Das Eipeldauerlied der Wiener Jakobiner

Das 18. Jahrhundert war in Österreich eine Zeit der revolutionären Gärung. Es brachte die bis dahin radikalsten Demokraten hervor – die österreichischen Jakobiner, die kämpferischen Anhänger der Französischen Revolution.
7. Februar 2017 |

Das „Eipeldauerlied“, geschrieben im derben Wiener Dialekt vom Jakobiner Franz Hebenstreit, war Ausdruck der tiefen Veränderungen des 18. Jahrhunderts und versetzte die absolutistischen Herrscher Österreichs zur Zeit der Französischen Revolution in Angst und Schrecken.

Schon der Name des Liedes zeugt von seinem widerständigen Charakter. Diesen erhielt es von der kleinen Siedlung Eipeldau am Rande Wiens. Die Bewohner_innen wehrten sich seit dem Ende des 17. Jahrhunderts gegen die Zwangsumbenennung ihrer Gemeinde durch den Kaiser in „Leopoldau“ (der neue Name sollte sich erst um 1900 durchsetzen).

Kein Arschpapier

Das Lied rief das niedere Volk zur Revolution und zum Sturz des Monarchen auf und verbreitete sich wie ein Lauffeuer unter den städtischen Armen und bäuerlichen Landbevölkerung. Darin heißt es:

’S is ja das Volk kein Arschpapier
Und darf auf sich wohl denken,
Wer halt nicht lernen will Manier,
Den Lümmel muss man henken.

Die Art und Weise, wie die Menschen ihren Lebensunterhalt bestritten, veränderte sich im 18. Jahrhundert radikal. Neue Ackerbautechniken und die Verwendung von Futterpflanzen revolutionierten die landwirtschaftliche Produktion. Ehemaliges Gemeindeland wurde aufgeteilt und kultiviert – und die damit mittellos gewordenen Bauern wurden gezwungen, in den aufkommenden vorkapitalistischen Manufakturen Arbeit zu suchen. Diese ersten Seiden-, Glas- und Textilmanufakturen standen unter dem Schutz der Obrigkeiten und beuteten schonungslos Frauen, Kinder und Jugendliche aus. Die Bevölkerung wuchs rasant.

Enk, das heißt enk, die er nicht kennt,
Enk Trager, Schiffleut, Hauer,
Den, der’s Holz hackt, der d’ Kohlen brennt,
Den Hanswerksg’selln, den Bauer.

Die Veränderungen an der Basis wurden begleitet und begünstigt durch Veränderungen an der Spitze der Gesellschaft. Die von der Monarchin Maria Theresia ab 1740 eingeleiteten Reformen (Einschränkung der Leibeigenschaft, Merkantilismus in der Wirtschaft, Schulwesen, Beschneidung von Privilegien der Katholischen Kirche) wurden von ihren Nachfolgern fortgesetzt und machten vor allem unter gewissen Beamtenkreisen und Intellektuellen Hoffnung auf einen friedlichen Weg zu einem Verfassungsstaat. Joseph II. sanktionierte die neu entstandenen Freimaurerzirkel. Der Komponist Wolfgang Amadeus Mozart war ein berühmtes Mitglied.

Franz Hebenstreit (1747-1795), Verfasser des Eipeldauerliedes.

Leopold II. übertrug in seiner kurzen Regentschaft (1790-1792) einer Reihe liberal und demokratisch Gesinnter sogar bestimmte Aufgaben in seinem geheimen Mitarbeiterkreis. Diese Veränderungen mussten früher oder später zu Konflikten führen.

Radikalisierung

Der Ausbruch der Französischen Revolution 1789 versetzte die Habsburger in Panik. Kaiser Franz II. setzte ab 1792 auf strenge Zensur und Polizeirepression, die frühe Menschen- und Bürgerrechtsszene radikalisierte sich. In dieser Phase der „Restauration“ wurden die österreichischen Jakobiner geboren.

Drum fort mit ihm zur Guillotine
Denn Blut für Blut muss fließen,
Hätt man nur a hier so a Maschin,
Müsst’s mancher Großkopf büßen.

Die Köpfe der Wiener Demokraten – die beiden Offiziere Franz Hebenstreit und Andreas Riedel – waren sich darüber im Klaren, dass ein Aufstand nur im Bündnis mit den städtischen Armen und Bauern Erfolg haben könnte. Sie verfassten zahlreiche meist handgeschriebene Flugblätter und Texte. Riedel schrieb einen Aufruf an alle Deutschen zu einem antiaristokratischen Gleichheitsbund (1792), Georg Ruszistkas einen Aufruf an die Bauern (1793).

Der von urkommunistischen Ideen beeinflusste Hebenstreit schrieb das berühmte Gedicht Homo hominibus (1792), in dem er die Aufhebung des Eigentums und Einführung der Gemeinschaft der Güter forderte. Der lateinische Titel bedeutet übersetzt „Mensch unter Menschen“ und ist als positive Utopie direkt gegen die Dystopie des englischen Philosophen Thomas Hobbes gerichtet, der in seinem Werk Leviathan (1651) davon ausgeht, dass der Mensch des Menschen Wolf ist (Homo homini lupus est).

Es trieb die Jakobiner zur Weißglut, dass der Kaiser die eigene Bevölkerung mit Schauermärchen über die Französische Revolution in einen Krieg gegen das revolutionäre Frankreich trieb.

Drum schlagt die Hundsleut alle tot
Nit langsam wie d’ Franzosen

Kurz vor dem Sturz Robespierres in Paris im Juli 1794 wurden die meisten Mitglieder der Wiener Jakobiner in einer vom Wiener Polizeipräsidenten und dem Grafen Saurau angeordneten Aktion verhaftet.

Jakobinerprozesse

Die Herrschenden hassten Hebenstreit so sehr, dass sie seinen Kopf bis 2012 im Kriminalmuseum zur Schau stellten. Foto: BMI

Hebenstreit, der auch in der Haft seine politische Überzeugung nicht verleugnete, wurde am 5. Jänner 1795 wegen Hochverrats am Wiener Schottenring hingerichtet. Sein abgetrennter Kopf wurde bis 2012 im Kriminalmuseum des Innenministeriums ausgestellt, und erst entfernt, nachdem Hebenstreit 2010 freigesprochen wurde. Riedel wurde zu 60 Jahren Festungshaft verurteilt und erst durch die französische Armee befreit.

Im Auftrag des Grafen Saurau, der den Prozess gegen die Jakobiner in Szene setzte, sollten der Komponist Joseph Haydn und Dichter Lorenz Leopold Haschka ein wie das Eipeldauer-Lied geartetes „Volkslied“ für den Kaiser schreiben, und damit den „revolutionären Elan des Eipeldauer-Liedes konterkarieren“, zu diesem Schluss kam Haydn-Biograph Hans-Josef Irmen. Das Eipeldauerlied war nicht nur weit verbreitet, es „wuchsen ihm auch obendrein, wie der mythischen Hydra, unablässig neue geifernde Schlangenköpfe in Gestalt anonym verfasster, schlagkräftig-satirischer Strophen“.

Die Habsburger konnten der Bewegung noch einmal rechtzeitig den Kopf abschlagen. Die Revolutionen von 1848 und 1918 fegten sie schließlich doch hinweg.

Buchtipp: Alfred Körner: Die Wiener Jakobiner. Stuttgart, 1972. ISBN: 3 476 00238 1. Mit gesammelten Schriften und literarischen Dokumenten der Wiener Jakobiner, darunter Andreas Riedels Aufruf an alle Deutsche und Franz Hebenstreits Homo hominibus.

Das Eipeldauerlied mit einigen bekannten Strophen:

Was denkts enk denn, dass gar so schreits,
Und alles auf d’ Franzosen?
Den Louis haben’s köpft – Ja nun mich freuts
Er war schlecht bis in d’ Hosen.

Heut hat er’n Volk ein Eid geschworn,
Morg’n hat er’n wieder brochen.
D’ Freiheit war ihm in d’ Augen ein Dorn,
S’ Volk  wollt er unterjochen.

Drum fort mit ihm zur Guillotine
Denn Blut für Blut muss fließen,
Hätt man nur a hier so a Maschin,
Müsst’s mancher Großkopf büßen.

Schauts nur die Russisch Kathel an, (Katharina II., Anm.)
Die enk jetzt ist so heilig
Hat’s nicht den Kaiser, ihren Mann,
Abg’setzt und g’mordt abscheulig?

Wann’s Volk einmal eam nimmer mag,
So muss er stille sitzen:
Sonst trifft ihn halt der rechte Schlag
Wenn er muss’s Blut verspritzen.

’S is ja das Volk kein Arschpapier
Und darf auf sich wohl denken,
Wer halt nicht lernen will Manier,
Den Lümmel muss man henken.

Schaut’s enker Kaiser Kind nur an,
Mit’n Adel tut er’s halten,
Der Ludwig hat’s halt a so tan,
Drum haben’s ihn nit g’halten.

Was tun’s denn all die Herrn so groß,
Die ihr so hoch tut’s heben,
Da sitzen’s halt beim Weiberschoß
Und spiel’n mit enkern Leben.

So manches gutes Mutterkind
Hat elend sterben müssen,
Weil enker Franz, von Hoffart blind,
Will, dass d’ Franzosen  büßen.

Was geh’n ihn denn d’ Franzosen an,
Dort hat er nichts zu kehren,
Wär er lieber hier ein rechter Mann
Und hielt enk fein in Ehren.

Enk, das heißt enk, die er nicht kennt,
Enk Trager, Schiffleut, Hauer,
Den, der’s Holz hackt, der d’ Kohlen brennt,
Den Hanswerksg’selln, den Bauer.

Denn sagt’s mir’s, ist im ganzen Land,
Wer z’finden, der was macht,
Wenn er nit ist mit enk verwandt
Und nit mit enk veracht?

Wer nur a wenig an Titel hat,
Und heißt er nur ein Schreiber,
Der zerrt ihn schon beim Vetterndraht,
Als wie ein Bärentreiber.

Drum schlagt die Hundsleut alle tot
Nit langsam wie d’ Franzosen,
Sonst machen s’ enk noch tausend Not
’S ist nimmer auf sie z’losen.

Der Verfasser/die Verfasserin hat den Artikel mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.