Das Dilemma Regierungsbildung ist eine Chance für die Linke

Die große Aufgabe jeder künftigen Regierung ist aus Sicht des Kapitals, einen radikalen neoliberalen Rechtsruck zustande zu bringen. Sebastian Kurz putschte in der ÖVP weil die Koalition aus SPÖ und ÖVP am Widerstand der österreichischen Gewerkschaften damit gescheitert ist. Die Regierungsbildung nach der Wahl am 15. Oktober wird ein Dilemma offenlegen.
29. Mai 2017 |

So einfach, wie sich Sebastian Kurz seinen Weg ins Bundeskanzleramt vorgestellt hat, wird es nicht werden. Sein Kalkül vor der Machtübernahme in der ÖVP war offenbar folgendes: Kanzler Christian Kern hatte ein Jahr, seine Gewerkschaften zu entmachten. Jetzt brechen wir Neuwahlen vom Zaun und versuchen nach der Wahl mit der FPÖ Arbeitszeitflexibilisierung und noch mehr durchzusetzen.

Knapp vor dem 1. Mai sagte Kurz gegenüber Puls 4: „Wir haben, was Interessensvertretungen betrifft, im Bereich der Gewerkschaften manchmal das Phänomen, dass hier Interessen vertreten werden, die heute gar nicht mehr die Interessen von Arbeitnehmern sind … Da gibt es so manches, was sich ändern sollte.“

Die Rechnung wird so nicht aufgehen. Kurz würde kaum als Vizekanzler in eine blau-schwarze Koalition gehen und Strache auch nicht. Im Moment hat Kurz gute Umfragewerte, aber das muss er erst einmal bei Wahlen umsetzen. Genauso gut kann die Liste Kurz die Wahlen verlieren, dann würde die „Neue ÖVP“-Bewegung schneller auseinanderfallen, als sie zusammen gezimmert wurde. Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde sein glanzloser Vorgänger Reinhold „Django“ Mitterlehner in der ÖVP als Heilsbringer gefeiert, mit dem „alles anders“ werden würde.

Krux für Strache

Am FPÖ-Parteitag Anfang März sagte Strache: „Eine Umsetzung positiver Politik für Österreich ist nur möglich, wenn die FPÖ in Zukunft bestimmende Kraft wird und ganz vorne steht.“ Das hieße eine Regierungsbeteiligung nur, wenn man auf den ersten Platz komme. Zu Beginn des Jahres meinte Strache, man werde die Fehler seines Vorgängers Jörg Haider sicher nicht wiederholen: „Wenn wir stärkste politische Kraft werden, dann ist das ein demokratiepolitischer Anspruch für den Kanzler, für eine Regierungsverantwortung. Und dann sucht sich keine andere Partei den Kanzler und die Minister aus.“

Die FPÖ sollte als eine im Kern faschistische (von deutschnationalen Burschenschaftern geführte) Partei kein Interesse an einer verfrühten Regierungsbeteiligung haben, aber sie stehen gewaltig unter Druck des Kapitals, sich als nützlich zu erweisen. Die Zeitschrift „trend“ hat das neue Wirtschaftsprogramm der FPÖ durchsickern lassen.

Es trägt ganz deutlich die Handschrift der Industriellenvereinigung: Die Einführung einer Erbschafts-, Schenkungs-, Vermögens- oder Maschinensteuer wird strikt abgelehnt. Nicht entnommene Gewinne von Unternehmern sollen von der Steuer befreit werden. Die Mindest-Körperschaftsteuer soll abgeschafft werden – ein Geschenk an Großunternehmer – Red Bull hätte das 60 Millionen Euro Steuern im Jahr 2016 erspart.

Vielleicht sind Strache und seine Mannen doch so blöd Haiders Fußstapfen zu folgen. Die Haider-FPÖ war nach nur zwei Jahren Regierungsbeteiligung erledigt, das Protestpartei-Image zerstört.

Gewerkschaften

Die SPÖ-Führung wiederum scheint zu allem bereit zu sein. Nicht nur zu einer Neuauflage der Großen Koalition, sondern auch zu einer Regierung mit den Freiheitlichen. Der sogenannte „Kriterienkatalog“ soll den Weg dazu ebnen. Aber auch in der SPÖ ist es nicht so einfach, wie es scheint.

Mit der FPÖ in eine Regierung auf Bundesebene zu gehen, könnte die internen Konflikte auf die Spitze treiben und zu einer Parteispaltung und Gründung einer neuen Linkspartei führen, wenn sich die aufrechten Antifaschist_innen innerhalb der Partei rechtzeitig Netzwerke aufbauen.

Die SPÖ ist die einzige Partei, die unter dem Druck der Arbeiter_innenbewegung steht. Die Basis könnte sowohl zu FPÖ als auch zu ÖVP Nein sagen, wenn vom möglichen Koalitionspartner radikaler Sozialabbau zur Bedingung erhoben wird – wonach es im blauen und schwarzen Parteiprogramm aussieht.

Schwierige Koalitionsverhandlungen

2000 verweigerte der ÖGB der SPÖ-Führung die Zustimmung zu den ÖVP-Forderungen Anhebung des Pensionsalter und Einführung von Studiengebühren, die rot-schwarze Koalition war gescheitert. Die SPÖ-Gewerkschafter_innen sind heute wieder so mächtig wie damals und ihre Basis hat sich am 1. Mai ganz deutlich positioniert.

Durchkreuzen wir den rassistischen Wahlkampf!

Durchkreuzen wir den rassistischen Wahlkampf!

Die nächste Regierungsbildung wird immens schwierig und könnte in monatelangen Verhandlungen ausarten. Keiner der Wahlkampfstrategen rechnet wirklich mit dem Faktor der Gewerkschaften. Das Dilemma der Etablierten ist für uns eine echte Chance zum Aufbau von außerparlamentarischer Opposition.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.