Besuch in Athener Flüchtlingslager: Fatales Ergebnis der Politik Österreichs

David Albrich hat das Flüchtlingslager im Athener Stadtteil Eleonas besucht. Er berichtet von der Verzweiflung der Menschen und sieht die Verantwortung bei der österreichischen Regierung, die im Frühjahr die Schließung der „Balkanroute“ erzwungen hat.
24. Oktober 2016 |

Ich bin noch immer schockiert, zornig, sprachlos. Es ist schwer zu beschreiben, was ich heute in einem der großen Flüchtlingslager in Eleonas in Athen erlebt habe. Rund 1.000 Menschen sind hier auf engstem Raum in Containern zusammengepfercht. Es ist ein Ghetto. Die hygienischen Zustände sind eine Katastrophe. Es soll noch eines der besseren, weil staatlichen Lager sein, erzählt man mir.

Mit Fahnen gut sichtbar und Megafon kommen wir zu den Toren des Camps in Eleonas, im Westen von Athen. Wir begrüßen die Menschen freundlich, winken ihnen zu. Mit dabei sind 30 Genoss_innen von KEERFA, dem großen Bündnis gegen Rassismus und die faschistisch Bedrohung in Griechenland, und Aktivist_innen aus Frankreich, Spanien, Dänemark, den Niederlanden und der Türkei.

Wir kommen zu den Toren. Die ganz Jungen, vielleicht fünf bis zehn Jahre alt, sind die ersten, die verstehen, warum wir hier sind. „Say it loud and say it clear“, rufen wir. „Refugees are welcome here!“ Dahinter ihre Mütter, sie winken zurück. Anfangs noch etwas zurückhaltender, die Männer.

Öffnet die Schulen

Mir wird das Mikro des Megafons in die Hand gedrückt. Ich weiß zuerst gar nicht, was ich sagen soll. Mich für unsere Regierung entschuldigen, dass sie die Grenzen wieder geschlossen hat? Auf schlechtem österreichischen Englisch sage ich schließlich, dass wir in Solidarität gekommen sind und dafür kämpfen, dass die Grenzen wieder geöffnet werden. Dass alle dorthin gehen können, wohin sie wollen.

Die Jüngsten wollen in die Schule gehen. Foto: Arbeitersolidarität
Die Jüngsten wollen in die Schule gehen. Foto: Arbeitersolidarität

„Your English is bad!“, ruft mir ein kleiner Kerl zu, vielleicht zehn Jahre als. Erst jetzt bemerke ich, dass überhaupt nur die Jüngsten verstanden haben, was ich gesagt habe. „Your English is much better than mine!“, sage ich zurück über das Megafon. Ich möchte wissen, was er will, wie wir ihn unterstützen können und reiche ihm das Mikro. Das Eis ist schnell gebrochen. „Open schools!“, fordert er ganz selbstbewusst. Und wir rufen alle gemeinsam: „Open schools!“

In diesem Moment kommen die Menschen auf uns zu, überall entstehen Diskussionen, alle möglichen Anliegen werden geäußert. Die Bewegung hat erst vor wenigen Wochen erkämpft, dass geflüchtete Kinder am Nachmittag in die Schule gehen dürfen. Einige haben morgen Montag Unterricht. Für jene, die noch nicht in die Schule gehen, wird für den nächsten Tag schnell die Registrierung in einer Schule organisiert.

Angst vor Fingerabdrücken

Die meisten hier im Lager kommen aus Afghanistan. Mittels unseres Übersetzers komme ich ins Gespräch mit einem etwa 40-jährigen Afghanen, er stellt mir seine Frau mit ihrem nur wenige Wochen alten Baby vor. Sie wollen eigentlich weiter nach Österreich. Was ich darauf antworten soll? Sie erwarten von mir, dass ich sofort etwas tue. Ich kann nur sagen, wir werden alles daran setzen, unsere Regierung erneut dazu zu zwingen, die Grenzen zu öffnen…

Dann beginnt das Drama erst richtig. Eine im fünften Monat schwangere Frau erzählt uns, dass sie die ganze Zeit über im Lager noch keinen Arzt gesehen hat. Eine etwa 70-jährige Frau bricht in Tränen aus, weil sie seit Monaten hier ausharren muss, wo sie doch Verwandte in Deutschland hat. Von einem vielleicht zehnjährigen Mädchen im Rollstuhl erfahren wir, dass ihr Boot an einer Felsenküste auf Lesbos aufgeprallt ist und seither ihre beiden Beine gelähmt sind. Auch sie hat keinen Arzt gesehen.

Ohne sich offiziell zu registrieren, haben die Menschen im Lager keinen Zugang zu Krankenhäusern und Schulen. Registrieren will sich niemand, weil man gehört hat, dass die Regierungen in Österreich und Deutschland Menschen wieder abschieben, die ihre Fingerabdrücke in Griechenland abgegeben haben. Oder man wird sofort deportiert – in die Türkei oder direkt nach Afghanistan.

Verantwortung

Die Behörden zwingen die Menschen de facto, sich zu registrieren, denn andernfalls hat man Zugang zu nichts. Und wenn das nicht klappt, wird offenbar nachgeholfen: Ein Mann wurde von Polizisten mit Gewalt gezwungen, seine Fingerabdrücke abzugeben. Von der Misshandlung durch die Polizei zeigt er uns die Narben an seinem rechten Schlüsselbein, sie sind noch immer nicht verheilt.

Wer diesen Wahnsinn in Gang gesetzt hat? Die österreichische Regierung, als sie die Schließung der Grenzen erzwungen hat. Ich muss mich in diesem Augenblick an die Pressefotos des Asylgipfels im September in Wien erinnern, auf denen sich die werten Herren um Kanzler Christian Kern für das Dichtmachen der Balkan-Route gegenseitig auf die Schulter geklopft haben.

Schicksal um Schicksal

Und dann sticht inmitten des Geschehens ein lachendes Mädchen hervor. Aber zu lachen ist mir nicht mehr zumute, ich bin nur noch zornig. Wir erfahren, dass sie ihre Eltern verloren hat, sie ist ganz alleine im Camp. Die Schlepper reißen Familien ganz willkürlich vor der Überfahrt über das Meer auseinander. Auf einem Boot haben noch ein paar Kilos Platz? „Keine Sorge, ihr werdet euch gleich wiedersehen!“ Menschen die alles verloren haben, werden wie Vieh behandelt. Dieser Wahnsinn passiert so regelmäßig, ich möchte am liebsten schreien.

Bevor wir gehen, wird ein Komitee mit Vertreter_innen aus dem Lager gebildet, dass sich in den nächsten Tagen wieder trifft – man will den Kindern den Zugang zu den Schulen ermöglichen und medizinische Hilfe organisieren. Der KEERFA-Koordinator und Athener Stadtrat Petros Constantinou hat die Situation unter Kontrolle und tut, was er kann.

So vielfältig ist der Widerstand! #LasstSieBleiben

So vielfältig ist der Widerstand! #LasstSieBleiben

Wir alle tun, was wir können. Und doch können wir noch viel mehr tun. Wir müssen diese Regierung, die für all das verantwortlich ist, zur Rechenschaft ziehen und Widerstand organisieren. Ich erwarte mir von allen Mitstreiter_innen in Österreich, dass sie sich mit aller Kraft in den Aufbau der Proteste am 26. November werfen. Damit wir solche Zustände wie in Griechenland ein für alle Mal beenden.

Großdemonstration #LetThemStay #LasstSieBleiben: 26. November, 14 Uhr Westbahnhof. Mehr Infos: menschliche-asylpolitik.at | Facebook
Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.