkurrenz machen. Vor allem würde aktiver Kampf den nötigen Schwung in die Arbeiter_innenbewegung bringen, ohne den tiefgreifende Veränderungen – wie einem Sieg über Neoliberalismus – nicht zu erreichen sind.
Andererseits wird ohne eine solche Bewegung auch der Bruch in der SPÖ nicht passieren können, der Voraussetzung für die Gründung einer neuen Linkspartei ist. Eine neue Linkspartei entsteht aller Wahrscheinlichkeit nach nur aus einer dynamischen Bewegung und kann nur in Wechselwirkung mit einer solchen zu einer relevanten Kraft werden.
Lohnsteuerkampagne
Beim Aufmarsch am 1. Mai, der als Gradmesser für den Zustand der Sozialdemokratie gelten darf, zeigte die Partei viel größere Geschlossenheit als die Jahre zuvor. Die Maidemonstration war groß und die Basis deutlich stolz auf ihre Partei. Das war allerdings kurz nach der Steuerreform und einen Monat vor den Wahlen im Burgenland und in der Steiermark.
Linke in der SPÖ müssen sich auf einen kollektiven Austritt und Neubeginn vorbereiten, und zwar ganz bewusst und systematisch.
Die Steuerreform war Teil einer Strategie der SPÖ-Führung, den Kern ihrer eigenen Basis relativ vor den Auswirkungen der Sparpolitik zu schützen und bei der Stange zu halten. Unter den aktuellen und kommenden sozialen Angriffen werden aber vor allem jene leiden, die keine solide bezahlten Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst und in der Industrie haben – zum Beispiel jene in sozialen Berufen, Bildung und Pflege, und natürlich ihre Klientel, das heißt Schüler_innen, Studierende, Pflegebedürftige, Kranke, usw.
Wahl-Fixiertheit…
Die Aushebelung der Bundesparteitagsbeschlüsse, die eindeutig Koalitionen mit der FPÖ auf allen Ebenen ausschließen, hat eine tiefe Kluft zwischen der Parteiführung und den vielen aufrechten linken Sozialdemokrat_innen zutage treten lassen. Aber es ist zu bezweifeln, dass diese Kluft von allen so schmerzhaft wahrgenommen wird, wie von der politisch engagierten linken Minderheit.
Reinhold Entholzer, Vorsitzender der SPÖ in Oberösterreich, traut sich deshalb eine Mitgliederbefragung zu Rot-Blau einzufordern. Er könnte recht behalten und die Partei bekäme einen Freibrief für Koalitionen mit der FPÖ. Schließlich sieht die Mehrheit Politik nur mehr als einen Wettbewerb um Stimmen bei der nächsten Wahl – mit dem Ziel die SPÖ an einer Koalitionsregierung zu beteiligen.
… und Antifaschismus vernachlässigen
Daniela Holzinger hat diese traurige Perspektivenlosigkeit so ausgedrückt: „Ein Ausschluss der Blauen von vornherein wird die FP nur noch mehr stärken, bis diese so stark ist, dass sie sich als Großpartei um einen kleinen Koalitionspartner umschaut“. Dieser Sichtweise könnten viele Mitglieder zustimmen, schließlich wird die Alternative zu politischen Manövern – engagierter Kampf gegen Neoliberalismus – in den Debatten der Sozialdemokratie komplett ignoriert.
Zudem hat die SPÖ nicht gerade viel dazu getan, die eigene Basis gegen die FPÖ zu immunisieren. Sie hat ihre Mitglieder nicht zu antifaschistischen Protesten aufgerufen, geschweige denn in den Betrieben dazu mobilisiert. Sie hat als Kanzlerpartei in allen Justizskandalen der letzten Jahre, als Antifaschismus systematisch kriminalisiert wurde, tatenlos zugesehen. Unter Abwesenheit einer Bewegung könnte den Mitgliedern eine Koalition mit der FPÖ irgendwie verkauft werden.
Keine Illusionen
Es steht zu befürchten, dass bei einem kollektiven Austritt, wie ihn Fiona Kaiser, Vorsitzende der Sozialistischen Jugend in Oberösterreich, in den Raum gestellt hat, derzeit kein allzu großes Kollektiv mit geht. Aber niemand in der SPÖ sollte mehr die Illusion haben, man könne den Kurs der Partei korrigieren oder gar die Mehrheit zurückgewinnen. Die SPÖ ist nicht reformierbar.
In der Vergangenheit dienten linke Plattformen, wie heute das neue Projekt „Kompass“ um den engagierten Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler, als bloßes „Ablassventil“ – die Linken erzählten sich gegenseitig ihren Frust und nach einiger Zeit war die Wut verflogen und die Partei stand weiter rechts.
Austritt vorbereiten
Linke in der SPÖ müssen sich auf einen kollektiven Austritt und Neubeginn vorbereiten, und zwar ganz bewusst und systematisch. Es sollte alles getan werden, um die kritischen Geister innerhalb der Partei bestens zu vernetzen. Die Gründung einer politischen Alternative zur SPÖ muss breit diskutiert werden.
Aber nichts davon wird Früchte tragen, wenn man es unterlässt, an der Basis zu Protesten und Kämpfen zu mobilisieren und dazu natürlich mit der Parteidisziplin zu brechen. Andererseits, wen kümmert noch die Disziplin, nachdem was die Parteispitze entgegen der Parteitagsbeschlüsse gerade aufführt?
Schrecklich wäre ein Szenario ohne Kampf und ohne Bewegung – eine Implosion der SPÖ, wenn die Linken darauf nicht vorbereitet sind. Dann droht die Wiederholung der ungarischen Katastrophe ab 2006, als keine linke Opposition als Alternative zur Sozialdemokratie vorhanden war.