Corbyn vs. Kern: Was die Sozialdemokratie (nicht) kann
Der Ausgang der Wahlen in England ist ein Schlag ins Gesicht der konservativen Tories, der Banker und Unternehmer und sogar der neoliberalen New-Labour-Politiker selbst. Corbyns Erfolg ist enorm: May wollte ihre Mehrheit von 17 Sitzen im Parlament deutlich ausbauen und verlor am Ende 12 Sitze. Es gab die höchste Wahlbeteiligung seit 25 Jahren. Und Corbyn erzielte das höchste prozentuale Ergebnis für Labour seit 1974.
Wie falsch lagen „Experten“, die noch am Vortag der Wahl prognostizierten, die Tories würden mit einer deutlichen Mehrheit gewinnen. Sie lagen falsch, weil sie nicht verstanden haben, was sich in der britischen Gesellschaft abspielt: die Wut auf das Establishment. Sie lagen falsch, weil sie glauben, dass die Leute zu dumm wären, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Doch die Menschen haben es satt, nur mehr passive Beobachter der politischen Bühne zu sein, und haben diese Bühne selbst betreten.
Bei der Wahl in Großbritannien ging es um Austerität und Rassismus. Seit Jahrzehnten wird gekürzt und bei den Ärmsten eingespart, während eine kleine Minderheit immer reicher wurde. Berechtigte Wut fand in der Kampagne von Jeremy Corbyn ihren Ausdruck.
Antirassistisches Ergebnis
Nach dem Brexit-Referendum meinten viele, es sei ein rassistisches Votum und Großbritannien gehe nach rechts. Das Wahlergebnis jetzt zeigt, dass dem nicht so ist, sondern verdeutlicht die Widersprüchlichkeit: Ja, es gab Leute, die aus nationalistischen und rassistischen Motiven für den Brexit stimmten. Aber es zeigt auch die tiefe Empörung und Entfremdung von der politischen Elite.
In den Wahlbezirken, in denen Muslime den Ausgang entscheidend beeinflussen können, war der Umschwung zu Labour fünfmal so stark wie im landesweiten Durchschnitt. 8 von 12 Bezirken gingen von den Tories an Labour. Wie war das möglich? Mit konsequentem Antirassismus, statt wie die SPÖ hierzulande Verschleierungsverbote zu beschließen, sprach Corbyn in der Finsbury-Park-Moschee, die 2015 Ziel eines brutalen Brandanschlags war.
Der Blick nach rechts
Dieselben „Experten“, die in England falsch lagen, beraten SPÖ-Chef Christian Kern und haben Bundespräsident Van der Bellen beraten. In der ZIB2 beteuerte Kern: „Wir müssen uns der Realität stellen, dass wir viele Leute an die FPÖ verloren haben.“
Mag stimmen, aber Kern hat tiefes Misstrauen in die Basis und denkt, er könne die FPÖ durch geschickte Manöver an der Spitze austricksen. Deshalb seine Öffnung zur FPÖ und sein Nach-Rechts-Rücken. Doch das Argument, dass Arbeiter_innen zu rassistisch und nicht für sozialistische Ideen mobilisierbar wären, wurde jetzt in Großbritannien widerlegt: Wofür ist Corbyn angetreten? Rückverstaatlichungen bei der Eisenbahn und am Energiemarkt, Reichensteuern, mehr Geld für das Gesundheits- und Bildungssystem und ein Ende der Austerität. Sein Kampagnenslogan war: For the many, not the few (Für die Mehrheit, nicht eine kleine Minderheit).
Zwei Arten Politik zu machen
Hier stehen zwei fundamental verschiedene Politikkonzepte nebeneinander: Corbyns Stärke durch die Bewegung und Kerns elitäre Angst vor der Bewegung.
Corbyn verband seinen Wahlkampf mit den Bewegungen: Die Kampagne um die Finanzierung der Schulen (Eltern, Lehrer, Angestellte in den Schulen) wurde während des Wahlkampfs nicht eingestellt, sondern kombiniert, und eine Umfrage von Survation hat festgestellt, dass 871.000 Menschen während der Kampagne zu Labour gewechselt sind.
Dagegen ist der SPÖ-„Wertekompass“, der als Feigenblatt für eine Koalition mit der FPÖ dienen soll, eine blanke Verhöhnung der eigenen Mitglieder. Die SPÖ beweist gerade, dass Hofer, Strache und Konsorten die Wehrlosigkeit ihrer Kontrahenten richtig eingeschätzt haben. Wir werden laute antifaschistische Proteste brauchen, um die Öffnung hin zur FPÖ zu verhindern. Und genau in dieser Bewegung liegt der Grundstein für Veränderung. Wir – im Gegensatz zu Labour-Rechten oder Kern – vertrauen in die Masse der Menschen und, dass sie ihr Leben in die eigenen Hände nehmen können. Das Potenzial für eine radikal linke Bewegung ist in Österreich nicht viel kleiner als in Großbritannien.